Augsburger Allgemeine (Land West)

Manaus steht vor dem Corona‰Kollaps

Brasilien Das Krankenhau­spersonal in der Amazonas-Metropole muss die Patienten per Handpumpen beatmen. Es fehlt an Sauerstoff. Jetzt zeigen sich die dramatisch­en Folgen der Pandemie-Politik des Präsidente­n Jair Bolsonaro

- VON TOBIAS KÄUFER

Manaus Es sind dramatisch­e Appelle, die Ärzteschaf­t und Pflegepers­onal aus der Amazonas-Metropole Manaus über die sozialen Netzwerke nach Brasilien und den Rest der Welt hinaus senden. „Sauerstoff. Schickt uns Sauerstoff“, ruft eine weinende, verzweifel­te Krankensch­wester in die Kamera ihres Handys. Die Lage in der Zwei-Millionen-Stadt inmitten des brasiliani­schen Regenwalde­s ist geradezu apokalypti­sch. Weil es in den Krankenhäu­sern fast keinen Sauerstoff mehr gibt, müssen Pflegerinn­en und Pfleger schwer kranke Covid19-Patienten mit Handpumpen beatmen und sich gegenseiti­g abwechseln, wenn sie erschöpft sind.

Weil auch Betten in den Krankenhäu­sern fehlen, versuchen immer mehr Familien, an Covid erkrankte Angehörige in den eigenen Wohnungen zu pflegen. Wenige wohlhabend­e Familien nehmen Physiother­apeuten als Krankenpfl­eger unter Vertrag. Und sie suchen nach Sauerstoff auf dem freien Markt. Dort sind die Preise explodiert. Für eine Sauerstoff­flasche, die vorher 2000 Real (ca. 300 Euro) kostete, wird laut der Tageszeitu­ng Folha inzwischen das Dreifache verlangt.

In einer Woche stieg die Zahl der Neuinfekti­onen dramatisch, ebenso die Zahl der Toten. „Es spricht alles dafür, dass in Manaus eine Mutation des Coronaviru­s diese neuen hohen Infektions­zahlen verursacht hat“, sagt Luis Castro, Gesundheit­skoordinat­or der Stiftung nachhaltig­er Amazonas aus Manaus im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Situation erinnert an die erste Welle vor ein paar Monaten, doch diesmal scheint alles noch schlimmer. Die von einigen Wissenscha­ftlern aufgestell­te These, dass Manaus Herdenimmu­nität erreicht haben könnte, dürfte erst einmal widerlegt sein.

Für die katastroph­ale Lage gibt es Gründe. Im Dezember wurde der Lockdown in Manaus gelockert – prompt kam es zu Festen, viele Menschen trafen zusammen. Zuvor hat auch der Wahlkampf für gesorgt, dass sich viele Menschen auf engem Raum begegneten. Brasiliens rechtspopu­listischer Präsident Jair Bolsonaro gratuliert­e Manaus vor einigen Wochen noch zu den Lockerunge­n, die sich jetzt zu rächen scheinen. Die Wucht der zweiten Welle spült nun die Patienten in die schon jetzt überlastet­en Krankenhäu­ser und sorgt für eine Versorgung­skrise bei einem der wichtigste­n Hilfsmitte­l. Die Regierung lässt Sauerstoff per Militär ein- und Patienten ausfliegen. Künstler organisier­en Spendenmar­athons.

Dass es so weit kommen musste, ist letztlich das Ergebnis der katastroph­alen Corona-Politik der Regierung Bolsonaro seit Ausbruch der Pandemie. Zu Beginn der Krise trennte sich der rechtspopu­listische Präsident gleich von zwei Gesundheit­sministern, die auf die Empfehlung­en von Experten setzten, während Bolsonaro die Gefährlich­keit der Pandemie verharmlos­te, keine Maske trug und von einem „Grippchen“sprach. Inzwischen präsentier­t sich der Präsident auch als Impfgegner. In der ihm eigenen Mischung aus Ironie und Spott stellt er die Wirksamkei­t der Impfstoffe infrage: „Im Vertrag ist klar geregelt, dass Pfizer nicht für Nebenwirku­ngen

verantwort­lich ist. Wenn du dich in einen Kaiman verwandels­t, ist es dein Problem.“Seine Schlussfol­gerung von vor einigen Wochen: „Ich werde mich nicht impfen lassen, und Schluss.“

Bitter ist für die Bevölkerun­g, dass das riesige südamerika­nische Land eigentlich einen relativ guten Zugang zu den Impfstoffe­n hatte, denn nahezu jeder Konzern, auch der deutsche BionTech aus Mainz, ließ direkt oder indirekt in Brasilien bei Probanden testen. Das brachte dem Land den Ruf ein, das Versuchsla­bor der Welt zu sein. Trotzdem versäumte es die Regierung, rechtzeiti­g Impfdosen in ausreichen­der Zahl zu bestellen. Der Start der Impfkampag­ne wurde immer wieder hinausgezö­gert. Der nächste Versuch soll nun starten, die Regierung erwartet nach eigenen Angaben zwei Millionen Dosen des gemeinsam von der Universitä­t Oxford und dem Pharmakonz­ern Astrazenec­a entwickelt­en Impfstoffs.

Für die Krankenhäu­ser in Manaus und ihr verzweifel­tes Personal kommt das alles viel zu spät. Unterdesse­n rücken nicht nur die lokalen und regionalen Behörden angesichts des katastroph­alen Management­s in den Fokus der Ermittlung­sbehörden: Erstmals seit Wochen sind nun auch wieder Proteste von den Balkonen der großen Städte gegen Bolsonaro zu hören. Mit dem Schlagen auf Kochtöpfen verschaffe­n sich die Menschen Gehör. Dieser ProtestLär­m war am Wochenende in zahlreiche­n brasiliani­schen Städten zu hören und erinnert Bolsonaro daran, dass die Corona-Krise noch längst nicht ausgestand­en ist.

Hinzu kommt ein weiteres Problem. Die Auszahlung der CoronaHilf­sgelder an die Bevölkerun­g sicherte ihm trotz des schlechten Krisenmana­gements eine vergleichs­weise immer noch ordentlich­e Zustimmung­srate in der Bevölkerun­g. Doch auch diese Auszahlung scheint längst nicht mehr sicher zu sein.

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Foto: Sandro Pereira, dpa Menschen stehen in Manaus Schlange, um in einer Fabrik Sauerstoff für ihre an Co‰ rona erkrankten Angehörige­n zu bekommen.

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