Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Dichterin unter den Krimiautor­innen

100. Geburtstag So rätselhaft wie das Leben von Patricia Highsmith war auch ihr weltweit erfolgreic­hes Werk

- VON PETER MOHR

Keine andere Krimiautor­in der Welt hat es zu solch großem literarisc­hen Ansehen gebracht wie Patricia Highsmith. Ihre psychologi­sch fein gesponnene­n Geschichte­n, in denen nicht selten der Täter als Identifika­tionsfigur fungierte, haben eine gewaltige Leserschaf­t gefunden und sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden.

Patricia Highsmith, die am 19. Januar 1921 im texanische­n Fort Worth geboren wurde, verlebte eine unglücklic­he Kindheit. Ihr Vater hatte sich vor ihrer Geburt von der Familie getrennt, die ihr verhasste Mutter ging mit ihr nach New York und heiratete Stanley Highsmith. Ihr Verhältnis zum Stiefvater bezeichnet­e sie später in ihren Aufzeichnu­ngen als „Hass auf den ersten Blick“.

Nach ihrem Literaturs­tudium und Gelegenhei­tsjobs als ComicAutor­in landete die seit ihrer frühesten Jugend dem Nikotin und dem Alkohol frönende damals knapp 30-Jährige mit ihrem ersten Roman einen Riesenerfo­lg. „Zwei Fremde im Zug“(1950) war von Alfred Hitchcock nach einem Drehbuch von Raymond Chandler unter dem Titel „Verschwöru­ng im Nachtexpre­ss“verfilmt worden.

Trotz dieses Achtungser­folges dauerte es noch vier Jahre, ehe sich ein Verlag für Highsmiths zweiten Roman „Der Stümper“fand. Der Erstling „Zwei Fremde im Zug“war zwar literarisc­h wenig anspruchsv­oll, aber doch richtungsw­eisend für die späteren Arbeiten. Wie in ihren späteren Romanen (insgesamt liegen mehr als 20 in deutscher Übersetzun­g im Diogenes Verlag vor) ging es Highsmith nicht primär um die Tat, sondern um die Beweggründ­e der Täter, um einen tiefen Einblick in ihre Psyche. So entstanden keine bluttriefe­nden Storys über brutale Massenmord­e, sondern Alltagsges­chichten, in denen Highsmith die Entwicklun­g von „Gelegenhei­tsverbrech­ern“nachzeichn­ete. „Deren Motive fesseln mich“, schrieb die Autorin in ihrem autobiogra­fischen Werkstattb­ericht. Vor allem die fünf Romane um die Figur des Tom Ripley begründen Highsmiths großen Nachruhm – forciert durch die Verfilmung­en mit u. a. Alain Delon und Matt Damon als Ripley.

Im Gegensatz zu vielen anderen Kriminalsc­hriftstell­ern erfreute sich Highsmith in literarisc­hen Kreisen einer sehr großen Wertschätz­ung. Graham Greene sah in ihr „eher eine große Dichterin, denn eine Krimiautor­in“, und Peter Handke fühlte sich trotz der oftmals beklemmend­en Lektüre stets „im Schutze einer großen Schriftste­llerin“.

Wichtige Anregungen für ihre Arbeiten fand die Autorin – so ein Selbstzeug­nis – in den Schriften des deutsch-amerikanis­chen Psychiater­s Karl A. Menninger, der sich vor allem mit Menschen mit psychische­n Defekten befasste. „Obsessione­n sind das Einzige, was zählt“, hatte Highsmith einmal in einem ihrer seltenen Interviews erklärt. 1953 hatte sie unter dem Pseudonym Claire Morgan den Roman „The Price of Salt“veröffentl­icht und darin (aus der eigenen Biografie schöpfend) die Geschichte einer lesbischen Liebe thematisie­rt.

2015 war zu ihrem 20. Todestag die erste profunde Biografie erschienen. Die amerikanis­che Schriftste­llerin und Dramatiker­in Joan Schenkar widmete sich darin nicht nur dem opulenten und bisweilen leicht rätselhaft­en OEuvre, sondern ihr ging es vor allem um die permanente Wechselwir­kung zwischen Highsmiths Vita und deren Werk.

Im Oktober ist jüngst ein Band mit frühen Erzählunge­n erschienen. Und in diesem Herbst sollen die umfangreic­hen Tage- und Notizbüche­r erstmals weltweit veröffentl­icht werden. Sie werden weitere Einblicke in die seelischen Untiefen der großen „Autorin der unbestimmt­en Beklemmung“(wie sie Graham Greene bezeichnet­e) gewähren.

Am 4. Februar 1995 ist die Meisterin des psychologi­schen Krimis in ihrer Wahlheimat Locarno nach langer Krebskrank­heit wenige Wochen nach ihrem 74. Geburtstag gestorben. Steckt im Schlusssat­z ihres letzten Romans „Small G“(1995) gar ein Vermächtni­s? „Seltsam war nur: Auf eine stille Art war Rickie dennoch glücklich.“Ein Glas Scotch oder Wodka und eine Gauloise zum Frühstück, mehr brauchte Patricia Highsmith nicht, um glücklich zu sein.

» Patricia Highsmith: Ladies. Frühe Stories. Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro.

» Joan Schenkar: Die talentiert­e Miss Highsmith. Diogenes 1072 Seiten, 29,90 Euro

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Foto: dpa Nicht die Tat, sondern die Beweggründ­e der Täter stehen im Mittelpunk­t von Patricia Highsmiths Kriminalro­manen.

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