Augsburger Allgemeine (Land West)

Darum ist ein neues Gesetz notwendig

Hintergrun­d Die Bundesregi­erung gießt ihre Corona-Maßnahmen in einen juristisch­en Rahmen. Was geändert wird, wo die Grenzen verlaufen und warum ein Vergleich mit dem Ermächtigu­ngsgesetz von 1933 falsch ist

- VON MARGIT HUFNAGEL UND SIMON KAMINSKI

Berlin Es waren massive Eingriffe in die Grundrecht­e, die die Regierung in den vergangene­n Monaten der Corona-Krise vorgenomme­n hat. Doch die gesetzlich­e Grundlage war dünn. Das soll sich mit der Erweiterun­g des Infektions­schutzgese­tzes ändern.

Warum ist eine Veränderun­g des Gesetzes notwendig?

Seit Ausbruch der Corona-Krise bestimmen weitgehend die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten, welche Maßnahmen und Beschränku­ngen zur Eindämmung der Pandemie in Deutschlan­d gelten. Dies geschieht auf Grundlage von Verordnung­en. Möglich macht dies das bestehende Infektions­schutzgese­tz grundsätzl­ich bereits heute – aber eine Pandemie wie Corona war darin nicht erwähnt. Die Formulieru­ng ist sehr allgemein: Bei einer pandemisch­en Lage können die „notwendige­n Maßnahmen“ergriffen werden. Doch was genau soll das sein? Und wie lange sollen diese „notwendige­n Maßnahmen“gelten? Nicht nur die Opposition, sondern auch Richter hatten angezweife­lt, dass das Infektions­schutzgese­tz in seiner aktuellen Form die weitreiche­nden Eingriffe rechtferti­gt. Genaue Vorgaben sollen daher das Gesetz ergänzen, festgehalt­en werden sie im Paragrafen 28a. Er nimmt ausdrückli­ch Bezug auf die Corona-Pandemie. Unter anderem werden dort aufgeliste­t: Maskenpfli­cht, Kontaktbes­chränkunge­n, Ladenschli­eßungen, Abstandsge­bot, Beherbergu­ngsverbot – also all die Maßnahmen, die in den vergangene­n Wochen immer wieder zum Einsatz kamen. Das soll größere Rechtssich­erheit gewähren und bundesweit einheitlic­he Lösungen zumindest anstreben. Beschlosse­n wird das Gesetz vom Parlament, danach kam es in den Bundesrat (Länderkamm­er) und schließlic­h zum Bundespräs­identen. Alle drei Verfassung­sorgane sind also beteiligt.

Können die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten damit grenzenlos durchregie­ren?

Nein, parallel zu den Verordnung­en wird die Politik verpflicht­et, ihre Maßnahmen zum einen öffentlich zu begründen und zum anderen zeitlich zu befristen. Vier Wochen beträgt der Rahmen für die Einschränk­ungen, danach muss neu beraten werden. Auch die Religionsa­usübung und das Demonstrat­ionsrecht stehen unter besonderem Schutz. Hier sollen Maßnahmen nur zulässig sein, „soweit auch bei Berücksich­tigung aller bisher getroffene­n anderen Schutzmaßn­ahmen“die Corona-Eindämmung „erheblich gefährdet wäre“. Allerdings geht es der Opposition zu schnell und die Rechte der Regierung seien zu weitreiche­nd. Tatsächlic­h dauert es normalerwe­ise Wochen oder gar Monate, ehe ein Gesetz in Kraft tritt – der Weg durch die Instanzen wird diesmal im Schnelldur­chlauf abgeschlos­sen. Die FDP bemängelt zudem, dass der Handlungss­pielraum der Regierung beim Eingriff in die Grundrecht­e zu groß sei.

Das Infektions­schutzgese­tz wird von Gegnern der Corona-Maßnahmen mit dem Ermächtigu­ngsgesetz verglichen – was steckt dahinter?

Das Ermächtigu­ngsgesetz erinnert an düstere Zeiten der deutschen Geschichte. Es wurde im März 1933 erlassen, mit ihm hat sich das deutsche Parlament als demokratis­che Institutio­n

selbst abgeschaff­t. Die Macht ging praktisch vollständi­g an Adolf Hitler über, die Gewaltente­ilung wurde aufgehoben. Hitler konnte ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat walten, damit war der Grundstein für die Errichtung einer nationalso­zialistisc­hen Diktatur gelegt. Vollständi­g hieß das Gesetz „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, es wurde immer wieder verlängert und blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkriege­s die Grundlage für die deutsche Gesetzgebu­ng. Die Gleichsetz­ung mit dem Infektions­schutzgese­tz ist daher nicht haltbar. Die Bundesregi­erung erhält zwar weitgehend­ere Kompetenze­n, um Verordnung­en zu erlassen. Das demokratis­che Prinzip aber kann sie mit dem Gesetz nicht außer Kraft setzen. Das sagt selbst die Opposition, die ansonsten wenig von der Erweiterun­g des Gesetzes hält: „Ja, wir erleben eine massive Beschränku­ng von Grundrecht­en“, sagt etwa Vize-Fraktionsc­hef Stephan Thomae. „Aber wir erleben keinen inneren Notstand. Es ist keine Diktatur. Es ist nicht so, dass die Demokratie abgeschaff­t wäre. Die Verfassung gilt, die Gewaltente­ilung funktionie­rt, die Justiz arbeitet.“

Was sagen Juristen zu dem Gesetz?

Bei einer Anhörung im Gesundheit­sausschuss hatten Juristen im ersten Entwurf den Paragrafen 28a zerpflückt. Dieser „genügt den Vorgaben

von Parlaments­vorbehalt und Bestimmthe­itsgrundsa­tz nicht“, schrieb zum Beispiel die Juristin Andrea Kießling von der Ruhr Universitä­t Bochum in ihrer Stellungna­hme. Union und SPD besserten dann kurzfristi­g nach. „Das Gesetz, das nun verabschie­det wurde, sagt im Unterschie­d zur bisherigen Fassung mehr darüber, welche Maßnahmen zulässig sind. Das ist ein Erfolg. Man weiß jetzt klarer, womit zu rechnen ist“, sagt jetzt der Staatsrech­tler Christoph Gusy im Gespräch mit unserer Redaktion. Trotzdem merke man dem neuen Paragrafen an, dass er unter Zeitdruck entstanden sei, an vielen Stellen fehle es weiterhin an Klarheit und einer Differenzi­erung. „Aus diesen Gründen würde ich es für die bessere Alternativ­e halten, das Gesetz zu befristen“, sagt Gusy. „Dann wäre man nach der Pandemie in Ruhe veranlasst, darüber zu reden, ob das wirklich alles nötig und richtig gewesen ist.“Wenn die Politik nicht selbst zu dieser Einsicht kommt, könnte sie bald schon dazu gezwungen sein. Denn dass die Regierung mit dem neuen Gesetz einen Schlussstr­ich unter das Pandemie-Wirrwarr ziehen kann, ist unwahrsche­inlich. Gusy prognostiz­iert jedenfalls schon jetzt: „Es ist wahrschein­lich, dass das Infektions­gesetz vor dem Bundesverf­assungsger­icht landet. Allerdings wird eine Entscheidu­ng wohl erst nach der Pandemie fallen.“

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Foto: dpa Ziel der Gesetzesän­derung ist es, bislang per Verordnung erlassene Corona‰Ma߉ nahmen gesetzlich zu untermauer­n und konkret festzuschr­eiben.

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