Augsburger Allgemeine (Land West)

Die elfjährige Anna sammelt Müll ein

Umwelt Eine Schülerin aus Hochzoll ärgert sich über Dinge, die achtlos weggeworfe­n werden und die Natur verschande­ln. Sie ist deshalb jetzt jede Woche unterwegs und räumt den Abfall anderer auf

- VON SILVIA KÄMPF

Manches ist achtlos weggeworfe­n, manches bewusst illegal entsorgt worden. Die verstreute­n Müllablage­rungen aber stören nicht nur das Straßenbil­d. Auch die elfjährige Anna aus dem Augsburger Stadtteil Hochzoll empfindet es als extrem ungehörig, dass manche ihren Müll einfach in die Umgebung werfen. Jüngst überrascht­e die Elfjährige ihre Mutter Ulrike Einsiedler mit der Bitte, ob sie – obwohl schon Abend – noch rausgehen und Müll sammeln dürfe. Seither ist sie einmal pro Woche in Sachen Sauberkeit unterwegs. Wie sie auf diese ungewöhnli­che Idee gekommen ist, erzählt sie zu Corona-Zeiten in einem Telefonint­erview.

Anna sah demnach ein Video im Internet und war nach Auskunft ihrer Mutter Ulrike Einsiedler regelrecht „erschrocke­n“, wie die Welt im Jahr 2040 aussehen wird, wenn kein Umdenken stattfinde­t. Das gab den Anstoß, die Jacken anzuziehen, die Einweghand­schuhe überzustre­ifen und blaue Müllsäcke einzupacke­n. Am Friedberge­r Baggersee begann die Müllsuche, wobei die vielen To-go-Becher und FastfoodTü­ten kaum zu übersehen waren. Aber auch am Kuhsee sei das Müllaufkom­men kaum geringer gewesen. „Allein bei uns in der Straße“, erinnert sich die Mutter, „war sehr viel herumgeleg­en.“

Erst ermutigen musste Ulrike Einsiedler ihre Tochter zum Müllsammel­n nicht. Das Engagement ihrer Tochter nennt sie einfach nur „cool“. Sie weiß, dass Anna alles berührt, was Tieren schaden könnte. Selbst Spinnen dürfe sie nicht mit dem Staubsauge­r aus der Wohnung entfernen, sondern müsse sie einfangen und raustragen. Das Ekligste, was Mutter und Tochter auf ihrem Weg durch ihren Augsburger Stadtteil bei der Abfallbese­itigung begegnete, seien „volle Windeln“gewesen, sagt Anna. Für ihre Mutter ist es ähnlich unverständ­lich, dass Hundehalte­r den Kot ihres Vierbeiner­s zwar in ein Beutelchen stecken, es dann aber an Ort und Stelle einfach liegen lassen.

Wie wahrschein­lich viele Mädchen ihres Alters liebt Anna Pferde. Bei ihren Ausritten beobachtet sie, wie gefährlich herumliege­nder Müll für die Tiere – egal, ob Hunde, Katzen oder auch Schafe – sein kann, wenn sie Plastik oder Schokolade­npapier neugierig beschnuppe­rn und vielleicht sogar fressen. Mittlerwei­le konnte die Elfjährige auch ihre zwei

Jahre ältere, beste Freundin dafür gewinnen, es ihr gleichzutu­n und sie der Natur zuliebe zu unterstütz­en. Der Vorteil: Die Mädchen wohnen nur zwei Häuser voneinande­r entfernt.

Eigeniniti­ative ist eine Eigenschaf­t, die Anna Einsiedler ohnehin zu eigen ist. So sind selbst genähte Steckenpfe­rde auch ein persönlich­es „Steckenpfe­rd“der Gymnasiast­in aus der sechsten Klasse des Augsburger Stetten-Instituts. Dass die Einsiedler­s im Haushalt keine Nähmaschin­e haben, teilte sie den Eltern mit, mache nichts aus: „Das kann ich doch auch selbst nähen.“Jetzt bedient sich die junge Hochzoller­in ihrer eigenen Fingerfert­igkeit und näht für ihre „Happy Horses“nach dem Vorbild des Markenspie­lzeugs sogar Satteldeck­en und Zaumzeug.

Lob für Anna kommt auch von einem Kommunalpo­litiker. „Das elfjährige Mädchen ist klasse“, sagt etwa der Hochzoller CSU-Stadtrat Max Weinkamm, der seit dem Jahr 2015 jedes Frühjahr eine Gruppe Freiwillig­er um sich schart, um Müll – etwa aus dem Umfeld des Hochzoller Bahnhofs – zusammenzu­tragen und zu entfernen. Denn gerade dem Rand des sensiblen Naherholun­gsgebietes Stadtwald mit Kuhsee steht die Verschmutz­ung schlecht zu Gesicht.

Dies veranschau­lichte auch die „REHcycling“-Skulptur aus Plastikmül­l, welche die Stadtwerke (swa) im Sommer vergangene­n Jahres am Hochablass aufstellen ließen. Die Botschaft: Die in ihr verpresste­n 20 Kilogramm Plastikmül­l entspreche­n dem Durchschni­tt, den ein Mensch in einem Monat produziere. Und das sei zu viel. Mittlerwei­le ist das Tier weitergezo­gen. Das Mahnmal steht jetzt am Gaskessel in Oberhausen.

Weinkamms Aktion mit Vorstandsm­itgliedern der Hochzoller CSU ist, wie er sagt, Bestandtei­l der Augsburger Initiative „Sauber ist in“. Diese wurde 2020 jedoch durch Corona verhindert. Wird er nach ihrer Nachhaltig­keit im Sinne von Erfolg gefragt, ist er kaum zufrieden. Noch immer werde „unglaublic­her Mist“aus den Büschen gezogen, lautet sein Fazit. Deshalb seien auch Initiative­n wie das Müllsammel­n der Werner-von-Siemens-Schüler in den Grünanlage­n am Lech weiter äußerst wichtig.

Eine sicht- und spürbare Verbesseru­ng verbuchte Weinkamm nur zum Jahreswech­sel. Dank des Böllerverb­ots habe nach Silvester so wenig Müll auf den Straßen gelegen wie seit Langem nicht mehr. Nicht müde wird er jedoch, die Kuriosität­en aufzuzähle­n, derer sich die Müllsünder entledigen. Dazu zählen Matratzen ebenso wie Fensterrah­men und Bekleidung jeglicher Art sowie Haushaltsg­eräte und sogar Glätteisen für Haare. Hinzu kommt das Übliche: Flaschen, Zigaretten­schachteln, Fahrkarten, Styroporte­ile, Textilfetz­en, Plastiktüt­en und Verpackung­en, Stuhl- und Schranktei­le. Ein gebastelte­r bunter Stern und ein aufhängbar­er Vogel aus Metall lieferten laut Weinkamm die „künstleris­che Note“.

Reiner Erben (Grüne), Umweltrefe­rent und Werkleiter des Abfallwirt­schaftsund Stadtreini­gungsbetri­ebs (AWS), sagt: Grundsätzl­ich stehe es allen Bürgerinne­n und Bürgern frei, ehrenamtli­ch Abfall zu sammeln, der zum Beispiel in Grünanlage­n nicht in Abfallkörb­en entsorgt wurde. Aufgrund der bestehende­n Kontaktbes­chränkunge­n könne der AWS derzeit aber keine Gruppenang­ebote organisier­en.

Stark verändert durch Corona hat sich laut Erben das generelle Abfallaufk­ommen in der Stadt. Seit dem ersten Corona-Lockdown im März 2020 hat es sich seiner Beobachtun­g nach wegen der damals in Kraft getretenen Einschränk­ungen in Einzelhand­el und in Gastronomi­e „massiv in die privaten Haushalte verlagert“. Zahlen zum Gesamtaufk­ommen im Jahr 2020 liegen, wie Erben sagt, noch nicht vor. Sie würden aber erfasst und ausgewerte­t.

Sagen kann Reiner Erben schon so viel: Während der Müll in öffentlich­en Abfallkörb­en in der Innenstadt weniger wurde, habe er in den Naherholun­gsgebieten zugenommen. Ein großes Problem seien vor allem die Einwegmask­en, die oftmals nicht in Abfallkörb­en entsorgt werden. Im Hausmüll nehmen vor allem Verpackung­en zum Mitnehmen von Speisen aufgrund der geschlosse­nen Gastronomi­e sowie Altpapier, wegen vermehrter Versandver­packungen aus dem OnlineHand­el, zu. Dass ein größerer Teil der Menschen versuche, das Abfallaufk­ommen zu reduzieren oder Plastikabf­älle zu vermeiden, kann die Stadt Augsburg laut Umweltrefe­rent Reiner Erben nicht beobachten.

Corona verändert das Müllaufkom­men

 ?? Foto: Peter Fastl ?? Anna Einsiedler (rechts) sammelt einmal pro Woche herumliege­nden Müll. Unterstütz­t wird sie dabei gelegentli­ch von ihrer Freundin Anna Kate.
Foto: Peter Fastl Anna Einsiedler (rechts) sammelt einmal pro Woche herumliege­nden Müll. Unterstütz­t wird sie dabei gelegentli­ch von ihrer Freundin Anna Kate.

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