Augsburger Allgemeine (Land West)
Das heilige Theater muss sein
Debatte Warum Gottesdienste feiern, während die Bühnen schließen
Die Theater dürfen nicht spielen, aber die Kirchen Gottesdienste abhalten – obwohl sich die Hygienekonzepte nahezu gleichen. Wer versteht das? In einer Online-Konferenz lud das Evangelische Forum Annahof die beiden Stadtdekane Michael Thoma (evang.) und Helmut Haug (kath.) am Dienstagabend zur Diskussion darüber ein. Was ist das Besondere am Gottesdienst? Wie sieht er in Corona-Zeiten aus?
Beide sind unglücklich, würden Kult und Kultur in eine Konkurrenz hineingetrieben werden. „Es ist mir absolut ein Anliegen, sie gleich zu behandeln“, betonte Haug. Die Kirche beanspruche kein Sonderrecht. Auch wenn der Gottesdienst für ihn noch eine andere Qualität und Zielrichtung hat. „Wir überlassen uns hier einer höheren Wirklichkeit, die man auch durch Musik, Predigt und Gestaltung nicht herstellen kann“, skizzierte Haug den Unterschied. Er sprach von einer „mystischen Komponente“. Im Gottesdienst handeln die Menschen intensiver unter- und miteinander. „Deshalb spüren wir auch die gebotene Corona-Distanz in der Kirche viel härter“, erklärte der Pfarrer von St. Moritz.
„Der Gottesdienst ist einfach das Herzstück des Glaubens“, sagte sein evangelischer Kollege von St. Anna. Hier klingen das Wort, das Lied, das Gebet und das Abendmahl zusammen, so Thoma. Ein StreamingGottesdienst ersetze einfach nicht die persönliche Begegnung – „es fehlt etwas Menschliches“. Im Blick auf die Schließung der Bühnen („Ich würde mir von den Behörden ein differenzierteres Vorgehen wünschen“) räumte Thoma ein: „Auch in der Kunst wird ausgedrückt, wofür uns Menschen die Worte fehlen. Der Unterschied ist allerdings, dass wir im Gottesdienst ein Du als Gegenüber haben.“
Der Gottesdienst unterbricht den Alltag, weshalb es hilfreich ist, sich in die Weite eines Kirchenraums zu begeben – und nicht auf dem Sofa in den Bildschirm zu schauen. Wer die „Gemeinschaft, zu der uns Gott verbindet“, erlebt, gehe erleichtert zurück in seinen Alltag, sagte Dekan Thoma. „Die Gotteserfahrung miteinander zu teilen hilft uns, das Leben mit allem Schönen und allen Schatten zu ertragen.“
Für Dekan Haug setzt sich Gottesdienst vor der Kirchentüre fort. Dort, wo sich Menschen im Licht des Evangeliums über ihr Leben austauschen – „gerade dann, wenn Hoffnungen zerplatzt sind“. Haug fand es großartig, was in privaten Netzwerken in diesem Sinne im Lockdown geschehen ist, wie Menschen miteinander beteten und Bibelgespräche führten. Hier könne sich etwas auch nach Corona entwickeln und in der Zukunft das kirchliche Leben anreichern.
Einstweilen hemmt etliche Menschen noch die Scheu, sich anzustecken, dass sie in gewohnter Weise den Gottesdienst besuchen. Auf die Hälfte bis ein Drittel brachen die Besucherzahlen ein. In St. Anna gibt es aber auch das Drängen, endlich wieder das Abendmahl zu feiern. Denn es geht etwas Handfestes ab.