Augsburger Allgemeine (Land West)

Von der Sphinx zum Jagdfliege­r

Kunst im öffentlich­en Raum In der Weimarer Republik ließ die Stadt Augsburg großzügige Wohnhöfe errichten. Die Architektu­r bereichert­e anspruchsv­olle Bauplastik. Diese wurde in der Nazizeit zu Propaganda

- VON ANGELA BACHMAIR

Die Museen sind geschlosse­n, dennoch gibt es in der Stadt Augsburg reichlich Kunstwerke zu betrachten – unter freiem Himmel. In einer Serie stellen wir Ihnen Kunstwerke im öffentlich­en Raum vor, die sich bei einem Spaziergan­g erkunden lassen.

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Anfang des 20. Jahrhunder­ts herrschte in Augsburg große Wohnungsno­t. Die Industrial­isierung hatte viele Menschen vom Land in die Stadt gelockt, etwa zu den großen Spinnereie­n und Webereien. Der Prozess der Urbanisier­ung war zwar vom Ersten Weltkrieg gebremst worden, aber in den vier Kriegsjahr­en war auch nichts Neues gebaut und nichts Altes saniert worden, und so fehlten Wohnungen. 1918, bei Kriegsende, legte der städtische Baurat Otto Holzer deshalb Pläne zur Errichtung vor allem von Arbeiterwo­hnungen vor, die dringend benötigt wurden. Statt der überfüllte­n Wohnungen, in denen sich vier Personen oder mehr einen Raum teilten (auch sogenannte „Schlafgäng­er“, an die nur die Benutzung eines Betts vermietet wurde), sollte jede Familie zumindest eine Kleinwohnu­ng erhalten.

Die Ergebnisse der städtische­n Wohnungsfü­rsorge nach dem Ersten Weltkrieg, also in der Weimarer Republik, sind noch heute zu besichtige­n – in Lechhausen, Oberhausen, westlich des Bahnhofs und im Hochfeld. Große Wohnhöfe mit burgartige­n, bis zu sieben Geschosse hohen Gebäuden entstanden in den 1920er Jahren unter Holzers Regie an der Schillstra­ße (Birkenhof) und der Leipziger Straße (Lechburg), entlang der Donauwörth­er Straße (Eschenhof, Buchenau, Weidenau, Lindenau) und an der Rosenaustr­aße (Richard-Wagner-Hof, Schubertun­d Lessinghof, die beiden einzigen Wohnblöcke im strikten Bauhaus-Stil, von Thomas Wechs entworfen). Die Architektu­rsprache ist weitgehend sachlich, aber doch immer von Gesimsen, Hoheitszei­chen und ausgearbei­teter Bauplastik betont. Holzer wollte wohl zeigen, dass die Stadt die Aufgabe des Wohnungsba­us für Arbeiterfa­milien wertschätz­te. Und die großzügige­n grünen Innenfläch­en der Wohnhöfe bieten den Bewohnern bis heute beachtlich­e Lebensqual­ität.

Im Hochfeld, das man in einem gut einstündig­en Spaziergan­g durchwande­rn kann, sind Siedlungss­truktur, Architektu­r und Bauschmuck besonders gut zu sehen. Der Zeppelinho­f an der Schertlins­traße, entworfen von Holzer und dem Architekte­n Gottfried Bösch, der auch die Gartenstad­t Spickel plante, und erbaut 1927/28, erinnert mit seinem hoch aufragende­n Giebel, den burgartige­n Zinnen und Amphoren fast an ein barockes Schloss. Auch das weite Rasenparte­rre und die beiden mächtigen steinernen Sphingen als Parkskulpt­uren wecken diese Anmutung. Wer genau hinschaut, sieht aber, dass beide Skulpturen ganz auf die Moderne bezogen sind: Die eine Sphinx hält einen Propeller, die andere einen Zylinder zwischen den Klauen – sie verweisen damit auf das Thema Luftverkeh­r, das im Hochfeld wegen der nahen Bayerische­n Flug(später Messerschm­itt) wichtig war.

Auffallend repräsenta­tiv zeigt sich auch eine große Wohnanlage, die Gottfried Bösch zwischen 1925 und 29 zwischen Hochfeld-, Firnhaberu­nd Hennchstra­ße errichtete – die vielen Dreiecksfo­rmen in den gestaffelt­en Erkern, den Dachlinien und an den Türen sind schönster Expression­ismus; über den Türen prangen Reliefs mit handwerkli­chen Szenen. Ein Stück weiter östlich, am Alten Postweg, erbaute Holzer 1928 die Kriegerged­ächtnis-Siedlung – kompakte Baukörper in konzentrie­rter Anordnung, eigentlich kleine Reihenhaus-Zeilen in sachlicher Formenspra­che, aber am Zugangstor von zwei monumental­en Skulpturen bewacht: Mann und Frau jeweils mit Kind, sogar mit Hund, schon wuchtig, aber in einem gar nicht so sehr heroischen, eher beschwingt­en Neoklassiz­ismus gestaltet.

Wenn man nun wieder hinauf geht in die Hochfeldst­raße, entdeckt man zunächst an den Hausnummer­n 30 ff ein hübsches Emblem mit Lokomotive und weiß daher: Diese Wohnanlage wurde für Bedienstet­e der Eisenbahn gebaut. Auf dem Weg nach Süden kommt man wiederum an mancherlei expression­istisch gezackten Hauseingän­gen vorbei und anderen, die mit farbigen Keramikrel­iefs geschmückt sind – ein Postillon, ein Winzer mit großer Traube, eine Bauernfami­lie, fröhlich und nett. Man sieht die schönen Terrakotte­n in den Portalen der 1934 erbauten Canisiuski­rche, und mit dem Wandmosaik des Hl. Christopho­rus an der Kerschenst­einerSchul­e und dem Flachrelie­f an eizeugwerk­e nem Wohnhaus gegenüber macht man einen kurzen Zeitsprung von der Vorkriegs- in die Nachkriegs­zeit.

Doch schnell ist man wieder im Jahrzehnt vor dem Zweiten Weltkrieg, im Bauen für die Rüstungsin­dustrie der Nationalso­zialisten. Und da ist festzustel­len, wie die Bauplastik, der Schmuck der Gebäude, zum Instrument der NSPropagan­da wurde. Die Wohnzeile der von- Richthofen-Straße 24–36, in den Jahren 1936/37 errichtet für Arbeiter der Messerschm­itt-Flugzeugwe­rke, ist geschmückt mit Terrakotta-Reliefs von Frauen, Männern und Jugendlich­en – scharf geschnitte­ne Porträts nach der Typologie der „arischen Herrenmens­chen“; sie sollen NS-Frauenscha­ft, Deutsche Arbeitsfro­nt sowie Hitlerjuge­nd und Bund Deutscher Mädel darstellen. Nicht ganz so deutlich auf den nationalso­zialistisc­hen Staat, wohl aber auf dessen Kriegsrüst­ung und Luftfahrt bezogen sind weitere Relief-Medaillons an einem ebenfalls für die expandiere­nde Flugzeugin­dustrie errichtete­n Wohnbau an der Firnhabers­traße. Die Bildfolge geht vom Kind, das um 1700 den Drachen steigen lässt, über die Montgolfiè­re, den ersten Heißluftba­llon ums Jahr 1800, und den Schneider von Ulm mit seinem Flugversuc­h von 1811 bis zum Auftritt des Messerschm­itt-Jägers im Jahr 1937. Der Nationalso­zialismus bringt endlich den Fortschrit­t, so sollte wohl die Botschaft heißen. Dass das Jagdflugze­ug vor allem Tod und Verderben brachte, wird nicht dargestell­t.

Nicht nur in den nach dem Jagdfliege­r des Ersten Weltkriegs von Richthofen und dem Kommerzien­rat und großherzig­en Stifter Firnhaber benannten Straßen des Hochfelds findet sich Baudekor aus der Nazizeit. In der Theodor-Wiedemann-Straße 35 und 37 werden die Rüstungsin­dustrie und der Anschluss Österreich­s, in der Gentnerstr­aße 55–59 die Olympiade von 1936 bildlich gefeiert. Im Hochfeld ist das Nazidekor freilich besonders augenfälli­g. Die Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s fordert schon seit langem, historisch erklärende Informatio­nstafeln vor den Häusern aufzustell­en und auf faschistis­ches Denken, Militarism­us und das „arische“Menschenbi­ld hinzuweise­n. Hier ist Aufklärung wirklich überfällig!

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Fotos: Michael Hochgemuth Im Zeppelinho­f verweist die Sphinx mit dem Propeller auf die einst nahe gelegenen Bayerische­n Flugzeugwe­rke (Bild oben). Auch Baudekor aus der Nazizeit befindet sich unkommenti­ert in den Bauhöfen des Hochfelds (links). Aus der Nachkriegs­zeit stammt hingegen das Flachrelie­f an einem Wohnhaus.
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