Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Angst vor Einsamkeit
Porträt Die 72-jährige alleinstehende Stadtbergerin Helga Berghammer zählt zur Risikogruppe. Aufgrund gesundheitlicher Probleme ist sie von den Kontaktbeschränkungen besonders schwer getroffen
Stadtbergen Corona hat das Leben grundlegend verändert. Gerade Alleinstehende sollen ihre sozialen Kontakte während des Lockdowns erneut auf ein Minimum reduzieren. Doch nicht nur in Zeiten der Pandemie fürchten viele Senioren die Einsamkeit im Alter, jetzt kommt die Angst vor Corona noch hinzu. Die Stadtbergerin Helga Berghammer sieht sich als Beispiel für viele ältere MItbürger, denen es ähnlich ergeht. Besuche von Familie und Freunden können nur im engsten Kreis stattfinden, zu den Sorgen um die Gesundheit kommen auch noch die
Einschränkungen im Lebensumfeld. Der Alltag hat sich grundlegend verändert, Einkaufen ist auch durch den Mund-Nasen-Schutz anstrengender geworden, Angebote wie Kaffeenachmittage, Advents- und Weihnachtsfeiern der Seniorenclubs sind abgesagt.
„Irgendwie habe ich auch den gesellschaftlichen Anschluss in Stadtbergen verpasst“, räumt die 72-Jährige ein. Sie hat lange Zeit mit Ihrem Mann Siegfried und den beiden Kindern Andrea und Claus im Augsburger Stadtteil Pfersee gewohnt. Die Eltern wohnten um die Ecke, die Welt der kleinen Familie
heil. Doch als Sohn Claus im Alter von 19 Jahren unheilbar an Knochenkrebs erkrankte und starb, fand Helga Berghammer Trost und Halt auch bei betroffenen Familien, die sie in der Kinderklinik Augsburg bei den Elterntreffen kennen und schätzen lernte. So entstand 1985 die Idee, die „Elterninitiative krebskranker Kinder e.V.“(heute in Elterninitiative krebskranker Kinder Augsburg – Lichtblicke umbenannt) zu gründen.
15 Jahre lang war Berghammer die Vorsitzende des Vereins. Eine Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf: Auf der Kinderonkologie wurde ein Zimmer für Eltern eingerichtet, durch die Mitglieder und Sponsoren mit Fernseher und Spielsachen ausgestattet, eine Erzieherin konnte für die schwerstkranken kleinen Patienten eingestellt werden. Schließlich erfolgte im April 1994 der Spatenstich für das größte Projekt der Elterninitiative: der Bau des „Mildred-Scheel-Hauses“, ein Elternhaus an der Kinderklinik, das zwei Jahre später mit neun Familienzimmern und einem Mehrzweckraum seiner Bestimmung übergeben wurde. In dieser Einrichtung können auswärtige Eltern und auch Geschwister während der stationären Behandlung ihres kranken Kindes in der Nähe sein.
Als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung wurde 1992 Helga Berghammer die Silberdistel der Augsburger Allgemeinen verliehen. Die Stadt Augsburg würdigte 1994 ihre Verdienste mit der kommunalen Verdienstmedaille „Für
Augsburg“. 2004 zog sich Helga Berghammer aus persönlichen Gründen zurück. Sie war bei der Pflege ihrer Eltern gefordert, die Mutter starb 2009, der geliebte Ehemann 2013 und der Vater 2014, der Kontakt zur Tochter brach bereits vor Jahren ab. „Ich fiel in ein tiefes Loch, keiner war mehr da, ich zog mich zurück“, sagt Helga Berghammer traurig. Ablenkung erfuhr die einst tatkräftige und energiegeladene Frau durch den Verkauf des Elternhauses und ihren Entschluss, einen Umzug zu planen.
„In Stadtbergen fand ich 2017 nach längerer Suche meine Traumwar wohnung im Herzen von Stadtbergen, die Straßenbahn ist in der Nähe, Einkaufsmöglichkeiten, Arzt und Apotheke sind zu Fuß erreichbar“, sagt sie zufrieden. Doch die gesundheitlichen Probleme ließen nicht lange auf sich warten. „Ich bin auf dem linken Auge durch den grauen Star fast erblindet, austherapiert, hieß die schreckliche Diagnose, bin zudem gestürzt und die Folge war ein komplizierter Schulterbruch, sodass ich jetzt selbst auf Hilfe angewiesen bin“, erklärt Helga Berghammer. Früher war sie unternehmungslustig, besuchte Konzerte, schätzte den Stadtbummel, ging gerne zum Essen oder ins Café. „Zum Glück habe ich meine Schulfreundin, die mit mir einkaufen oder mal spazieren geht. Ein paar alte Bekannte blieben, aber man möchte ja keinem zur Last fallen“, meint sie nachdenklich.
Über das Seniorenangebot in Stadtbergen ist sie bestens informiert, doch durch das Augenleiden fehlt ihr der Mut. „Seit meinem Sturz habe ich einfach Angst, kann Randsteine nicht einschätzen und bei einbrechender Dunkelheit gehe ich nicht aus dem Haus. Jetzt kommen auch noch nasses Laub, Schnee und Glätte hinzu. „Ich ärgere mich über mich selber, das nützt aber nichts“, sagt sie tapfer lächelnd. Sie hat fast alle Hilfsmittel rund um das bessere Sehen im Haus und kommt damit auch gut zurecht. „Selbst im Sommer brauche ich viel Licht in der Küche zum Kochen, Fernsehen geht wie Zeitungslesen fast nicht, da es aufgrund der Sehschwäche zu anstrengend ist, doch dafür dudelt den ganzen Tag mein Radio als Geräuschkulisse“, verrät sie schmunzelnd.
Durch Corona sind auch die wenigen Kontakte, die sie pflegt, kaum möglich. „Mein einziges Vergnügen ist der wöchentliche Friseurbesuch, den kurzen Weg kenne ich mittlerweile in- und auswendig, ich erfahre etwas, die willkommene Abwechslung“, sagt Helga Berghammer, die großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt. Doch auch der ist jetzt gestrichen. Trotzdem gibt Helga Berghammer nicht auf und macht weiter Pläne. Sie würde sich gerne im Seniorenbeirat oder in einem Seniorenklub engagieren. „Ich bin zwar im Sehen eingeschränkt, aber im Kopf bin ich fit, kann mich mit Tat und Rat einbringen, da ich sehr aufgeschlossen bin“, sagt sie munter und optimistisch.
Mit Menschen in Kontakt treten, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, könnte sie sich gut vorstellen, vielleicht auch in einer Telefongruppe – den aktuellen Umständen entsprechend. „Ich unternehme auch gerne mal einen kleinen Spaziergang, allein geht das nicht, aber es wäre zu schön, wenn sich eine nette Begleitung findet“, träumt sie von der Zukunft.
„Irgendwie habe ich auch den gesellschaftliche Anschluss in Stadtbergen verpasst.“
Helga Berghammer
„Zum Glück habe ich meine Schulfreundin, die mit mir einkaufen geht.“
Helga Berghammer