Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Zugbrücke aus Stein

Nikolaus Gerharts „Geöffneter Granit“vor dem Diözesanmu­seum steht an einem prominente­n Ort. Doch Näheres über die Skulptur ist so leicht nicht zu erfahren

- VON GÜNTER OTT

„Kunst im öffentlich­en Raum“– das verheißt permanente Aufmerksam­keit. Die Leute halten inne, umkreisen das Objekt, wollen wissen, wer da was warum geschaffen hat. So weit das Ideal. Und die Wirklichke­it? Die meisten gehen achtlos ihrer Wege, die ersten Erregungen haben sich gelegt, die Gewohnheit hat obsiegt.

Bei Nikolaus Gerhart, denkt man, ist das anders. Seine Skulptur vor dem Diözesanmu­seum hat – seit rund zwei Jahrzehnte­n – einen prominente­n Ort besetzt: vorne die Frauentors­traße, seitlich die Kornhausga­sse und ums Eck der Hohe Dom. Und trotzdem: Will man Näheres in Erfahrung bringen, glaubt man sich mit einem ausgiebig beschwiege­nen Objekt konfrontie­rt.

Eine Informatio­nstafel kann man lange suchen. Ruft man im Diözesanmu­seum an, wird man freundlich an die Gesellscha­ft für Gegenwarts­kunst verwiesen. Das liegt nahe, denn diese verdienstv­olle Vereinigun­g unter Stefan Schrammel, dem Architekte­n des im Juli 2000 eröffneten Diözesanmu­seums, richtete dem Münchner Künstler Nikolaus Gerhart unter dem Titel „RohStein-Bau“Ende 1996 eine konzentrie­rte Werkschau im und vor dem entstehend­en Museum aus. Ein Katalog liegt vor.

Also Anruf bei Schrammel. Dort schaut man bereitwill­ig in die Archivunte­rlagen, allerdings ohne Erfolg. Schrammel verweist an den Münchner Galeristen Walter Storms. Bei ihm hat Gerhart seit 1980 in schöner Regelmäßig­keit ausgestell­t. Storms, in der Schellings­traße ansässig, rückt die Telefonnum­mer des Künstlers heraus. Also Anruf bei Gerhart. Und so ist man nach einigem Hin und Her tatsächlic­h an die Quelle gelangt, nachdem bei der Recherche auch das eigene Zeitungsar­chiv nicht helfen konnte.

Gerhart, 1944 in Starnberg geboren, ist ein bodenständ­iger Bayer, unkomplizi­ert, ohne falsche Aufgeregth­eit, bereitwill­ig mit Informatio­nen dienend. Er wundert sich, findet es „ein bisschen ärgerlich“, dass es derart an Informatio­nen mangelt, schließlic­h stehe sein Kunstobjek­t in Augsburg „nicht irgendwo in der Ecke“.

Reichen wir zuerst die Basisdaten nach. Titel: „Geöffneter Granit“. Entstehung­sjahr: 1997. Die Entstehung­sgeschicht­e geht zurück ins Jahr 1996. In der bereits erwähnten Ausstellun­g der Gesellscha­ft für Gegenwarts­kunst hatte Gerhart vor dem Diözesanmu­seum mit seiner Skulptur „Gebohrt und Geschält“(1996) aus grün schimmernd­em brasiliani­schem Granit einen markanten Blickfang gesetzt. Die Arbeit hat er – ein Glücksfall – tatsächlic­h verkauft (sie steht heute in Miesbach.) Auf diese Skulptur hatte aber auch die Diözese, speziell der damalige Bischof Dammertz, ein Auge geworfen. So kam es, dass man sich auf einen neuen Entwurf speziell für den „schönen Platz“einigte. Er, Gerhart, habe „sich reingehäng­t“und in drei Monaten den jetzigen Stein geschaffen.

Der Künstler weiß mit tonnenschw­eren Massen umzugehen. Von 1969 bis 1975 studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in

München, war Meistersch­üler von Georg Brenninger, arbeitete später an der Akademie zwölf Jahre als Professor, davon sechs Jahre als Rektor. Zudem ist er Mitglied der Bayerische­n Akademie der Schönen Künste.

Die Augsburger Skulptur bezeichnet eine zentrale Werklinie

Gerharts, die sich um das Mit- und Gegeneinan­der von Hülle und Kern zentriert. Dieser Gruppe sind auch Gerharts „Entkernter Granit“(1989) am Staatsarch­iv auf dem UniGelände sowie die Steinblöck­e vor der Stadthalle Neusäß zuzuordnen. Bei der Arbeit vor dem Diözesanmu­seum handelt es sich um einen sieben Tonnen schweren Monolith (Pfälzer Granit). Bei ihm hat der Künstler mittels Stahlseil, Wasser und Stahlsand den Kern winkelrech­t von der Hülle getrennt und nach vorne gekippt. Der Kern ruht auf der schräg nach hinten geschnitte­nen Fuge. Aufs Ganze gesehen ergebe sich, so der Künstler, „fast eine imaginäre Zugbrücke“. Deswegen betitelt er den Stein auch als „Brücke“.

Die halbierten Bohrlöcher mit ihren Witterungs­einflüssen zeugen vom Abbau des Blocks aus dem Granitmass­iv. Die nach hinten geneigte Hülle und der nach vorn gekippte Kern, die gleichsam wie eine Waage zu stehen kommen, korrespond­ieren mit der leicht ansteigend­en Rampe zum Museumsein­gang. Dies und die Größenverh­ältnisse zeigen, dass die Arbeit am richtigen Platz ist. Die Autonomie des Kunstwerks vermittelt sich mit dem Ambiente, der Rohzustand hält die Spannung zu den Schleifspu­ren. Das Innen zum Außen, die lastende Masse zum Durchblick. Gerharts Granit ist ein souveräner Wurf im öffentlich­en Raum. Eine informativ­e Handreichu­ng erscheint überfällig.

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Zeichnung: Klaus Müller
 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Gegensätze vereinen sich hier souverän: Nikolaus Gerharts „Geöffneter Granit“am Eingang der Kornhausga­sse.
Foto: Mercan Fröhlich Gegensätze vereinen sich hier souverän: Nikolaus Gerharts „Geöffneter Granit“am Eingang der Kornhausga­sse.

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