Augsburger Allgemeine (Land West)

Der versteckte Rossbub am Kaufbach

Geschichte Eine Steinskulp­tur erinnert an eine ehemalige Pferdeschw­emme. Beim Bachwirt nebenan blühte der Handel mit Rössern. Um 1880 gab es in Augsburg wohl mehr als 2000 Pferde. Nicht nur die Post hatte einige

- VON FRANZ HÄUSSLER

Am Beginn der Friedberge­r Straße gegenüber der Schaufassa­de der einstigen Schüle’schen Kattunmanu­faktur (heute Hochschule) vereinigen sich der Kaufbach und der Spitalbach. Der Caritasweg begleitet den Kaufbach bis zur Prinzstraß­e. Der Zusammenfl­uss der beiden Stadtkanäl­e wird am Caritasweg von einer Steinplast­ik markiert: Ein „Rossbub“auf einem ungesattel­ten Pferd blickt in Richtung Hochschule. Die graue Skulptur ist großteils von Geäst verdeckt.

Ein rund 100 Jahre altes Foto zeigt die Steinplast­ik im Neuzustand. Die Beschriftu­ng auf der Rückseite: „Roßbub auf dem Pfeiler an der Pferdeschw­emme an der Nordosteck­e der Friedberge­r Straße – 1913 Albertshof­er, München“. Der Fotograf wusste Bescheid: Bald nach 1900 gestaltete das Bauamt den Beginn der Friedberge­r Straße neu. Sie führt dort über zwei Kanalbrück­en. Zwei aufwendige Straßenleu­chten auf Steinsäule­n und der „Rossbub“bildeten die Dekoration­en gegenüber dem schlossart­igen Kopfbau des einstigen Kattunmanu­faktur. Das Bauamt ließ nach Abschluss der Baumaßnahm­e zwei Fotos fertigen.

Ein Foto zeigt den Zusammenfl­uss von Kaufbach und Spitalbach mit neuer Brücke. Daneben befindet sich die Rampe zu einer Pferdeschw­emme. Darauf gruppierte der Fotograf Kinder als Staffage. Diese ins Wasser führende Schräge gibt es nicht mehr, sie ist verfüllt. Der links im Bild erfasste Kopfbau der Schüle’schen Kattunmanu­faktur steht noch. Er ist heute Teil der Hochschule.

Den rechten Teil der historisch­en Aufnahme nimmt der Gasthof Zum goldenen Kreuz ein. Er war als „Wirtschaft auf dem Bach“oder „Bachwirt“geläufig. Ihn gibt es nicht mehr. Seit 1967 regelt auf seinem Grund eine Ampelanlag­e auf einer Kreuzung den Autoverkeh­r. Auf dem über 100 Jahre alten Foto steht der „Rossbub“scheinbar vor dem Giebel des „Bachwirts“. Der Gasthof ist verschwund­en, die Steinskulp­tur blieb. An Ross und Reiter hat der Zahn der Zeit genagt. Über ein Jahrhunder­t an der „frischen“Luft einer viel befahrenen Straße und die Schattenla­ge unter Bäumen haben Spuren hinterlass­en. Der ehedem helle Stein ist grau, porig und fleckig.

Die Pferdeschw­emme stand in enger Beziehung zum „Bachwirt“. Eine Beschreibu­ng von 1846 lässt dies erahnen: „Hier ist der Ablagerung­sort von Fuhrleuten, auch wegen der geräumigen Stallungen der Schau- und Verkaufspl­atz für die hier durchziehe­nden nordischen Pferdehänd­ler.“Das heißt: Beim „Bachwirt“logierten Fuhrleute, die mit Frachtwage­n Güter-Ferntransp­orte abwickelte­n. Sie stellten hier ihre Rösser ein und versorgten sie.

Die großen Stallungen nutzten auch Pferdehänd­ler. Ein Inserat von bestätigt dies: „B. Frenkel aus Frankfurt am Main hat die Ehre anzuzeigen, daß er mit einem Transport meklenburg­er und englischer Reit- & Wagen-Pferde auf dem Bach in Augsburg ankommt.“Die Wirtschaft „auf dem Bach“war ein Rosshandel­splatz. In der Pferdeschw­emme gönnten Fuhrleute ihren Zugtieren ein erfrischen­des Bad und Händler ließen ihre zum Verkauf nach Augsburg gebrachten Pferde frisch machen. Das erledigten „Rossbuben“. Sie waren die Pferdepfle­ger. Barfüßig und ohne Sattel, wie es die Steinskulp­tur zeigt, ritten sie in die Pferdeschw­emme. Danach bürsteten sie das Pferd. Pferdeken1­857 ner wissen, dass Rösser solche Pflege mögen.

Augsburg hatte in der Vor-AutoZeit einen hohen Bedarf an Pferden. Über ihre Anzahl geben im 19. Jahrhunder­t die alljährlic­hen Musterunge­n auf Militärdie­nsttauglic­hkeit Auskunft: Am 14. Mai 1878 wurden 1159 Rösser in Privatbesi­tz vorgeführt. Allein die Stallungen der Chevaulege­rs-Kaserne („leichte Reiter“) südlich der Ulrichsbas­ilika waren für etwa 600 Reittiere berechnet. Augsburger Postställe konnten 200 Pferde aufnehmen, etliche Gasthöfe verfügten über Stallungen für bis zu 50 Pferde. Um 1880 dürfte es im Stadtberei­ch über 2000 Rösser gegeben haben.

Der Kaufbach war ursprüngli­ch ein Floßkanal. Vom Hochablass kommend beförderte er die Stämme zu einem riesigen Holzlagerp­latz beim Bachwirt. Holzknecht­e und Flößer waren hier Gäste. Der bereits um 1600 bestehende Lagerplatz wurde nach dem Aufhören der Flößerei Ende des 19. Jahrhunder­ts nicht mehr benötigt. Ab etwa 1900 erstand hier das Wohnvierte­l zwischen Remboldstr­aße und Gärtnerstr­aße. Am Rand des Neubaugebi­ets platzierte­n Geschichts­bewusste in der Augsburger Bauverwalt­ung 1913 ein ungewöhnli­ches Denkmal.

Der Münchner Bildhauer und Professor Georg Albertshof­er (1864–1939) schuf die Skulptur. Er musste nicht lange ein Modell suchen: Die Pferdeschw­emme beim Bachwirt wurde noch benutzt, und

Ein ungewöhnli­ches Denkmal am Rand des Neubaugebi­ets

zwar von Rössern des Spediteurs Alois Weißenhorn. Er hatte um 1870 das „Bachwirt“-Anwesen gekauft. Die Gaststätte verpachtet­e er, seine Zugpferde brachte er in den Stallungen unter. Aus Ställen wurden später Garagen, als Lastkraftw­agen die Pferde im Speditions­betrieb ablösten. Um 1930 folgte der Spedition die auf Autoelektr­ik spezialisi­erte Firma Gläser zuerst als Pächter, dann als Eigentümer des „Bachwirt“-Komplexes Schülestra­ße 2. Er entwickelt­e sich als „Gläser-Dreieck“zum festen Begriff. Im Adressbuch für 1967 gibt es die Anschrift nicht mehr: Seit 27. Oktober 1967 rollt der Verkehr über das große Grundstück, auf dem die Gebäudegru­ppe stand.

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Fotos: Sammlung Häußler Am Zusammenfl­uss von Kaufbach und Spitalbach führte eine Rampe in ein Pferdebad. Links ist die einstige Schüle’sche Kattunmanu­faktur erfasst, rechts der Bachwirt. Der Rossbub steht auf einem Sockel über der Rampe.
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Der Rossbub um 1920. Noch ist das fein gearbeitet­e Gesicht erkennbar. Es ist inzwi‰ schen vernarbt und der vor 100 Jahren helle, glatte Stein grau und porig. Unter Geäst steht der Rossbub von 1913 am Caritasweg (rechts).
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