Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Schlössle sucht man in Lechhausen vergeblich
AugsburgAlbum Das 1969 abgebrochene Schlössle im Zentrum Lechhausens war ein bescheidenes Bauwerk. Seine Geschichte reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Was an seiner Stelle entstanden ist
Keine Adelsfamilie, sondern der Unternehmer Michael Meißler ist „Schlössle“-Besitzer in Lechhausen. Er wohnt nicht darin, denn das Schlössle ist kein herrschaftlicher Wohnsitz, sondern ein moderner Vielzweck-Gewerbebau. Große Aufschriften „Ärztehaus Schlössle“zeigen an, dass kein Irrtum vorliegt: Dieses so gar nicht schlossartige Gebäude heißt Schlössle. So ist auch die Straßenbahn- und Bushaltestelle davor benannt. Die postalische Anschrift lautet schlicht Neuburger Straße 40.
Die Arztpraxen befinden sich in den oberen Stockwerken, das Parterre ist die Geschäfte-Ebene. Die Internet-Wegweiser zu Ärzten fügen der Adresse meist „im Schlössle“hinzu. Doch gerade dieser Hinweis dürfte schon manche Erstbesucher verwirrt haben: Sie suchten vergeblich ein Schlössle. Woher sollten sie wissen, dass hier lediglich Historie in einem Neuzeitbau weiterleben soll: Hier stand mal das Lechhauser Schlössle.
Solch einen wohlklingenden Namen legt man ungern ab, auch wenn das 1969 abgebrochene Schlössle nicht wirklich ein kleines Schloss, sondern ein maroder, unspektakulärer Bau war. Doch er hatte Geschichte: Er gehörte jahrhundertelang
Im Schlössle residierte die höchste Amtsperson
zum Ortszentrum im einst bäuerlich geprägten Lechhausen. Das Schlössle unterschied sich von den Bauernhäusern, auch wenn es nicht größer als die meisten Wirtschaften war. Doch hier residierte die höchste staatliche Amtsperson, der Zolleinnehmer. Das führte zur Bezeichnung Schlössle.
Die älteste Abbildung des Dorfzentrums von Lechhausen mit Taverne, Schlössle und Kirche stammt aus dem Jahr 1625. Im Dreißigjährigen Krieg brannte 1632 und 1633 ein Großteil von Lechhausen nieder – auch das Schlössle. Nach Ende des Krieges (1648) wurde es in einfachem Stil wiederaufgebaut. Erst bei späteren Umbauten erfolgte die optische Aufwertung: Es bekam Erker. 1765 zog der kurfürstliche Kammerrat Johannes Aloisius von Stubenrauch ein. Seine Ämter: Grenzzöllner und Inspektor der einträglichen Lechhauser Floßlände. Er starb 1793.
Seine Witwe erlebte während des Spanischen Erbfolgekrieges 1796 den mutigen Einsatz des französischen Adeligen Franz de Bouché. Er das „Schlössle“mit gezogenem Degen vor der Plünderung. Diese Episode ist auf einer Tafel am einstigen Rathaus, der heutigen Polizeiinspektion (Blücherstraße 11), überliefert. Als Sitz kurbayerischer Beamter hatte das Schlössle 1806 ausgedient. Der Grund: Das Königreich Bayern war gegründet worden. Dazu gehörte auch die ehemalige Reichsstadt Augsburg. An der Lechbrücke waren nun keine Ausoder Einfuhrzölle mehr fällig. Der Lechhauser Zöllner war überflüssig.
Das Königreich Bayern verkaufte das als Dienstgebäude überflüssig gewordene Schlössle. Es wechselte des Öfteren den Besitzer. Als 1843 die Arztwitwe Elisabeth Huttler das „Schloßgütl“mit Stadel, Stall und Wagenremise sowie einem „Wurzgarten“erwarb, war sie bereits die fünfte Eigentümerin seit 1806. Ihr Sohn Max Huttler wurde 1842 Benediktiner bei St. Stephan in Augsburg. 1851 kaufte die Abtei das Schlössle. 1854 trat Huttler aus dem Orden aus, wurde Zeitungsherausgeber und Landtagsabgeordneter. Das Schlössle blieb ein landwirtschaftlicher Gutshof der Benediktiner und wurde von den Lechhausern „Klösterl“genannt.
Im August 1899 vernichtete ein Brand Scheunen und Ställe. 30 Rinder und die Schweine konnten gerettet werden. Die landwirtschaftlichen Gebäude wurden wiederaufgebewahrte
das Wohngebäude war unbeschädigt geblieben. Im Lechhauser Adressbuch von 1904 heißt es bei der Adresse Marktplatz 1 „sogen. Schlößchen, Oekonomiegut“. Besitzer: Benediktinerstift St. Stephan. Bewohner sind 1904 der Verwalter und Karl Seiderer, rechtskundiger Bürgermeister der Stadt Lechhausen. Das Dorf war 1900 zur Stadt erhoben worden. 1913 wurde Lechhausen von Augsburg eingemeindet und zum Stadtteil.
1920 verkauften die Benediktiner von St. Stephan das Schlössle an die Landwirtschaftliche Zentralgenossenschaft. Aus Scheunen und Ställen wurden Lagerhäuser. In den 1930er-Jahren übernahm die Baywa das Areal, 1961 verließ sie es. 1964 kaufte die Stadt Augsburg das
Grundstück. Im Dezember 1966 wurden die Lagergebäude abgebrochen, 1969 verschwand das Schlössle. Protesten gegen den Abbruch stand die Tatsache gegenüber, dass das Schlössle kein Baudenkmal war. Es wurde sogar als „Bruchbude“ohne historische Substanz bezeichnet.
Die Abbrüche machten den Weg frei für eine zeitgemäße Bebauung des kostbaren Baugrunds sowie für eine Verbesserung der Verkehrssituation: Die Neuburger Straße konnte verbreitert und die Blücherstraße an ihrem Beginn aufgeweitet werden. Wo das Schlössle stand, rollt heute der Verkehr. Die Stadtsparkasse übernahm das große Restgrundstück. Stadtpolitiker wünschten sich darauf ein Einkaufszenbaut, trum. Es werde das Zentrum von Lechhausen aufwerten, hieß es.
Im August 1972 wurde die Genehmigung für einen fünfstöckigen Vielzweckbau mit Läden, Gastronomie, Sparkasse, Arztpraxen, Büros und einem Parkdeck erteilt. Dass der neue Großbau mit Sichtbeton und drei dunkel verkleideten Geschossen„Schlössle“heißen sollte, sorgte vielfach für Verwunderung. Mit der 2015 gegründeten Augsburg Schlössle GmbH bekam die Gewerbe-Immobilie neue Besitzer.
Sie führten die energetische Sanierung, Umbauten und eine Auffrischung der Außengestaltung durch. Im Februar 2020 lautete dann eine Zeitungsüberschrift: „Das Lechhauser Schlössle hat einen neuen Besitzer“.