Augsburger Allgemeine (Land West)
Adel: Abgeschafft, aber noch voller Prestige
Die Weimarer Republik hat den deutschen Adel aufgelöst. Dennoch fasziniert die Aristokratie bis heute viele Menschen. Eine Spurensuche in der Region
Westerringen Sie tragen klangvolle Namen: Gloria Fürstin von Thurn und Taxis, Ernst August Prinz von Hannover, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg. Doch der Schein trügt. Sie sind, wie alle früheren Adeligen und ihre Nachkommen, bürgerliche Menschen. Mit der Ausrufung der Weimarer Reichsverfassung im Jahr 1919 verlor der Adel nämlich seine staatlichen Privilegien und Titel. Dennoch ist heute noch das Interesse an der Aristokratie in vielen Teilen der Bevölkerung ungebrochen.
Davon weiß auch Benno Freiherr von Rechenberg zu berichten. „Dazu tragen vor allem Filme und die Regenbogenpresse bei, die Faszination und Glamour des Adels schüren“, verdeutlicht er. „Darin weckt der Adel die Sehnsucht nach einem prachtvollen und sorglosen Leben mit Reichtum, Glanz und Traumschlössern.“Er selbst kann weder mit Schloss noch Burg aufwarten. Der pensionierte juristische Staatsbeamte lebt mit seiner Frau Inifrau, die als Lyrikerin und akademische Malerin bekannt ist, seit über drei Jahrzehnten „nur“in einem stattlichen Haus aus dem Jahr 1900 in Westerringen. „Eine Gunst verblieb allerdings nach der Abschaffung der Standesvorrechte“, stellt er fest. „Die Mitglieder der Adelsfamilien durften den alten Titel als Bestandteil des bürgerlichen Namens und auch das ,von‘ behalten.“Im täglichen Leben verzichtet Benno von Rechenberg auf die Bezeichnung „Freiherr“. Sie gehörte zum „titulierten Adel im Heiligen Römischen Reich“und entsprach dem „Baron“in nordischen Sprachen. Doch wie sieht sich von Rechenberg selbst, betrachtet er sich als Angehöriger einer sozial exklusiven Gruppe? „Traditions
und das Bewahren von Werten ist bei mir schon ausgeprägt“, gesteht er. „Auch Begriffe wie Pflichtbewusstsein, Güte und Achtung.“In der Schulzeit, die er in der Tübinger Region verbrachte, habe er eine Art Unantastbarkeit empfunden. „Meine Eltern waren nicht mit Reichtum gesegnet, sie haben mir aber immer gesagt, dass ich mich vornehm zeigen solle, getreu dem Motto Adel verpflichtet.“Demzufolge sei ihm sein Umfeld mit Respekt begegnet. „Ich war in meiner Kindergarten- und Schulzeit nie in eine Rauferei verwickelt.“Dieses Ansehen hatte aber zur Folge, dass er auch ausgegrenzt wurde. „Respekt und Achtung schaffte Distanz“, formuliert er. Auch heute gelte das noch. „Um diesen Abstand zu überbrücken, muss ich oft besonders leutselig sein“, lächelt der 71-Jährige.
Auf der anderen Seite sind viele Menschen stolz, wenn sie von der Familie von Rechenberg erstmals eingeladen werden. „Da spielt schon eine gewisse Neugier auf den Adel mit.“Überrascht seien dann etliche, dass er bei vielen Arbeiten, auch im Garten, selbst Hand anlegt und beim Umzug schon mal einen 7,5-Tonner steuert. Überhaupt: Bei Benno von Rechenberg und seiner Frau treffen die herkömmlichen glamourösen Vorstellungen eines „adligen Lebens“nicht zu. Als „Adliger“blicke er lediglich auf eine lange Familienbewusstsein geschichte zurück. Und auf ein Wappen, das er hinter einem Glasrahmen behütet. Es besteht aus einem vierteiligen Schild in den Farben Rot und Gold. Er beinhaltet jeweils nach außen gewandt zwei Widder mit Straußenfedern auf dem Kopf und zwei Adler. Aus den umliegenden Helmen entwachsen ebenfalls Widder.
„Unsere Familie wird dem Meißnischen Uradel zugerechnet“, erzählt er. „1270 erscheint sie erstmalig mit Apitz de Rechenberg in einer Urkunde. Die Stammburg stand in Rechenberg-Bienenmühle im Erzgebirge. Die Burg war als Schutz eines Gebirgsübergangs angelegt und sollte den Zugang zu den einige Jahrzehnte zuvor entdeckten Erzvorkommen um Freiberg sichern.“Vor 1800 waren die in Sachsen ansässig gebliebenen Familienzweige bereits erloschen.
Der schlesische Zweig der Verwandten hatte seinen Stammsitz über mehr als drei Jahrhunderte auf Schloss Klitschdorf. Zwischen 1534 und 1703 wurden der Familie drei kaiserliche Freiherrn- und ein Grafendiplom ausgestellt. „Die schlesischen Güter gingen im 17. und 18. Jahrhundert verloren, teils durch Erbgang, aber auch im Gefolge der Gegenreformation.“Raubritter seien in der Familie keine gewesen. Aber ein Landeshauptmann der Grafschaft Glatz, ein sächsischer Oberhofmarschall, ein preußischer
Geheimer Regierungsrat, ein deutscher Gouverneur in Deutsch-Ostafrika und Schriftsteller. Stolz sei er darauf, dass es in Namibia einen Mount Rechenberg gebe.
Bis heute bestehen enge Familienbande. „Die Mitglieder der Familie konzentrierten sich zunächst auf das Königreich Sachsen“, so von Rechenberg. „Seit Anfang des 20. Jahrhunderts leben sie allerdings verteilt über Deutschland, Frankreich, USA sowie Australien, mit einem eigenen Zweig in der Schweiz.“Der gegenwärtige Bekannten- und Freundeskreis weise jedoch keine Blaublüter auf. „Insofern auch ein Beleg für die Entmystifizierung des Adels.“