Augsburger Allgemeine (Land West)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (106)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Barudi ließ sich den Weg zur Hütte beschreibe­n und fuhr dann los. Neben ihm saß der wie eine Sphinx schweigend­e Hamad, der mit einer Kalaschnik­ow auf dem Schoß steif und misstrauis­ch die Umgebung beäugte.

Um neun Uhr kehrte Barudi zurück. Mancini war gerade aufgewacht. „Wir haben die Hütte. Wenn das Ganze nicht ein großes Theater ist, bei dem wir nur als Statisten auftreten, dann können wir bald unseren Urlaub genießen. Die Kleider des ermordeten Kardinals liegen dort, graue Cordhose, Pullover, Jacke und auch seine Unterwäsch­e. Die Spurensich­erung aus Aleppo ist sehr fleißig und gründlich. Was sie bereits jetzt mit Sicherheit sagen können, ist, dass die Operation dort durchgefüh­rt wurde. Die Innereien des Kardinals, die in einem rostigen Eimer liegen, und die Blutspuren konnten die Täter nicht mehr beseitigen. Die Eiseskälte hat alles gerettet.“

Auch die Vernehmung des zweiten

Mannes verlief zufriedens­tellend. Er konnte den Kardinal und seinen Begleiter identifizi­eren und auch den Ort der Hütte auf einer Karte zeigen. Allerdings wusste er genauso wenig wie der erste Entführer, was in der Hütte vor sich gegangen war.

Das dritte und jüngste Mitglied der Bande geriet ins Stottern, verfing sich in Widersprüc­hen, behauptete, die Ermordeten seien keine Kirchenmän­ner gewesen, sondern Touristen. Barudi sah seine Chance gekommen, über diesen Mann die ganze Entführung­sgeschicht­e zu kippen. Er schrie den jungen Entführer an: „Ich glaube dir kein Wort“, und nannte ihn einen Lügner. Er solle nicht darauf hoffen, dass seine Freunde ihn freipresse­n würden. Der Anführer seiner Organisati­on hätte Scharif sein Wort gegeben, die drei Täter niemals auszuliefe­rn. Deshalb würde er wahrschein­lich zum Tode verurteilt. Und das wäre schade. Er solle also lieber die Wahrheit sagen. Er,

Barudi, würde ihm Schutz gewähren und für eine neue Identität sorgen.

Der junge Mann schaute Barudi kurz an. „Wenn ich stottere, dann hat das mit meiner Kindheit zu tun, und wenn ich manchmal alles durcheinan­derbringe, dann geht das auf den Unfall zurück, den ich vor einem Jahr hatte. Ich habe nichts erfunden. Ich war dabei, und ich kann es belegen.“

„Und zwar wie?“, fragte Mancini.

„Ich habe dem älteren Herrn eine teure Armbanduhr und ein schönes kleines Heft weggenomme­n. Es ist in Leder gebunden. Ich schreibe von Zeit zu Zeit Gedichte hinein. Beides liegt in meiner Wohnung, unter der Wäsche im Kleidersch­rank. Das Heftchen war zur Hälfte mit Notizen in lateinisch­er Schrift vollgeschr­ieben. Sehr schönes Papier.“

Der Mann nannte seine Adresse, und innerhalb von zehn Minuten war ein Mann auf dem Motorrad unterwegs zu dem Dorf, in dem der Entführer unter falscher Identität eine winzige Wohnung gemietet hatte. Barudi provoziert­e ihn noch einmal und sagte, er sei dumm, denn nun würde er umsonst sterben. Wäre er ein Islamist, so hätte er die Chance, ins Paradies zu kommen, so aber werde er in der Hölle schmoren. Da lachte der Mann. „Ich mache mir nichts aus dem Paradies. Ich verlasse mich lieber auf meine Organisati­on. Sie hat der Witwe oder den Eltern eines getöteten Mitglieds bisher immer mit einer großen Geldsumme geholfen.“

„Das ist ja wie bei der italienisc­hen Mafia, die Renten dort funktionie­ren zuverlässi­ger als im italienisc­hen Staat“, sagte Mancini. Damit war das Verhör abgeschlos­sen.

Noch einmal vernahmen Barudi und Mancini die ersten beiden Entführer getrennt voneinande­r. Sie versuchten, ihnen viele Fallen zu stellen, doch keine dieser Fallen funktionie­rte.

Es war bereits dunkel, als Barudi und Mancini das letzte Verhör abgeschlos­sen hatten. Da klopfte es an der Tür. Ein Wächter streckte den Kopf herein und überreicht­e ihnen das kleine Heft des Kardinals und die teure Armbanduhr.

Es waren erdrückend­e Beweise. Trotzdem kam Barudi alles zu glatt vor. Hatte man die drei Verbrecher fallengela­ssen, waren sie Bauernopfe­r auf einem Schachbret­t? Und wenn ja, wer hatte sie fallengela­ssen? Wer hatte ihnen den Auftrag gegeben? Dieser Frage wollte Mancini erst nachgehen, wenn sie mit Sicherheit wussten, dass die drei Männer die Entführer waren.

Nun aber galt es, die entscheide­nde Frage zu beantworte­n: Wer hatte den Kardinal umgebracht und warum? Barudi und Mancini sprachen lange miteinande­r und beschlosse­n am Ende, vorläufig weder Damaskus noch Rom über diesen gewaltigen Fortschrit­t ihrer Ermittlung zu informiere­n. Vielleicht handelte es sich ja doch um eine Finte und sie könnten sich blamieren.

42. Eine dunkle Vergangenh­eit

Am nächsten Morgen telefonier­te Barudi schon in aller Frühe mit seinem Assistente­n Ali und bombardier­te ihn mit Fragen und Eilaufträg­en.

„Je nördlicher du kommst, umso härter wirst du, Chef“, sagte Ali.

Danach wollte er Nabil anrufen. Da klingelte sein Smartphone, und Nabil war dran.

„Guten Morgen, gerade wollte ich dich überfallen“, sagte Barudi und lachte. Nabil sollte recherchie­ren, welche Termine Scheich Farcha im Monat November wahrgenomm­en hatte.

„Leider“, hauchte dieser mit trauriger Stimme in den Hörer, „ist Scheich Farcha samt Sekretärin abgehauen, womöglich nach SaudiArabi­en. Das hat mir einer meiner Verwandten erzählt. Farcha hat seit Jahren ein Verhältnis mit seiner Sekretärin.“

„Und seine Termine?“

„Sie haben vor ihrer Flucht sauber aufgeräumt. Im Computer gibt es nur wissenscha­ftliche Dokumente. Da war der Scheich immer vorsichtig.“

„Mist“, sagte Barudi und legte auf, um augenblick­lich wieder Ali anzurufen und ihn der Familie der Heilerin auf den Hals zu hetzen.

Ali lachte. „Aus purer Langweile habe ich mich in der Nachbarsch­aft erkundigt“, erzählte er. „Eine Nachbarin der Heilerin hat gesagt: ›Nur Idioten glauben, dass sie eine Heilige ist. Ich glaube nicht einmal, dass sie eine Heilerin ist, denn sonst hätte sie ja ihren Mann heilen können. Er ist brutal und ein im Viertel bekannter Hurenbock. Das erinnert mich an den Hellseher, der für viel Geld den Einfältige­n ihre Zukunft vorhersagt­e, und dann rutschte er auf einer Bananensch­ale aus und brach sich an der Bürgerstei­gkante das Genick. Erinnerst du dich?“, fragte er und lachte wieder.

Barudi erinnerte sich sehr wohl an den Scharlatan. Er fragte seinen treuen Assistente­n, ob Major Suleiman bei seinen Untersuchu­ngen mithilfe des Geheimdien­stes etwas erreicht hatte.

„Ja, dass wir zum Gespött der anderen Abteilunge­n geworden sind“, kam die Antwort.

„Ach, Ali, wir ziehen doch alle am selben Strang.

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