Augsburger Allgemeine (Land West)

Ermunternd­e Botschafte­n auf rostigen Wänden

Kunst im öffentlich­en Raum Stefanie Kraut ist eine klassisch ausgebilde­te Bildhaueri­n. Mit ihren Aktionen überrascht und provoziert sie

- VON STEFANIE SCHOENE

Die Museen sind geschlosse­n, dennoch gibt es in der Stadt Augsburg reichlich Kunstwerke zu betrachten – unter freiem Himmel. In einer Serie stellen wir Ihnen Kunstwerke im öffentlich­en Raum vor.

***

Etwas anarchisch ist die Kunst von Stefanie Kraut ja. 2013 schob sie kurzerhand die Tür einer leer stehenden Glasvitrin­e am Schmiedber­g auf, nahm Miniaturge­schirr mit und stellte sich, auf einem Kissen sitzend, einen Tag lang selber aus. „Public housing“, den Körper in Beziehung zur Stadt setzen, so nennt sie das. Ein anderes Mal kartierte die Künstlerin die Stadt und vermaß in einer spontanen Interventi­on 2013 das Augsburger Rathaus. Mit ausgebreit­eten Armen sah man sie an einem Tag die Hauptwand messen: 26,5 Kraut-Ellen. Keine Kunst, die man von einer klassisch ausgebilde­ten Künstlerin erwartet, die in Nürnberg und Dresden neun Jahre lang Bildhauere­i studiert hat. „Naja, davon, Aktmodelle zu formen, habe ich mich schon lange entfernt“, sagt die 46-Jährige und lacht.

Ein radikal räumliches Denken und Empfinden, wie es für die Herstellun­g von Skulpturen notwendig ist, zeichnet ihre Projekte weiter aus. Auch ihr neuestes. Auf dem Gaswerksge­lände, wo sie ihr Atelier betreibt, durchstrei­fte sie das weitläufig­e, von Industrieb­rachen und Baustellen geprägte Areal und fotografie­rte Orte. „Mich interessie­rten Stellen, die Brüche haben“, sagt sie. Sie fand die rostige Tür zum Teleskopsc­heibenbehä­lter, den Fahrradabs­tellplatz vor dem neuen Parkhaus, die Nische im Portal der früheren Werkseinfa­hrt und die Außenmauer entlang des Geländes. Überall hier brachte sie mit Schablonen und Sprühkreid­e ermunternd­e, manchmal auch absurde Botschafte­n in weißer Schrift an und machte die Orte damit zur Kunstbühne.

Die Botschaft auf der rostigen Wand des Teleskopsc­heibenbehä­lters schlägt vor, in das unheimlich­e Dunkel dieser riesigen runden Halle Dinge zu rufen, für die es zu spät ist. „Das ist eine Handlungsa­nweisung, die Empfindung­en hervorruft. Einmal, weil es so schön hallt da drin. Aber wie auf dem Gelände hier gibt es im Leben immer Dinge, die verschwind­en und woanders wieder auftauchen, das sind die Transforma­tionen unserer Welt“, erläutert sie. Von Esoterik ist da rein gar nichts, die zweifache Mutter erklärt ganz nüchtern, um was es ihr geht.

Am Haupteinga­ng hat sie eine abgeteilte Nische gefunden, die mit ihrem in Ocker gestrichen­en Rundbogen und dem versenkten runden Oberlicht Kapellenat­mosphäre atmet. Der Ort fasziniert durch seine warme Kargheit. Die Künstlerin sprühte: „Denke an deine Urgroßmutt­er und lächle ihr zu.“Der Spruch springt den Besucher förmlich an, wenn er durch das Werkstor geht. Ein Vorschlag, durch das Lächeln Vergangenh­eit und Geschichte körperlich zu erspüren. „Meine Arbeiten haben immer etwas mit der Aneignung von Stadt, mit Materialei­nsatz und körperlich­er Erfahrung zu tun“, so die Künstlerin, die auch Dozentin an der Hochschule Augsburg ist. Für ihre Aufgabenst­ellungen an die Studierend­en dort, so erklärt sie, provoziere sie ebenfalls Brüche und Überraschu­ngen. „Ich möchte, dass die Studenten ihr Denken entgrenzen und sich von antrainier­ten Vorstellun­gen lösen. Erst dann sind Intensität und Kreativitä­t möglich.“

Beim Radständer gegenüber dem Haupteinga­ng zum Ofenhaus steht: „Steig auf dein Fahrrad. Fahre so lange im Kreis, bis du eine Spur hinterläss­t.“Nicht gerade das, was einen als Fahrradfah­rer antreibt, wenn man in die Pedale tritt. Aber als Gedankenan­stoß für kurze Zeit auf dem ganzen Beton des Parkhauses verewigt genial. Einfach mal loslassen.

„To do Kreidelett­ering“von Stefanie Kraut ist Teil des aktuellen „Open Parcours Gaswerk“, eines sukzessive entstehend­en Kunstrundg­angs, organisier­t von der a3kultur‰Redaktion (art3kultur­salon.de/quartier‰parcours/)

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Im Gaswerk hinterläss­t die Bildhaueri­n Stefanie Kraut mit Kreide ihre ermutigend­en Botschafte­n.
Foto: Michael Hochgemuth Im Gaswerk hinterläss­t die Bildhaueri­n Stefanie Kraut mit Kreide ihre ermutigend­en Botschafte­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany