Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Frage der Woche Jammern?
Jammern ist trotz des häufigen Gebrauchs eine verpönte Kulturtechnik. Man kann zwar zu großer Meisterschaft gelangen – Jammervirtuosen reicht oft schon ein kleiner Seufzer oder ein lässig hingeworfenes „ach“, um auf die miserablen Lebensumstände hinzuweisen. Aber meist wird diese über Jahre hinweg verfeinerte Jammerkunst nicht geschätzt. Wie eben das ganze Jammern nicht. Die besten Jammerer werden als Lappen diffamiert, sie sind so etwas wie die Flachschwimmer im großen weiten Klagemeer. Trauen sich nicht ins Tiefe!
Unterschätzt wird dabei, wie wohltuend das gepflegte Jammern ist. Es ist ein wichtiges Ventil, um ein bisschen vom alltäglichen Frust loszuwerden, etwas Trübsinn abzulassen. So kann sich nichts aufstauen, kommt es nicht zum Ausbruch. Sehr schwer zu ertragen sind jedenfalls jene, die lotusblütenartig durchs triste Dasein wandeln – Leitspruch: „Alles perlt von mir ab“– und einem entgegenschmettern: „Ach, ist doch nicht so schlimm.“Aber so tun, als sei alles supertoll, ist auch Blödsinn. Das ist Selbstbetrug, Eskapismus in den Ponyhof. Und andererseits: Soll man jetzt etwa, weil das Land schon wieder halb lahmgelegt ist, jeden Tag im Büro den Kopf rhythmisch auf den Schreibtisch schlagen und zur großen Suada anheben? Nein! Das halten ja auch die Kollegen nicht aus. Aber ein bisschen jammern, Freunde, das ist, wie ein bisschen essen und ein bisschen trinken, man fühlt sich wunderbar nach. Am besten man macht es zu zweit! Dann fühlt man sich verstanden, von Lappen zu Lappen, spürt wie es einem leichter ums Herz wird. Man sollte es trainieren! Vielleicht sogar Selbsthilfekurse anbieten: So jammern sie richtig! Aber ach, auf uns hat noch nie jemand gehört…
Es ist ja etwas Kindliches, dieses Jammern, etwas Kleinkindliches, das man dem Nachwuchs nicht von ungefähr genervt abzuerziehen versucht, weil es irgendwann bloß noch kindisch wirkt, aber spätestens bei Erwachsenen nur noch eines ist: jämmerlich. Denn wer wirklich leidet, wirklich in Not ist, wem es wirklich schlecht geht, der nölt eben nicht selbstmitleidig rum. Im bleibenden Jammern kann man insofern ein Zeichen einer disziplinarischen Wohlstandsverwahrlosung, einer infantilen Wirklichkeitsverweigerung, einer sentimentalen Unselbstständigkeit erkennen. Drama, Baby!
Klar, wahrscheinlich geht es dabei, wie beim Kleinkind, meist mehr darum, dass, wie einst Mutti oder Papi, irgendwer mitfühlt und tröstet, verständig in den Arm nimmt – und das gehört ja auch zum Miteinander des Mensch(lich)seins. Aber das verkommt hier zum Kultivieren einer
Theatralik und nutzt die Empathie zusehens ab. Den notorischen Jammerlappen will bald keiner mehr trösten, auch wenn es dann mal wirklich Not täte. Jammern schadet also auch dem Jammernden.
Es gibt eine einzige Ausnahme, eine Kunstform, beobachtet an einer Freundin einst. Zog sich in solcher Stimmung in ihr Zimmer zurück, bemitleidete sich selbst, bis ihr die Tränen kamen, betrachtete sich selbst weinend im Handspiegel – und tauchte dann wieder wie gereinigt und geklärt zurück in der gemeinsamen Wirklichkeit auf. Toll! Aber wer kann das schon? Für alle anderen gilt noch immer Franz von Assisis Leitsatz: „Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“Indirekt sagte der Heilige da deutlich, was er vom Rumheulen hielt. Nix.