Augsburger Allgemeine (Land West)

Tenor wartet auf das Ende des „Berufsverb­ots“

Für den Augsburger Sänger Gerhard Siegel entpuppte sich Corona als Katastroph­e. Im Moment wandert er viel und hofft auf baldige Auftritte in den großen Opernhäuse­rn der Welt

- VON LILO MURR

Vor ziemlich genau einem Jahr stand Gerhard Siegel in der Metropolit­an Opera in New York (Met) als Hauptmann in Alban Bergs Woyzeck auf der Bühne. Das Publikum war begeistert, die Kritiken gut. Keiner ahnte damals, was die Zukunft bringen würde. Auch der 57-jährige Augsburger nicht.

Ihn plagten, wie einige andere Kollegen auch, zu dieser Zeit ein hartnäckig­er Husten und eine Erkältung. Heute weiß Siegel, dass es Corona war. Er freute sich trotz der Symptome auf eine kurze Pause in seinem Haus im Spickel mit seiner Ehefrau und den zwei Söhnen. Danach sollten neue Aufgaben in Paris, Barcelona oder Berlin kommen. Sollten. Denn dann wurde Corona zu einem weltweiten Thema.

Ein Engagement nach dem anderen wurde abgesagt. Siegel, verwöhnt mit Gagen im vierstelli­gen Bereich, wurde plötzlich „arbeitslos“und hatte keine Einkünfte mehr. Auch die Auftritte mit Wagners „Ring“im November und Dezember in Paris schnurrten von geplanten zwölf Terminen auf zwei zusammen und waren am Ende nur noch im Radio zu hören. Ein Problem dabei: Sänger im internatio­nalen Geschäft werden nur für Auftritte bezahlt, Reise- und Hotelkoste­n müssen sie selbst vorstrecke­n.

„Perspektiv­losigkeit ist das, was Corona mit mir gemacht hat“, sagt der stets freundlich­e Siegel, der sogar kurzzeitig überlegte, seinen Beruf aufzugeben und Schreiner zu werden. Seine Rücklagen, gedacht für den Ruhestand, seien inzwischen aufgebrauc­ht, das Konto im fünfstelli­gen Bereich überzogen. Im

Moment lebe man vom Einkommen der Ehefrau, die im Chor des Augsburger Staatsthea­ters engagiert ist. Die von den Politikern viel gepriesene­n Hilfen für Solo-Selbststän­dige

an dem Augsburger Sänger fast vollständi­g vorbei. Auch der Satz vom bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder, dass für ihn ein Wochenende ohne Fußball ein verlorenes sei, machte den Künstler zornig.

Trotzdem will der gefeierte Tenor, der sein Gesangsstu­dium bei Liselotte Becker-Egner am Konserging­en vatorium Augsburg absolviert­e, positiv in die Zukunft schauen, er hofft auf ein Ende des „Berufsverb­ots“. Und da sieht es, sofern die CoronaPand­emie der Kunst nicht nochmals einen Strich durch die Rechnung macht, gar nicht mal so schlecht aus. Im Juni ist ein Gastspiel mit Musik von Wagner in der Konzerthal­le Budapest terminiert. Ende des Jahres wird Siegel wieder in den TGV nach Paris steigen, um an der Oper zu singen, außerdem ist eine Tournee im April 2022 mit „Rheingold“geplant. Wien steht dann ab Februar 2023 auf dem „Spielplan“.

Noch beschleich­t Siegel manchmal Skepsis, ob alles wirklich so kommt, doch wenn ja, wäre ein einigermaß­en normaler Wiedereins­tieg in den Beruf gegeben. Zumal Siegel trotz langer Pausen keinerlei Probleme mit der Stimme hat. „Sie klingt erstaunlic­h frisch und gesund“, freut sich der Heldenteno­r.

Damit das alles so bleibt, hat der gebürtige Oberbayer wieder seine langen Spaziergän­ge mit bis zu 15 Kilometern täglich aufgenomme­n. „Damit ich meinen Kopf freibekomm­e.“Vorzugswei­se wandert er durch den Siebentisc­hwald, der von seinem Zuhause sozusagen um die Ecke liegt, und kümmert sich um den geliebten Garten.

Die Wünsche von Gerhard Siegel für 2021 sind klar: „Einen Tag ohne Lauterbach und Co. und ohne Corona-Experten. Dafür mehr Zuversicht, Kraft, Lächeln und Umarmungen. Außerdem hoffe ich, dass meine Antikörper von meiner Corona-Infektion noch lange bleiben und allen Kinder und Jugendlich­en wünsche ich die Rückkehr zu einem Aufwachsen in einer gewissen Normalität.“

 ?? Fotos: Claudia Hiller, Gerhard Siegel ?? Einmal im „Original“, einmal als Woyzeck an der Metropolit­an Opera: Der Augsburger Tenor Gerhard Siegel wurde durch Corona erst gesundheit­lich, dann beruflich ausgebrems­t. Nun hofft er, dass alles besser wird.
Fotos: Claudia Hiller, Gerhard Siegel Einmal im „Original“, einmal als Woyzeck an der Metropolit­an Opera: Der Augsburger Tenor Gerhard Siegel wurde durch Corona erst gesundheit­lich, dann beruflich ausgebrems­t. Nun hofft er, dass alles besser wird.
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