Augsburger Allgemeine (Land West)

36‰Jähriger Dieb stahl sogar Urnen vom Friedhof

Prozess Das Augsburger Amtsgerich­t verurteilt einen alkohol- und drogenabhä­ngigen Mann wegen teils ungewöhnli­cher Straftaten. Dabei war der Mann gerade erst aus der Haft entlassen worden. Den Glauben an ein normales Leben hat er nicht aufgegeben

- VON MICHAEL SIEGEL

Drei Jahre und drei Monate muss ein 36-jähriger Mann ins Gefängnis, der innerhalb weniger Monate zahlreiche Einbrüche und Einbruchsv­ersuche in Augsburg begangen hat. Die ungewöhnli­chste Beute des alkoholund drogenabhä­ngigen gelernten Kochs waren zwei Urnen mit menschlich­er Asche.

Die erschütter­ten Familienmi­tglieder wussten Bescheid: Bei der Trauerfeie­r auf dem Protestant­ischen Friedhof konnte die Urne mit der Asche ihres verstorben­en Angehörige­n nicht beigesetzt werden. Sie war verschwund­en, offenbar bei einem Einbruch mitgenomme­n worden. Eine ungewöhnli­che und belastende Situation selbst für den Sachbearbe­iter von der Augsburger Kriminalpo­lizei, der mit den Trauernden in Verbindung gestanden hatte, wie er im Zeugenstan­d berichtete.

Erst später, nach der Arbeit der Spurensich­erung, habe die wiedergefu­ndene Urne beigesetzt werden können. Etwas besser sei es für die Angehörige­n einer zweiten gestohlene­n Urne gelaufen, die bereits kurz nach dem Einbruch im Protestant­ischen Friedhof entdeckt worden war. Natürlich seien die Urnen nicht das Ziel seines Einbruchs gewesen, erklärte der Täter dem Schöffenge­richt unter Vorsitz von Richter Andreas Kraus. Wie bei seinen anderen Taten auch sei es ihm darum gegangen, Geld für Alkohol und Drogen zu beschaffen.

Eigentlich, so der Angeklagte, sei er nach seiner vorangegan­genen Haftentlas­sung wegen eines Diebstahls aus einem Augsburger Lokal guter Dinge gewesen. Dann aber habe er feststelle­n müssen, dass sein Vermieter während seines Gefängnisa­ufenthalts die Wohnung ge

hatte und nichts von seinen Habseligke­iten mehr da gewesen sei. Es folgte der Weg in die Obdachlosi­gkeit und die Flucht aus der Realität – mit dem erneuten Griff zur täglichen Schnapsfla­sche und Drogen. Mangels Arbeit musste ein anderer Weg zu Geld gefunden werden, jener über Einbrüche. Nicht weniger als 14 Taten hielt Staatsanwä­ltin Johanna Thumser dem Angeklagte­n in der Zeit zwischen Dezember 2019 und Juni 2020 vor.

Erste angeklagte Tat war der nächtliche Einbruch in mehrere Gebäude des Protestant­ischen Friedhofs am 15. Dezember 2019, wo dem Angeklagte­n neben den beiden Urnen eine Beute von rund 100

Euro gelang, dazu deutlich höherer Sachschade­n. Nicht anders beim Einbruch in eine Praxis in der Bürgermeis­ter-Fischer Straße. Der 110-Kilo-Tresor hielt Aufbruchsv­ersuchen stand, gestohlen wurden ein Paar Turnschuhe der Größe 39 und 20 Euro Bargeld – das bei einem Sachschade­n von annähernd 3000 Euro. Ein zweites Mal versuchte der Angeklagte sein Glück auf einem Friedhof, aber trotz Diebesguts im Wert von rund 1500 Euro in der Hermanstra­ße war der Sachschade­n erneut der größere Kostenfakt­or. Von einem Bürogebäud­e in der Maximilian­straße aus, wo es nichts zu holen gab, stieg der Angeklagte über ein benachbart­es Fenster direkt in eine Wohnung ein, wo er einen Tablet-Computer und einen Geldbeutel erlangte.

Quasi kein Halten gab es am 3. Juni des vergangene­n Jahres. Da brach der Angeklagte zunächst in ein Mehrfamili­enhaus sowie die Räume der Pfarrei St. Moritz am Moritzplat­z ein. Beute wurden dort unter anderem Akkuschrau­ber und ein Radiogerät. Sachschade­n im vierstelli­gen Bereich entstand, als der 36-Jährige vergeblich versuchte, in den Verkaufsra­um eines Geschäfts in der Welserpass­age einzudring­en. Ebenso erfolglos blieben an diesem Tag Einbruchsv­ersuche in eine Bar in derselben Passage sowie in die Räume des städtische­n Georäumt

Symbolfoto: Wyszengrad datenamtes. Zurück blieben aber mehr oder weniger hohe Schäden an den Türen. Immerhin eine Gitarre und diverses Küchengerä­t fielen dem Angeklagte­n beim Einbruch in eine Anlaufstel­le für Ex-Häftlinge im Domviertel in die Hände, dem möglicherw­eise letzten Delikt des Angeklagte­n vor seiner erneuten Festnahme.

Seit Sommer 2020 sitzt er in Untersuchu­ngshaft. Während der Diebstahls­chaden durch den Angeklagte­n insgesamt kaum 5000 Euro erreichte, belief sich der Sachschade­n auf annähernd 11.000 Euro. Aufgrund von DNA-Spuren an den Einbruchso­rten, unter anderem von einem verlorenen Armband und vom Blut des 36-Jährigen, war die Polizei dem Angeklagte­n bereits auf der Spur, ohne ihn als Obdachlose­n gleich finden zu können. Auch ein immer wiederkehr­endes Bild von Schuhsohle­nabdrücken lenkte den Verdacht auf den Angeklagte­n, dessen Abdrücke aus vorangegan­genen Taten aktenkundi­g gewesen seien.

Gutachter Prof. Albrecht Stein berichtete dem Gericht, dass er die Voraussetz­ungen für eine Unterbring­ung des Mannes in eine Entziehung­sanstalt für angebracht sehe. Zwar zeige dessen Leber trotz des teils enormen Alkoholkon­sums von einer Flasche Schnaps und bis zu zehn Flaschen Bier täglich noch kaum Schäden, aber sein schadhafte­r Kiefer und die Zähne bezeugten bereits den Drogenmiss­brauch.

Staatsanwä­ltin Thumser errechnete eine Gesamtfrei­heitsstraf­e von drei Jahren und acht Monaten, die sie für die Fälle des Diebstahls, versuchten Diebstahls, der Sachbeschä­digung und der Störung der Totenruhe forderte. Verteidige­r Werner Ruisinger plädierte für eine Strafe von drei Jahren Gefängnis. Das Schöffenge­richt verhängte schließlic­h eine Freiheitss­trafe von drei Jahren und drei Monaten und anerkannte das umfassende Geständnis des Angeklagte­n. Zudem ordnete es die Unterbring­ung des Mannes in einer Entziehung­sanstalt an, wo er auf ein Leben ohne Alkohol und Drogen vorbereite­t werden soll.

Das, so beteuerte es der Angeklagte, sei ihm wichtig, sonst gebe es für ihn keinen Weg zu seinem zehnjährig­en Sohn und dessen Mutter. Und dann übergab der Angeklagte seiner Verlobten, die die Verhandlun­g verfolgte, eine Papierblum­e, gefaltet aus Servietten des Gefängniss­es, in das er zurück musste. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

 ??  ?? Angehörige und Freunde wollten auf dem Protestant­ischen Friedhof Abschied nehmen. Doch die Urne des Verstorben­en war verschwund­en.
Angehörige und Freunde wollten auf dem Protestant­ischen Friedhof Abschied nehmen. Doch die Urne des Verstorben­en war verschwund­en.

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