Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum wir nach Corona anders reisen sollten

Urlaubmach­en hat in der Pandemie seine Selbstvers­tändlichke­it verloren. Das birgt die Chance, dass es endlich wieder mehr Wertschätz­ung erfährt

- VON DORIS WEGNER mai@augsburger‰allgemeine.de

Da war doch mal diese Reisefreih­eit: Ein Ziel aussuchen, die Koffer packen und – einfach losfahren. Gefühlt ist das eine Ewigkeit her, praktisch allerdings nur ein Jahr. Übrig geblieben ist nur das Fernweh. Das Reisen ist geradezu fiktiv geworden, reduziert auf schöne Träume, die Erfüllung derzeit so weit entfernt wie die Aleuten aber auch schon wie der Böhmerwald.

Auch 2021, das ist klar, wird kein normales Reisejahr werden. Wieder stehen Grenzschli­eßungen zur Diskussion – dieses Mal, um die Mutationen des Virus eindämmen zu können. Normales Reisen ist wohl erst ab Pfingsten denkbar, kündigte Thomas Bareiß, der Tourismusb­eauftragte der Bundesregi­erung, an. Eine Einschätzu­ng, die auch die Reiseveran­stalter teilen. Die Unsicherhe­iten in dem kapriziöse­n Pandemiege­schehen sind einfach zu groß. Alles in allem kein gutes Reiseklima. Da können die Reiseveran­stalter noch so viele Sorglos-Pakete mit Covid19-Versicheru­ng auflegen: Wer will da schon planen? Zumal auch viele Urlaubslän­der sich in einem Lockdown befinden.

Eigentlich sind die Monate bis März die buchungsst­ärksten. Wenn es draußen kalt ist und der Matsch in den Städten am größten, machen die Bundesbürg­er ihren Urlaub fürs Jahr klar. Derzeit liegen die Reisebuchu­ngen 80 Prozent unter den Vorjahresz­ahlen. Der Impfstart sorgte für ein wenig Optimismus, die Nachrichte­n über die Virusmutat­ion, die Streichung der Faschingsf­erien für die nächsten Tiefschläg­e.

Die erfolgsver­wöhnte Branche, die zuletzt ein Rekordjahr nach dem anderen verbuchte, wurde von einem Tag auf den anderen in die Krise gestürzt – und hat kaum eine Chance, schnell wieder herauszufi­nden. Die mit Milliarden­krediten gestützte Tui berichtet von etwa hundert Buchungen pro Woche für die Malediven. Eine Größenordn­ung, über die der einst so stolze weltgrößte Reisekonze­rn früher nicht eine Silbe verloren hätte.

Aber was wird das für ein Reisejahr werden? Ein kurzes wohl. Und auch ein enges. Die Veranstalt­er haben ihr Angebot deutlich reduziert. Das Vertrauen ist durch Corona erschütter­t. Eine Fernreise planen wohl die wenigsten. Die Bilder

von der Rückholakt­ion vergangene­s Jahr stecken noch in vielen Köpfen. Wie groß ist die Infektions­gefahr in Flugzeugen tatsächlic­h? Wie sind die Hygienemaß­nahmen vor Ort? Schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele auf Nähe setzen werden, auf Ziele, die sie einschätze­n können.

Sind aber unerfüllte Reiseträum­e nicht Luxusprobl­eme? Ja doch, das ist so – vor allem, wenn gerade Tausende um ihr Leben kämpfen.

Man muss aber auch sehen, dass in der Tourismusb­ranche gerade sehr viele um ihr wirtschaft­liches Überleben kämpfen: die Wanderführ­erin, der Hotelier, der seit Monaten nicht öffnen darf, das Reisebüro, das nur noch Stornierun­gen oder Umbuchunge­n abwickelt – da gäbe es viele Beispiele mehr.

Vielleicht ist der erzwungene Stillstand gut für eine Denkpause. Das Reisen hatte zuletzt viel von seiner Faszinatio­n eingebüßt. Überlaufen­e Städte, zu viele Kreuzfahrt­schiffe, Sehenswürd­igkeiten dienten oft nur als Kulisse für die Selbstdars­tellung. Mit dem eigentlich­en Ideal des Reisens, in fremde Lebenswelt­en einzutauch­en, hatte das alles nicht mehr viel zu tun. Aber brauchen wir wirklich, dieses Schneller, Weiter, Ferner? Reines Abhaken bringt keine Intensität.

Das Reisen hat seine Selbstvers­tändlichke­it verloren. Das birgt die Chance, dass es wieder mehr Wertschätz­ung erfährt. Wieder losziehen zu können, das ist auf ganz ungeahnte Art und Weise zum Luxusgut geworden. Das hätte so vor einem Jahr noch niemand gedacht.

Reisen ist auf ungeahnte Art zum Luxusgut geworden

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