Augsburger Allgemeine (Land West)
Münchens Herz blutet
Tradition Der Viktualienmarkt ist die gute Stubn der Landeshauptstadt. In der das Leben pulsiert und die Marktfrauen das Sagen haben. Die Unsicherheit begann, als Umbaupläne die Runde machten. Dann kam Corona und aus der Unsicherheit wurde Verzweiflung
München Die gute Stubn. Das Herz der Stadt. Ein Wahrzeichen. Ein Original. Wo die Einheimischen sich über die Preise ärgern und doch nicht ohne diesen Ort können. Wo die Marktfrauen granteln und zwischen Schickeria, Feinschmeckern und Touristen jede Klientel einkauft. Das ist Münchens Viktualienmarkt – mit seinem einzigartigen Charme, der ihn auf der ganzen Welt berühmt gemacht hat.
Da sind die urigen Markthütten aus Holz, in denen die Kundschaft alles von Artischocken bis Ziegenkäse erstehen kann. Die sechs Brunnendenkmäler, von denen jedes an ein Münchner Original erinnert, Karl Valentin und Liesl Karlstadt zum Beispiel. Und natürlich die ikonischen Standl selbst. Die Bäckerliesl, das Räucherkistl oder die Saure Ecke. So kennt man den Viktualienmarkt. Und so lieben ihn die Leute. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Und das liegt nicht nur an Corona.
Wenn es nach den Plänen der Stadt München geht, soll der Viktualienmarkt in der Altstadt modernisiert werden – genau so wie alle anderen festen Lebensmittelmärkte. Ziel sei, „die gestiegenen Anforderungen im Bereich Lebensmittelhygiene, Statik und Arbeitsschutz auf den neuesten Stand zu bringen. Gleichzeitig soll der charakteristische Charme jedes einzelnen Marktes erhalten bleiben.“
Die Pläne stoßen bei einigen Münchnern auf Widerstand. Das wäre dann nicht mehr ihr Viktualienmarkt, klagen sie. Unter ihnen ist auch der CSU-Bundestagsabgeordnete
Wolfgang Stefinger. „Wir sind überzeugt, wenn der Markt übermodernisiert wird, verliert er sein Gesicht und München damit seine Seele. Wir wollen keine modern designten Hütten, sondern einen authentischen Markt, der zu München passt.“2017 gründete Stefinger deshalb einen Verein, mit dem Ziel, sich für den Erhalt des Viktualienmarkts mit seinem besonderen Charme einzusetzen.
Bei der Stadt München stößt diese Kritik zum Teil auf Unverständnis. Eine Sprecherin des Kommunalreferats sagt auf Nachfrage: „Die Umbaupläne werden seit Beginn der Sanierungsplanungen jederzeit klar und transparent kommuniziert.“Die Arbeiten am Elisabethmarkt haben bereits begonnen, danach folgen der Markt am Wiener Platz, der Pasinger Viktualienmarkt sowie der Viktualienmarkt in der Altstadt. „Ziel ist es, aus den Sanierungen der kleinen Märkte Erfahrungen zu sammeln, um sie schließlich bei der Sanierung des mit Abstand größten Lebensmittelmarktes für einen möglichst reibungslosen Ablauf anwenden zu können“, heißt es.
Und was halten diejenigen davon, die von der Sanierung direkt betroffen wären? „Ich bin prinzipiell nicht abgeneigt“, sagt Elke Fett, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Viktualienmarkt. „Ein sanfter und behutsamer Umbau wäre okay.
Aber momentan machen wir uns ohnehin ganz andere Gedanken.“Denn: „Corona hat alles verändert.“
Die 76-Jährige steht an der Kasse ihres Standls, im Duftschmankerl, wie sie ihre Bude passenderweise getauft hat. In Körben mit weißen Spitzeneinlagen bietet sie ihre Ware an: Gewürzsträußchen, gebunden aus Nelken, Zimtstangen und Anissternen. Getrocknete Rosenknospen und Lavendelblüten in transparenten Stoffsäckchen. Seifen, Öle und Duftsprays. Schnell ist klar: Die Marktfrau mit den knallrot geschminkten Lippen ist um einen kessen Spruch nicht verlegen. „Bei uns am Markt passt halt alles zusammen: multikulti und international, nett und grantig, Moslems, Juden, Blinde und Lesben, das ist alles scheißegal. So kenn’ ich meinen Viktualienmarkt und so will ich ihn wieder haben.“
Seit Mitte März ist auf dem Marktplatz vieles nicht mehr so, wie es früher war, erzählt Elke Fett. Sie es wissen. Seit über 25 Jahren betreibt sie ihr Duftschmankerl. „Früher, da ging es richtig ab“, erzählt sie. „Von Oktober bis Dezember war es knackvoll, egal wie das Wetter war.“Da kamen reihenweise Touristenbusse an. Morgens um sieben machte sie auf, mit fünf Mitarbeitern. Den ganzen Tag gab es keine Verschnaufpause, man hätte sich eigentlich zerteilen müssen, um alles zu schaffen. „Aber wir waren glücklich und die Geldtasche war voll.“Doch das war vor der Krise.
Die Pandemie hat auch den Viktualienmarkt mit voller Wucht getroffen – mitsamt seinen 110 Händlern. „Wir sind der Viktualienmarkt, wir sind weltberühmt“, betont Elke Fett immer wieder. Doch wie viel von diesem Kultstatus ist an diesem Vormittag noch übrig?
Als die Marktfrau um zehn Uhr morgens ihr Standl eröffnet, dauert es seine Zeit, bis die erste Kundin kommt. Bei manchen Nachbarn ist es nicht anders. Auch Manuela Teltschik erzählt hinter der Theke ihres Würstl-Standl, was sich für sie verändert hat. „Im Vergleich zu vor Corona sind wir weit weg von der Normalität. Es ist ungemütlicher, unpersönlicher, hektischer geworden. Corona hat die Hässlichkeit der Menschen hervorgebracht.“
Ganz anders ist die Situation an den Lebensmittelständen, bei den Obst-, Gemüse-, Fleisch- und Fischhändlern. Überall warten Kunden in Schlangen und mit Abstand vor den Buden, mit dem Korb in der Ellenbeuge oder dem Stoffbeutel über der Schulter. Um einzukaufen für das Abendessen, für das Wochenende, für den Sonntagsbraten. „Uns geht’s gut, wir machen auch während Corona ein super Geschäft“, sagt ein Verkäufer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Leute können nicht mehr essen gehen und dann kaufen sie dafür lieber bei uns ein, um daheim lecker zu kochen.“
Um Punkt 12 schallt das Glockenmuss spiel der Frauenkirche über den Viktualienmarkt. Mittlerweile sind ein paar Menschen gekommen, die durch die Budengassen streifen. Dick eingepackt sind schon viele, denn obwohl die Sonne scheint, ist es schon winterlich kalt an diesem Tag. Immer präsent: der Mund-Nasen-Schutz. Denn auf dem ganzen Marktplatz gilt Maskenpflicht. Viele kaufen sich für die Mittagspause eine Kleinigkeit für auf die Hand, suchen sich einen Platz in der Sonne, um in ihre Wurstsemmel zu beißen oder stehen am SuppenküchenStandl für einen Gemüseeintopf an.
Bei Wolfgang Kager ist es ruhig. Was er verkauft, weiß man gleich, wenn man ihm gegenübertritt. Im Gesicht trägt er eine quietschgelbe Maske mit einer Biene drauf – ihm gehört seit vielen Jahren das Honighäus’l am Viktualienmarkt. „Coronabedingt haben wir einen Umsatzrückgang von 50 Prozent. Wir haben zwar Stammkunden, aber wir leben von den Touristen.“
Drei Personen gleichzeitig dürften noch in sein Häuschen. „Aber da geht das Einkaufserlebnis verloren. Bei uns will man stöbern, probieren, Gläser anschauen. Und nicht in der Kälte warten, bis man rein darf.“Auch andere Standlbetreiber haben Sorgen. „Ich schätze, dass wir mehrere Millionen Besucher im letzten Jahr hatten und heuer nicht mal annähernd so viele“, sagt Elke Fett. „Aber das bisschen, was wir haben, wollen wir halten. Der Viktualienmarkt hat den Ersten und Zweiten Weltkrieg überstanden. Wir schaffen die Corona-Krise und auch den Dritten Weltkrieg, wenn’s sein muss. Wir werden nicht sterben.“
Der Viktualienmarkt ist eine Institution, seit mehr als 200 Jahren. Seinen Ursprung hatte er 1807. Damals handelten die Münchner noch auf dem heutigen Marienplatz. Händler und Bauern boten Fisch und Wein, Getreide, Kartoffeln, Rüben, Milch, Eier und allerlei Tiere an. Der frisch gekrönte bayerische König Max I. Joseph verlegte den Markt schließlich. „Hoch und Nieder, Arm und Reich finden sich hier zusammen, um für des Leibes Nothdurft und Ergetzen zu sorgen, ein jeder, wie er es vermag“– so kommentierte das Stadtblatt die Eröffnung des neuen Standortes.
Seinen Namen bekam der Markt wohl Anfang des 19. Jahrhunderts. Das Wort Viktualien leitet sich vom lateinischen victus ab, das übersetzt so viel wie Vorräte oder Lebensmittel heißt. Lateinkenntnisse galten zu dieser Zeit eben als schick.
1944 legten dann Bombenangriffe Teile der Altstadt in Schutt und Asche, auch der Markt wurde zerstört.
Einer sagt: Wir wollen keine modern designten Hütten
Es gibt viele Sorgen – und etwas Hoffnung
Nach dem Krieg gab es Pläne, den Platz neu zu bebauen, jedoch anders als zuvor. Hochhäuser vielleicht? Oder eine Stadtautobahn? Solche Pläne scheiterten am Protest der Münchner – die ihren Markt so behalten wollten, wie er ihnen ans Herz gewachsen war.
„Auf dem Viktualienmarkt einen Stand haben, das will jeder“, erzählt Elke Fett. „Aber für die Arbeit ist kaum einer geschaffen.“Man müsse knallhart sein, nicht wehleidig, und viel aushalten können. „Wir Marktfrauen sind zäh und haben den Ruf, dass wir granteln. Aber dass der Viktualienmarkt weltberühmt ist, kommt nicht von ungefähr. Das haben wir erarbeitet.“
Was der Viktualienmarkt in der Vergangenheit einmal war, hilft der Marktfrau ein wenig über die Unsicherheit in dieser Zeit. Bang blickt die 76-Jährige auf die kommenden Monate, auf das Weihnachtsgeschäft und darauf, wie es mit Corona bis zum Ende des Jahres weitergeht. Und trotz der vielen Sorgen gibt sich Elke Fett auch ein wenig hoffnungsvoll: „Wir Händler wollen als Freiluftmarkt in der Altstadt den Besuchern zeigen, was wir können.“Jeder wolle seinen Stand für die Weihnachtszeit richtig schön herausputzen und dekorieren. „Wir können sinnlich sein, wir können weihnachtlich sein, wir sind nett. Wir bringen einfach Gefühle rüber.“