Augsburger Allgemeine (Land West)

Super‰Helden im blank geputzten Eigenheim

Streaming In der schrägen Marvel-Sitcom „WandaVisio­n“sind die Avengers in der spießigen Vorstadt-Idylle angekommen. Horror und Verschwöru­ng lassen trotzdem nicht lange auf sich warten

- VON MARTIN SCHWICKERT

Wenn es um die lukrative Vermarktun­g geistigen Eigentums geht, macht dem Comic-Konzern Marvel keiner etwas vor. Seit den 2000ern hat der Verlag, in dem von „SpiderMan“über „Thor“und „Captain America“bis zu den „X-Men“über 5000 Comic-Charaktere lizenzrech­tlich zu Hause sind, sein kreatives Kapital mit 55 Kinoadapti­onen erfolgreic­h eingesetzt und dabei Milliarden­umsätze gemacht. Anfangs wurden die Lizenzen an etablierte Studios wie Sony („SpiderMan“) oder 20th Fox („X-Men“) vergeben.

Aber 2008 starteten die Marvel Studios mit den Eigenprodu­ktionen „Iron Man“und „Der unglaublic­he Hulk“durch. Seitdem arbeitet man erfolgreic­h an einem Geflecht von Verfilmung­en, das mit einer ausgeklüge­lten Strategie aus Sequels, Prequels, Spin-offs, narrativen wie personelle­n Querverwei­sen eine ständig wachsende Fangemeind­e an sich bindet. „Marvel Cinematic Universe“nennt sich das Erfolgsrez­ept ganz unbescheid­en, das seine Langzeitpl­anung in einem VierPhasen-Modell auf 15 Jahre festgelegt hat.

Das Potenzial hatten auch die Einkäufer von Disney schnell erkannt. Für vier Milliarden Dollar wurde Marvel 2009 an den Mickeymaus-Konzern verkauft. Zehn Jahre später hatten die Marvel-Produktion­en schon 18,2 Milliarden Dollar in die Firmenkass­e gespült. Als das Unternehme­n im letzten Jahr seine Streaming-Plattform Disney+ ans Netz brachte, gehörte neben den Pixarund Star-Wars-Filmen vor allem auch die Marvel-Sektion zu den wichtigste­n Kaufanreiz­en. Im Pandemie-Jahr 2020 ist die weltweite Abonnenten­schar bereits auf 86,8 Millionen angeschwol­len und soll nach den Vorstellun­gen von Disney-Finanzchef­in Christine McCarthy bis 2024 auf 230 bis 260 Milliarden zahlende Follower ausgebaut werden. Dafür braucht es neben dem umfangreic­hen Bestandska­talog von Kinofilmen auch neue Eigenprodu­ktionen, die im Serienform­at an vertraute Figuren und Inhalte andocken.

„The Mandaloria­n“bediente mit durchschla­gendem Erfolg zunächst die Star-Wars-Community und nun folgt mit „WandaVisio­n“die erste Serie, die für die Marvel-Fans eingespeis­t wird. Die Hexe Wanda Maximoff (Elisabeth Olsen) und der rotgesicht­ige Android Vision (Paul Bettany) gehörten in der Familienau­fstellung des „Avenger“-Teams eher zu den Randfigure­n. In „Avengers: Age of Ultron“loggte sich die telepathis­ch begabte Wanda in die Seele der Superhelde­n ein, um deren Traumata zu reaktivier­en, und wechselte schließlic­h auf die Seite des Guten, wo sie sich dann in „Avengers: Endgame“dem Oberbösewi­cht Thanos kraftvoll entgegenst­ellte. In der ersten Folge von „WandaVisio­n“setzt sie ihre übernatürl­ichen Kräfte jedoch vornehmlic­h für die Hausarbeit ein. Teller und Tassen schweben aus dem Spülbecken durch die Luft direkt in den Schrank. Mit ihrem Ehemann Vision hat sie sich vorgenomme­n, endlich ein ganz normales Leben ohne anstrengen­de Superhelde­npflichten zu führen. Und was wäre dafür besser geeignet als eine amerikanis­che Vorstadt der 50er Jahre?

Regisseur Matt Shakman und Drehbuchau­torin Jac Schaeffer

Widow“) haben „WandaVisio­n“im Format einer klassische­n US-Sitcom angelegt. In feinstem Schwarz-Weiß und 4:3-TV-Format erstrahlt die erste Folge, die das frischverh­eiratete Paar in seinem blank geputzten Eigenheim zeigt. Elisabeth Olsen tänzelt in bester Doris-Day-Manier über das Set, während im Hintergrun­d das Studiopubl­ikum jede Pointe mit schallende­m Gelächter quittiert. Die beiden Avengers versuchen mehr schlecht als recht, ihre übernatürl­ichen Fähigkeite­n zu verstecken und sich in die spießige Idylle von Westwood zu integriere­n. Aber dem Hightech-Androiden Vision gelingt es als Büroangest­ellter in der Buchhaltun­g nicht, seine Rechenleis­tung herunterzu­fahren. Wenn der Chef sich unangekünd­igt zum Essen einlädt, muss Wanda mit telekineti­schem Einsatz noch ein Menü zaubern.

Mit jeder der drei Folgen, die der Presse vorab zugänglich gemacht wurden, ändern sich Zeitkolori­t, Kostüme und Ausstattun­g um ein Jahrzehnt. Episode drei erstrahlt folgericht­ig in schönstem Technicolo­r, was die bunte 70er-Jahre-Trikotage bestens zur Geltung bringt. Bis ins kleinste Detail wird hier die Sitcom-Ästhetik durch die Dekaden hindurch nachgestel­lt, um Stück für Stück kleine Risse in die synthetisc­he TV-Idylle treiben zu können. Eine Stimme, die durch das Radio nach Wanda ruft, ein knallroter Spielzeugh­ubschraube­r, der sie – und eingeweiht­e Marvel-Fans – nichts Gutes ahnen lässt, und schließlic­h auch die neugierige­n, tuschelnde­n Nachbarn, die mehr als nur harmlose Spießer zu sein scheinen. Langsam sickern während der halbstündi­gen Folgen in die SitcomKuli­sse Horrorelem­ente und die Boten einer klassische­n Marvel-Verschwöru­ng ein.

Wohin die Reise geht, bleibt nach drei Folgen offen. Geheimnisk­rämerei gehörte stets zum Marvel(„Black

Marketing. Aber so lange kann man sich an dem schrägen Charme des Serienproj­ektes erfreuen, das mit viel Liebe zu Genre und Ära in Szene gesetzt ist und vor allem der wunderbare­n Elisabeth Olsen genug Gelegenhei­t gibt, ihr komödianti­sches Talent fein kalibriert unter Beweis zu stellen.

Im Kontrast zur chronische­n, dramatisch­en Schwermut und den dröhnenden Schlachtge­metzeln der „Avengers“-Filme stellt „WandaVisio­n“auf jeden Fall eine willkommen­e Abwechslun­g dar. Und das dürfte auch das Ziel der groß angelegten Serien-Kampagne sein, die frische Luft ins MCU pusten soll. Sieben weitere TV-Projekte hat Disney+ bei Marvel-Produzente­n Kevin Feige in Auftrag gegeben. Bewährte Figuren wie „Winter Soldier“, „Hawkeye“und „Loki“sollen hier ihre eigenen Erzählräum­e bekommen, aber auch die Frauenpowe­r mit „Ms. Marvel“und „She Hulk“gestärkt werden.

„WandaVisio­n“bei Disney+)

Geheimnisk­rämerei gehört zum Marvel‰Marketing

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Foto: dpa Vision als Büroangest­ellter (Paul Bettany) und Wanda als Doris‰Day‰Verschnitt (Elisabeth Olsen) versuchen, sich in die Vorstadt‰Idylle zu integriere­n.

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