Augsburger Allgemeine (Land West)
In Augsburg soll kein Mensch erfrieren
Hilfe Auch bei Minustemperaturen leben in der Stadt mehrere Menschen auf der Straße. Der Kältebus des Verbands für soziale Dienste ist jede Nacht unterwegs, um sie mit Schlafsäcken, Kleidung und heißem Tee zu versorgen
Die Nächte in Augsburg sind gerade bitterkalt. Vielerorts fällt die Anzeige auf dem Thermometer auf fünf Grad unter null – keine Temperatur, bei der man gerne länger im Freien ist. Doch es gibt in der Stadt Menschen, die auch im Winter im Freien übernachten. Ohne warme Ausrüstung ein lebensgefährliches Unterfangen. „Wir sind da, damit in Augsburg kein Mensch erfrieren muss“, sagt Knut Bliesener vom katholischen Verband für soziale Dienste (SKM). Gemeinsam mit Kollegin Verena Ryssel ist der Sozialarbeiter am Abend mit dem Kältebus im Stadtgebiet unterwegs. Im Gepäck haben sie heißen Tee, Schlafsäcke und Winterkleidung.
Im Stadtgebiet gibt es eine Reihe von Orten, wo Obdachlose am Abend und in der Nacht anzutreffen sind. Das kann unter einer Brücke sein, in einem Kellerabgang oder einfach auf einer Parkbank. Die Plätze wechseln und oft ist es auch Zufall, dass ein Mensch ohne vernünftige Ausrüstung irgendwo draußen angetroffen wird. Zwölf solche Spots fahren oder laufen die Helfer vom Kältebus gerade jeden Abend ab, sobald die Temperatur unter null Grad fällt. Oft kämen auch Hinweise aus der Bevölkerung über hilflose Personen, denen man sofort nachgehe. Früher konnte das Team aufgrund der personellen Situation erst ab minus fünf Grad aufbrechen, berichtet Verena Ryssel, die den Kältebus koordiniert. Denn den größten Teil der nächtlichen Einsätze mit dem Kältebus stemmen ehrenamtliche Helfer. „Mittlerweile haben wir ein Team von rund 60 Freiwilligen, die sich mit der Arbeit abwechseln“, freut sich die Sozialarbeiterin. Ein Facebook-Aufruf im vergangenen November sei auf gewaltige Resonanz gestoßen.
Der VW-Caddy, der derzeit als Kältebus dient, ist mit Hilfsgütern gefüllt. Auf der Ladefläche liegen Schlafsäcke, Winterjacken, Mützen, Handschuhe und andere Utensilien, die gegen die winterliche Kälte helfen sollen. Die Sachen wurden gespendet oder durch den Förderverein Wärmestube gekauft. In zwei großen roten Plastikkisten stehen Kannen mit heißem Wasser zwischen einem Vorrat an Teebeuteln, Pappbechern, Keksen und anderen Süßigkeiten. Auch eine Kiste voller Thermoskannen hat Platz gefunden,
mit einem heißen Getränk gefüllt, an die Obdachlosen ausgeschenkt werden können. „Ein heißes Getränk ist bei diesen Temperaturen immer willkommen – das Essen ist für den Notfall, wenn jemand noch gar nichts hatte“, sagt Ryssel.
Am Königsplatz sitzt ein einzelner Mann auf einer der Bänke am Brunnen und ist mit seinem Handy beschäftigt. Mit der Teekanne und Pappbechern unter dem Arm nähern sich ihm Verena Ryssel und Knut Bliesener. Als der Mann hochschaut, erkennen sie ihn als einen ihrer „Gäste“aus dem Übergangswohnheim. „Hier gibt es kostenloses WLAN“, erklärt er den beiden Streetworkern. Die erinnern ihn noch an den Beginn der Ausgangssperre in wenigen Minuten, bevor sie weiterziehen.
Auch der Hauptbahnhof liegt um kurz vor 21 Uhr bereits still da. Das geschulte Auge der Sozialarbeiter entdeckt einen Mann an der Haltestelle, der offenbar nicht auf den Bus wartet – eine halbvolle Weinflasche steht zu seinen Füßen. Ryssel setzt sich neben den Obdachlosen, der ein alter Bekannter der Streetworker ist, und schenkt ihm heißen Tee ein. Ihr Kollege läuft zum Auto zurück, um dem Mann einen Schlafsack zu holen. Wie bei jedem Aufeinandertreffen bietet Knut Bliesener dem Obdachlosen einen Schlafplatz im Wohnheim an – wie bei jedem Treffen lehnt dieser ab. „Um nichts in der Welt will er ins Übergangswohnheim“, sagt Bliesener anschließend. „Der legt sich jetzt irgendwo hin und hofft, am nächsten Morgen wieder aufzuwachen“, ergänzt er.
Dass die Arbeit des SKM nur ein Angebot ist, das die Obdachlosen annehmen oder ablehnen können, sei für viele ehrenamtliche Helfer zunächst schwer zu schlucken, weiß Ryssel. Aus den unterschiedlichsten Gründen würden manche Menschen eben auch bei Kälte lieber im Freien bleiben und lehnen jede Hilfe ab.
Ein wenig fühlt es sich an, als würde man in ein fremdes Wohndie, zimmer eindringen, als das Team vom Kältebus eine bekannte Schlafstätte unter einer der Augsburger Brücken inspiziert. Große Sofas sind zu einer gemütlichen Ecke zusammengeschoben, es gibt Regale und sogar einen rostigen Grill. Auf einem Sofa stapeln sich dreckige Wolldecken. Der Platz wird augenscheinlich bewohnt, wenn auch der Besitzer nicht zuhause ist. „Die Obdachlosen schleppen Möbel vom Sperrmüll unter die Brücke und versuchen, sich damit einzurichten“, weiß Bliesener.
Rund 60 Menschen leben laut SKM in Augsburg auf der Straße. Sozialreferent Martin Schenkelberg sagt, in der Stadt müsse kein Mensch bei Minusgraden im Freien übernachten. Auch Menschen, für die die Stadt rechtlich nicht zuständig sei, würden übergangsweise einen Platz im Wohnheim erhalten. „Weder bisher noch in Zukunft werden Personen in offensichtlich prekären Situationen seitens der Stadt Augsburg aus den Übergangswohnheimen verwiesen“, betont er. Jede Person, die Schutz brauche, werde aufgenommen. In strittigen Fällen geschehe dies so lange, bis in einem Verwaltungsverfahren festgestellt wird, ob die betreffende Person bleiben könne. Auch wenn die Aufnahme rechtlich nicht möglich sei, würde die Person nicht vor die Türe gesetzt. Man prüfe etwa, ob die Vermittlung einer Rückkehr in den zuständigen Ort möglich sei, so der Sozialreferent.
Je kälter es wird, umso mehr Menschen finden ihren Weg ins Übergangswohnheim der Stadt, sagt Kurt Bliesener. Einer von ihnen ist Thomasz. Zwei Jahre war er auf der Straße, hat zuletzt in einer Garage und in einer Baustelle geschlafen. Trotz zweier Schlafsäcke seien die Nächte furchtbar kalt gewesen, sagt er. „Ich habe im Schlafsack die dicke Winterjacke angelassen, aber richtig geholfen, hat das auch nicht.“Jetzt ist er froh, im Wohnheim des SKM untergekommen zu sein – auch wenn ihn die regelmäßigen Streitereien unter den Männern stören. Trotzdem sei es hier besser, als bei Minustemperaturen auf der Baustelle, ist seine Erkenntnis.
Manche Menschen bleiben lieber im Freien