Augsburger Allgemeine (Land West)
Senioren handelten rücksichtslos
Was mag in Senioren vorgehen, die sich mitten in der zweiten Corona-Welle in einen Reisebus setzen und zu einer mehrtägigen Vergnügungsreise aufbrechen? Die offenbar jegliches Risiko ignorieren, während die Berichterstattung voll ist von Corona-Fällen in Altenheimen, von Anstrengungen, die die Gesellschaft auch zum Schutz älterer Menschen unternimmt, sowie von Todesfällen, die trotz allem gerade Ältere treffen.
Auf den ersten Blick ist man als Außenstehender fassungslos. Wie können 25 erwachsene Menschen kollektiv glauben, ihnen könne das Virus nichts anhaben? Das ist die nahe liegende Frage. Doch auf den zweiten Blick wird man sich wohl um Verständnis bemühen müssen. Sozialkontakte und Nähe sind lebenswichtig – und auf die mussten auch Senioren während der Pandemie schmerzlich verzichten. Zu ihrem Schutz wurden sie isoliert, durften teilweise über Monate ihre Lieben nicht sehen und saßen einsam zu Hause.
Ausflüge wie die AWO-Herbstfahrten sind schon in „normalen“Zeiten für viele ältere Menschen ein Highlight, auf das hingefiebert wird. Hier trifft man sich unter Gleichgesinnten, kommt für ein paar Tage von zu Hause weg und hat eine gute Zeit. Von den Erinnerungen lässt es sich danach noch lange zehren.
Es mag menschlich sein, dass in solchen Fällen die persönliche Risiko-Abwägung zugunsten der Fahrt ausfällt – klug ist es wohl nicht. Und vor allem nicht rücksichtsvoll, wie der aktuelle Fall zeigt, bei dem womöglich eine ganze Familie unter den Nachwirkungen des Ausflugs leiden muss. Die AWO muss sich fragen lassen, warum sie mit der Organisation der Fahrt die Senioren überhaupt erst in diese Gewissensentscheidung getrieben hat.