Augsburger Allgemeine (Land West)
Ist die Lufthansa wieder bereit zum Abheben?
Nach den Erfolgsnachrichten der Impfstoff-Entwickler hat sich die Lage für die schwer angeschlagene Airline scheinbar stark gebessert. Doch die Kursrallye an der Börse könnte trügerisch sein, denn viele Unsicherheiten bleiben
Frankfurt am Main Wirtschaft ist auch Psychologie. Das gilt erst recht für die Börse. Kaum hatte das Mainzer Pharmaunternehmen Biontech vor knapp zwei Wochen angekündigt, wahrscheinlich sehr bald einen fertigen und sehr sicheren Impfstoff zu haben, schossen die Kurse an der Börse nach oben. Der deutsche Leitindex Dax sprang an einem Tag fast fünf Prozent in die Höhe. Noch einmal deutlich getoppt haben das die Papiere der Lufthansa: über 20 Prozent Plus an einem Tag. Seitdem hat die Aktie sich gut behauptet, erst recht nachdem auch die US-Pharmafirma Moderna die glänzenden Ergebnisse ihrer Impfstofftests veröffentlichte und Biontech am Freitag schon die Zulassung in den USA beantragt hat. Die Börse glaubt offenbar wieder an eine bessere Zukunft der Airline, die im Frühjahr nur durch ein Neun-Milliarden-Paket des Staats vor dem Crash gerettet werden konnte. Dabei herrschte nur kurz vor dem Kurssprung noch Katerstimmung. Wie kann die so schnell verfliegen?
An den Buchungszahlen liegt es sicher nicht. Das Passagieraufkommen ist nach verhaltener Besserung während der Sommermonate erneut eingebrochen. Im dritten Quartal kamen alle Konzern-Airlines zusammen auf gerade einmal 20 Prozent der Fluggäste im Vergleich zum Vorjahr, erklärte LufthansaChef Carsten Spohr Anfang November bei der Vorlage der Zahlen für das dritte Quartal. Angesichts großflächiger Ausweisung von Risikogebieten und strenger Quarantäneregeln ist da auch so schnell keine Besserung zu erwarten. Zudem fließen noch immer jeden Tag Millionenbeträge aus dem Unternehmen
Dem Vorstand gelang es zwar zwischenzeitlich, den Wert von einer Million Euro pro Stunde aus dem Frühjahr zu halbieren. Doch mittlerweile steigt die sogenannte Cash-Burn-Rate wieder. Spohr hat nun versichert, den Abfluss auf höchstens 350 Millionen Euro pro Monat zu begrenzen.
Unterm Strich steht aber nach neun Monaten ein Minus von 5,6 Milliarden Euro in der Bilanz – bei einem Umsatz von elf Milliarden. Große Löcher haben Abschreibungen auf nicht mehr benötigte Flieger und Kerosinkontrakte gerissen. Wenn weltweit niemand mehr Flugzeuge kaufen will, sind selbst die teuersten Maschinen kaum noch etwas wert – siehe die stillgelegten A380. Gespart wird weiterhin an allen Ecken: Ersatzteile für die noch fliegenden Teile der Flotte sollen stillgelegten Maschinen entnommen, Büroflächen gestrichen werden. Der Flugbetrieb der Tochter Germanwings wurde ganz eingestellt. Doch die größte Baustelle bleibt für Spohr weiterhin der angestrebte Personalabbau.
Von den zu Jahresbeginn noch rund 138 000 Stellen sollen nur rund 100000 übrig bleiben. Gut 14000 Mitarbeiter sind bereits ausgeschieden, die meisten davon bei der zum Verkauf stehenden Catering-Tochter LSG Sky Chefs. Mit Boden- und Kabinenpersonal gibt es zudem Krisenverträge mit spürbaren Einschnitten für die Beschäftigten. Aber für die Piloten, die Gruppe mit den höchsten Einkommen, wird noch immer nach einer Lösung gesucht. Die Laune der Anleger trübt das offenbar nicht. Zuletzt war sogar eine Anleihe, mit der die Lufthansa sich 600 Millionen Euro beschafft hat, so stark überzeichnet, dass das Unternehmen deutlich weniger Zinsen zahlen muss als angeboten. Blinder Optimismus?
Es sind wohl nicht zuletzt die extrem guten Zahlen über die Schutzwirkung der Impfstoff-Kandidaten von Biontech und Moderna, welche die Kurse beflügeln. Das sagt der DZ-Bank Luftfahrt-Experte Dirk Schlamp im Gespräch mit unserer Redaktion. Erwartet worden waren die Impfstoffe. Er sagt aber auch: „In Relation zum Zustand des Unternehmens ist der Aktienkurs gar nicht so extrem gefallen. Das lag sicher auch daran, dass es mit dem Einstieg von Herrn Thiele schnell einen neuen Großaktionär gegeben hat. Und die Märkte gehen davon aus, dass das Unternehmen nicht pleitegehen kann, denn der Staat ist ja in die Verantwortung gegangen.“
Der Münchner Milliardär HeinzHermann Thiele hat im Frühsommer in mehreren Schritten rund ein Zehntel der Lufthansa-Anteile gekauft. Nachdem es lange ruhig um ihn geblieben ist, hat er sich Anfang des Monats wieder zu Wort gemeldet. Wenn die Gewerkschaften nicht bald einlenkten, müsse die Lufthansa ihre nicht mehr zeitgemäßen Tarifvereinbarungen kündigen und im großen Stil Personal kündigen, polterte er in der Frankfurter Allgemeinen. Doch wenige Tage später kam die Meldung der Impfstoffentwickler. Nun könnte ausgerechnet diese für die Wiederausweitung des Flugbetriebs gute Nachricht die Restrukturierung der Lufthansa erst einmal ausbremsen.
Bei der Vorlage ihres jüngsten Verhandlungsangebots versäumte es die Pilotengewerkschaft Vereiniab. gung Cockpit jedenfalls nicht, darauf hinzuweisen, dass dieser Erfolg „die Zukunft besser vorhersehbar gemacht“habe. Folglich gehe es nun nicht um Personalabbau, sondern um Zugeständnisse bei Gehalt und Altersversorgung, um „schnell und reibungslos aus der Krise zu starten sowie eventuell frei gewordene Märkte zu besetzen“.
Doch so schnell, wie das viele gerne hätten, dürfte das nicht gehen, erklärt Luftfahrt-Analyst Schlamp. Denn zunächst müssten weite Teile der Bevölkerung geimpft werden – weltweit. Das dauert und deswegen dürfte auch das Jahr 2021 noch schwierig werden. „Gerade Länder, die auf einem guten Weg sind, werden natürlich sehen, dass sie sich nicht wieder neue Fälle ins Land holen“, sagt Schlamp. Vielleicht braucht man zum Fliegen in Zukunft einen Impfpass oder muss vor dem Abflug einen Corona-Test machen? Die Lufthansa experimentiert jedenfalls schon auf einer Strecke mit verpflichtenden Antigentests vor dem Abflug. Viele weitere Fragen sind auch noch offen: Wie lange hält die Immunität an? Wird das Virus mutieren und die Wirksamkeit der Impfung nachlassen? Abgesehen davon wird die Krise auch in anderen Branchen strukturelle Veränderungen hinterlassen. Viele Treffen und Konferenzen dürften auch nach der Krise digital stattfinden, weil Unternehmen sparen müssen oder wollen. Auch bei vielen Arbeitnehmern sieht es dann vielleicht finanziell nicht so gut aus, sodass Flugreisen in den Urlaub ausfallen könnten.
Wer jetzt voller Optimismus in Lufthansa-Aktien investiert, könnte also noch eine Bauchlandung hinlegen. Denn ein gewichtiger Punkt ist noch gar nicht erwähnt: Die Lufthansa verfügt zwar durchaus noch über eine beruhigende Liquiditätsreserve. 6,3 Milliarden Euro aus dem Hilfspaket der Bundesregierung sowie aus ähnlichen Paketen in der Schweiz, Österreich und Belgien sind noch nicht abgerufen. Insgesamt standen Ende September liquide Mittel in Höhe von 10,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Aber die Gelder müssen ja wieder zurückgezahlt werden. Das kann dauern, zumal die Gewinnmargen eher sinken werden, wenn die vielen stillgelegten Flugzeuge wieder aktiviert werden und das Angebot steigt. Und das schmälert die Investitionen, etwa in neue, effizientere Flugzeuge.
Der Personalabbau ist noch längst nicht abgeschlossen