Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein rätselhaft­er Tod auf Sansibar

Todesfall Ein 52-jähriger Augsburger wird tot in seiner Ferienwohn­ung auf der Insel gefunden – er ist verblutet, sein Körper von Stichen und Schnitten gezeichnet. Doch der Fall bleibt ungeklärt, seine Familie sucht nach Antworten

- VON JÖRG HEINZLE

Zwei Polizisten klingeln am 15. Januar 2020, es ist ein Mittwoch, an einer Augsburger Haustür; sie müssen eine schlimme Nachricht überbringe­n. Die Beamten berichten Anja K., dass ihr Mann Simon (Namen

nicht mehr am Leben ist. Er ist im Urlaub gestorben, in einem Apartment auf der ostafrikan­ischen Insel Sansibar. Die Polizisten sagen ihr, man müsse von „Fremdversc­hulden“ausgehen, von einem Gewaltverb­rechen also. Das habe der Arzt im örtlichen Krankenhau­s festgestel­lt. Viel mehr könnten sie noch nicht sagen, erklären die Beamten, die Polizei auf Sansibar ermittle. Für Anja K. ist es ein Schock. Sie und Simon lebten zwar in getrennten Haushalten, doch ihr Verhältnis war eng und gut, sie haben mehrere Kinder. Die Frau sucht nach Antworten, sie will wissen, was Simon K. zugestoßen ist. Doch zehn Monate nach dem Tod des Mannes sieht es nicht danach aus, dass sie jemals eine Antwort auf ihre Fragen erhalten wird.

Simon K. hatte zuhause in Augsburg noch seinen 52. Geburtstag gefeiert. Wenige Tage danach reiste er nach Sansibar. Über das Portal Airbnb hatte er eine Ferienwohn­ung gebucht, vier Wochen wollte er auf der Insel verbringen. Zu Anja K. und auch zu seinen Kindern hielt er über den Chatdienst Whatsapp Kontakt. Er schickte Texte, Fotos und Sprachnach­richten. Die Nachrichte­n hat Anja K. noch immer auf ihrem Handy. Simon K. erzählt begeistert von einem Tauchkurs und von der Gastfreund­schaft der Menschen. Es sei „traumhaft“, schwärmt er. Er habe es mit seiner Unterkunft „sehr gut getroffen“. Die Bilder, die er schickt, zeigen ein Urlaubspar­adies. Sonne, Strand, klarblaues Wasser.

Anja K. freute sich, dass es ihm so gut gefiel. Sie machte sich aber auch Sorgen um ihn. Er habe ein Faible für Afrika gehabt, sei schon einmal dorthin gereist. Sie habe dabei aber immer ein mulmiges Gefühl gehabt, sagt sie, schließlic­h könne bei einer solchen Reise viel passieren. Mitte Januar wurden ihre Sorgen dann noch größer. Denn Simon war nicht mehr zu erreichen, sein Handy war aus. Kurz darauf kam dann die Todesnachr­icht. Der 52-Jährige wurde vom privaten Wächter der Anlage und einem Haustechni­ker in seiner Ferienwohn­ung gefunden, er lag vor der Küchenzeil­e am Boden. Er ist verblutet. Polizeifot­os zeigen Schnitte und Stiche. Der Pathologe im größten Krankenhau­s auf Sansibar stellte laut Akten fünf Stichwunde­n im Brust- und Bauchberei­ch fest, ein Stich verletzte die Lunge. Der Arzt vermerkt auch mehrere Schnittwun­den, unter anderem in

Kniekehlen, eine zwölf Zentimeter lange Wunde am Hals und Schnitte am linken Ellbogen und Handgelenk.

Die Polizei auf Sansibar begann deshalb wegen des Verdachts auf ein Tötungsdel­ikt zu ermitteln. Örtliche Medien berichtete­n auch über den Fall. Doch relativ schnell kamen die Ermittler zum Ergebnis, Simon K. habe sich wohl selbst getötet. Die Polizisten stützen sich dabei unter anderem auf die Aussage des Vermieters der Ferienwohn­ung. Er berichtete, K. sei vor seinem Tod in schlechter Stimmung gewesen. Zudem sichten die Ermittler die Bilder von Überwachun­gskameras der kleinen Ferienanla­ge. Darauf soll zu sehen sein, dass niemand durch die Tür in die Wohnung von Simon K. geht. Der Wächter sagt, er sei über ein Fenster in das Apartment eingestieg­en, weil man von dem deutschen Gast nichts gehört und sich deshalb Sorgen gemacht habe. Silungen mon K. sei schon tot gewesen, als er ihn gefunden habe.

Kann sich ein Mensch selbst solche schlimmen Verletzung­en zufügen? Möglich ist es. Es gibt einzelne Fälle, in denen sich zumindest ähnliche Verletzung­smuster zeigten. Anja K. kann das aber nicht glauben. Auch Freunde und Bekannte sähen das so, sagt sie. Simon sei nicht depressiv gewesen, er habe keinen niedergesc­hlagenen Eindruck gemacht. Weder vor dem Urlaub noch in den Botschafte­n, die er aus Sansibar schickte. Im Gegenteil: „Er war sehr glücklich.“Sie ist überzeugt, dass der 52-Jährige umgebracht worden ist. Sie hat die Ermittlung­sakten genau gelesen, sieht viele Widersprüc­he, auch in den Zeugenauss­agen. Sie will zumindest Gewissheit, wer es getan hat und warum. Der Fall wird aber wohl ungeklärt bleiben.

Denn auch die Augsburger Staatsanwa­ltschaft hat ihre Ermittden

in der Sache zwischenze­itlich eingestell­t. Wird ein Deutscher im Ausland das Opfer eines mutmaßlich­en Verbrechen­s, so leiten auch die deutschen Behörden üblicherwe­ise Ermittlung­en ein. Viel ausrichten können sie aber oft nicht. So auch in diesem Fall. Die Augsburger Ermittler waren auf das angewiesen, was sie an Informatio­nen aus Afrika erhielten. Ein Beamter des Bundeskrim­inalamts, der in der deutschen Botschaft in Tansania stationier­t ist, kümmerte sich um den Kontakt. Doch viel zu holen war nicht.

Aus den Akten wird ersichtlic­h, dass die Polizei viele Spuren nicht auswertete oder verfolgte. In Deutschlan­d würde das, was versäumt wurde, wohl für einen veritablen Polizeiska­ndal reichen. Denn obwohl das blutversch­mierte Messer, mit dem Simon K. die Schnitte und Stiche zugefügt worden sind, in der Ferienwohn­ung lag, ist es nicht auf Fingerabdr­ücke oder DNA untersucht worden. Auch das Blut des Toten wurde offenbar nicht analysiert, in Deutschlan­d wäre das Standard. Diverse Zeugen, die womöglich etwas wissen könnten, sind nicht befragt worden – etwa Urlaubsbek­anntschaft­en oder die Gäste eines Cafés, in dem sich der 52-Jährige regelmäßig aufgehalte­n hatte.

Der private Wächter der Wohnanlage hatte berichtet, Simon K. habe sich am Tag seines Todes noch mit einer Bitte an ihn gewandt. Der 52-Jährige hatte sich kurz zuvor beim Motorradfa­hren eine Verletzung zugezogen. K. habe ihn gebeten, für ihn Geld – umgerechne­t rund 200 Euro – abzuheben und in einer Apotheke etwas zu besorgen. Das habe er erledigt und ihm die Sachen in die Ferienwohn­ung gebracht, so der Wächter in seiner Aussage. Ob man das Geld noch bei Simon K. gefunden hat, ist aber unklar. In der Akte steht an einer Stelle, dass kein Geld mehr in seinem Geldbeutel gewesen sei.

Die Augsburger Staatsanwa­ltschaft hatte auch versucht, anhand des Handys des Mannes mehr über dessen Situation vor dem Tod zu erfahren. Das Smartphone wurde von den Behörden nach Deutschlan­d geschickt, hier sollte es eine Spezialfir­ma auswerten. Allerdings: Es war so kaputt, dass selbst die Experten ihm nichts mehr entlocken konnten. Angeblich wurde es bereits von den Polizisten so massiv beschädigt in K.s Apartment gefunden. Aus Sicht von Anja K. eine weitere Ungereimth­eit:

Per Whatsapp schickte er Fotos und Nachrichte­n

Staatsanwa­ltschaft: Tötungsdel­ikt liegt nahe

Warum

Handy so zerstören?

Anja K. hätte sich gewünscht, dass ein Rechtsmedi­ziner in Deutschlan­d noch mal die Fotos des Leichnams anschaut und beurteilt. Das ist nicht geschehen. Die Augsburger Staatsanwa­ltschaft sieht indes auch keine Möglichkei­ten mehr, weitere Ermittlung­en anzustelle­n. Ein Sprecher der Behörde bestätigt das auf Anfrage. In der Einstellun­gsverfügun­g der Behörde heißt es, ein Tötungsdel­ikt erscheine angesichts der Umstände „naheliegen­d“, letztlich könne aber auch ein Suizid „nicht gänzlich“ausgeschlo­ssen werden. Weitere Erkenntnis­se seien nicht zu erwarten, weil die Spurensich­erung vor Ort den Maßstäben, wie sie in Deutschlan­d angewandt würden, „nicht annähernd“gerecht worden sei.

Der Augsburger Rechtsanwa­lt Andreas Thomalla vertritt Anja K. Er sagt, viele Fragen zu dem Fall seien nur unzureiche­nd oder nicht beantworte­t. Den deutschen Behörden könne man aber keinen Vorwurf machen. Sie hätten das, was von Deutschlan­d aus möglich gewesen sei, unternomme­n. K.s Leichnam ist noch auf Sansibar verbrannt worden, seine Urne wurde hier in Deutschlan­d beigesetzt. sollte er sein

 ?? Foto: Den‰Belitsky, stock.adobe.com ?? Strand auf Sansibar: Für viele Menschen ist es eine Trauminsel. Auch ein 52‰Jähriger Augsburger machte hier Urlaub – er kam unter ungeklärte­n Umständen ums Leben.
Foto: Den‰Belitsky, stock.adobe.com Strand auf Sansibar: Für viele Menschen ist es eine Trauminsel. Auch ein 52‰Jähriger Augsburger machte hier Urlaub – er kam unter ungeklärte­n Umständen ums Leben.

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