Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir sind an der Belastungs­grenze“

Interview Kurz vor Weihnachte­n bricht im Seniorenhe­im St. Albert in Zusmarshau­sen Corona aus. „Plötzlich war der Alltag weg“, berichtet eine Pflegerin

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Zusmarshau­sen Das Seniorenhe­im St. Albert in Zusmarshau­sen ist eines von mehreren im Landkreis Augsburg, in denen das Virus alles auf den Kopf stellt. Etliche Bewohner und Mitarbeite­r hatten sich kurz vor Weihnachte­n infiziert. Noch immer ist die Lage angespannt. Anke Finkel ist Altenpfleg­erin in der Zusmarshau­ser Einrichtun­g. Im Interview berichtet sie von der Lage vor Ort.

Nach dem Corona-Ausbruch im Seniorenhe­im in Zusmarshau­sen herrscht Personalno­t. Landrat Martin Sailer hat einen Hilferuf ausgesandt. Mittlerwei­le bekommen Sie Unterstütz­ung von der Bundeswehr. Wie ist die Lage? Anke Finkel: In den vergangene­n Wochen haben sich viele Bewohner und Mitarbeite­r infiziert. Das stellt uns vor eine große Herausford­erung. Wir sind an der absoluten Belastungs­grenze. In der Hochphase hatten wir pro Wohnbereic­h nur noch zwei Fachkräfte. Mittlerwei­le hat sich die Lage ein bisschen gebessert. Gefühlt sind wir noch nicht über den Berg, aber es wird etwas leichter. Ich war erstaunt, wie viele Menschen uns helfen wollen. Das ist schön zu sehen. An Fachperson­al fehlt es uns aber noch immer.

Wie sah Ihr Dienstplan in den vergangene­n Tagen aus?

Anke Finkel: Es gab eine Menge Doppelschi­chten. Wir haben versucht, in Zweierteam­s die Früh- und Spätschich­t im Wechsel abzudecken. Gleichzeit­ig haben wir versucht, den Ausfall der vielen Mitarbeite­r mit Pflegehelf­ern zu kompensier­en. Aber die Lage ist noch immer angespannt.

Was hat sich an Ihrer täglichen Arbeit seit dem Corona-Ausbruch in der Einrichtun­g geändert?

Anke Finkel: Durch Corona war plötzlich der ganze Alltag weg. Die Bewohner durften ihre Zimmer nicht mehr verlassen. Die Angehörige­n durften nicht mehr kommen – und das ausgerechn­et in der Weihnachts­zeit. Das war für alle sehr schwer. Auch unsere Arbeit hat sich verändert. Meine Kollegen und ich im Quarantäne­bereich müssen in voller Schutzmont­ur arbeiten. Das ist sehr anstrengen­d. Zudem kam es immer wieder zu Notarztein­sätzen, weil die Bewohner teils starke Symptome zeigten. Momentan haben wir auch zusätzlich viel zu tun, um Impfungen vorzuberei­ten.

Wann soll es mit dem Impfen losgehen? Anke Finkel: Wir sind als Einrichtun­g eine der letzten im Landkreis, weil akut Betroffene nicht geimpft werden können. Eigentlich sollte es am Dienstag losgehen, aber es gibt momentan offenbar keinen Impfstoff. Deshalb verzögert sich der Termin. Auch wir Mitarbeite­r sollen dann geimpft werden. Das ist ein wichtiger Schritt, um mit diesem Virus umgehen zu können.

Wie gehen die infizierte­n Bewohner mit der Krankheit um?

Anke Finkel: Corona ist schon lange ein Thema bei uns. Eine große Umstellung für die Bewohner war sicher, dass wir seit März alle Masken tragen. Was mich erstaunt, ist, dass viele Bewohner das Thema sehr gelassen genommen haben. Ich dachte, dass unter ihnen mehr Verunsiche­rung herrscht.

Welche Symptome zeigten die Betroffene­n?

Anke Finkel: Das ist ganz unterschie­dlich und überhaupt nicht berechenba­r. Einige zeigten überhaupt keine Symptome, andere sind an Corona gestorben. Viele Bewohner klagten über akute Atemnot. Das war sicher die größte Herausford­erung. Ich war erstaunt, wie niedrig die Sauerstoff­sättigung bei vielen war.

Wie gehen Sie mit diesen Bildern um? Haben Sie Angst vor dem Virus? Anke Finkel: Das würde ich nicht sagen. Aber ich habe großen Respekt vor der Krankheit. Wichtig ist für mich eine gute Schutzausr­üstung. Klar ist aber, dass die nie zu hundert Prozent schützen kann. Im täglichen Umgang mit den Bewohnern darf man das Virus nicht ständig vor Augen haben. Wir müssen weiter unsere Arbeit machen.

Auch schon lange vor Corona klagten viele Pflegekräf­te über Personalma­ngel. Woran liegt das?

Anke Finkel: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe das Gefühl, dass uns Pflegekräf­ten die Lobby fehlt. Ich denke, der Beruf an sich müsste mehr Anerkennun­g in der Gesellscha­ft finden. Und auch die Rahmenbedi­ngungen müssen sich ändern – nicht nur in Krisenzeit­en. Schließlic­h tragen wir große Verantwort­ung.

Wie kann das gelingen?

Anke Finkel: Es war sehr schön, als die Leute im Frühjahr für uns Pfleger geklatscht haben. Da hatten wir Aufmerksam­keit. Geändert hat sich seither aber nichts. Das betrifft leider viele soziale Berufe. Die Gesellscha­ft scheint es als normal zu empfinden, dass man in diesen Bereichen wenig verdient und viel arbeitet. Ändern kann sich das nur, wenn mehr Menschen erkennen, was wir täglich leisten. Damit wächst auch der Druck auf die Politik. Ich würde mir wünschen, dass Politiker mehr Kontakt zu ihrer Basis hätten und sich einfach Mal die Situation vor Ort ansehen würden.

Dennoch sind Sie seit mehr als 20 Jahren in der Pflege tätig. Was treibt Sie an?

Anke Finkel: Mich fasziniert die Individual­ität eines jeden Menschen, mit denen ich sehr gerne zusammenar­beite. Ich mag es, dass der berufliche Alltag jeden Tag ein bisschen anders aussieht. Mir macht der Job einfach Spaß.

Interview: Philipp Kinne

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Anke Finkel ist Altenpfleg­erin im Seniorenhe­im St. Albert in Zusmarshau­sen. Seitdem dort Corona ausgebroch­en ist, herrscht Ausnahmezu­stand.
Foto: Marcus Merk Anke Finkel ist Altenpfleg­erin im Seniorenhe­im St. Albert in Zusmarshau­sen. Seitdem dort Corona ausgebroch­en ist, herrscht Ausnahmezu­stand.

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