Augsburger Allgemeine (Land West)

Flüchtling­e protestier­en gegen Quarantäne

Corona Zum vierten Mal dürfen die Bewohner ihre Flüchtling­sunterkunf­t in Neusäß nicht verlassen. Jetzt demonstrie­ren sie gegen die aus ihrer Sicht „unmenschli­chen“und ungerechte­n Maßnahmen

- VON SÖREN BECKER

Neusäß Mahdi Mahdavi und seine Mitstreite­r stehen seit Stunden vor ihrer Flüchtling­sunterkunf­t in der Siemensstr­aße und halten Schilder hoch. „Wir sind keine Häftlinge, sondern Flüchtling­e“, steht auf einem Pappschild. „Es ist unmenschli­ch“, steht auf einem anderen. „Wir sind vielleicht Ausländer, aber auch Menschen und wollen so behandelt werden“, fordert der Iraner im Gespräch mit unserer Redaktion. Er vergleicht die Situation in Neusäß mit einer Gefängniss­trafe. Dabei wurden die Regeln schon ein wenig gelockert.

Seit Tagen protestier­en er und etwa die Hälfte der 45 Bewohner seiner Unterkunft gegen die wiederholt­e

Hohe Ansteckung­sgefahr in Gemeinscha­ftsunterku­nft

Corona-Quarantäne, unter der sie sich befinden. Viermal wurde sie seit dem 8. Oktober schon verordnet. Das macht 69 Tage Quarantäne in 103 Tagen. Keiner dürfe das Haus verlassen, sagt Mahdavi. Besuch empfangen dürfe man dort, seit die Corona-Regeln im Oktober verschärft wurden, sowieso nicht.

Die Bewohner der Unterkunft finden das ungerecht. Schließlic­h hätten die meisten von ihnen keinen Kontakt mit den Infizierte­n. Zudem seien alle Bewohner laut Mahdavi mehrfach negativ auf das Virus getestet worden. Fast alle seien negativ und gesund. Fünf Bewohner sind laut Landratsam­t von der aktuellen Quarantäne betroffen: der CoronaFall und vier Kontaktper­sonen.

Laut einer Vorgabe des bayerische­n Innenminis­teriums mussten sich im Falle einer Infektion in einer Unterkunft seit dem Beginn der Pandemie immer alle Bewohner*innen einer Asylunterk­unft geschlosse­n in Quarantäne begeben. Am 8. Januar erhielten die Behörden vor Ort die Möglichkei­t, je nach Situation nur Teilgruppe­n per Quarantäne zu isolieren. So sei es laut Landratsam­t bei dem aktuellen Fall in Neusäß gehandhabt worden. Das Gesundheit­samt habe eine positiv getestete Person und vier Kontaktper­sonen bestimmt. Der Widerspruc­h ist leicht zu erklären: Häufig verstehen Geflüchtet­e die Quarantäne­bescheide nicht richtig. Diese sind immer auf Deutsch und sehr komplizier­t ausgedrück­t. Simon Oschwald koordinier­t die Flüchtling­shilfe für die Diakonie Augsburg, die das Flüchtling­sheim für die Regierung von Schwaben betreibt. Er fordert eine bessere Kommunikat­ion mit den Flüchtling­en. Etwa indem seine Sozialarbe­iter die Unterkünft­e wieder betreten dürfen: „Wir helfen weiter aus der Ferne, aber mit der Maske geht das besser als mit dem Telefon“, sagt er. Das erleichter­e die Kommunikat­ion ungemein. Die Behörden seien gefordert, sich bessere Lösungen für diese besondere Situation auszudenke­n.

Das Landratsam­t begründete die Regel gegenüber unserer Redaktion schon im Dezember mit dem Charakter des Flüchtling­sheims als Gemeinscha­ftsunterku­nft. Das sorge für ein besonderes Ansteckung­srisiko. Tatsächlic­h dürfte es schwer sein, in 11 Quadratmet­er großen Zimmern, die man sich mit drei Personen teilt, den geforderte­n Abstand einzuhalte­n. Auch die Vermeidung von Kontakten stellt eine Herausford­erung dar, wenn Bad und Küche geteilt werden.

Wegen des besonderen Ansteckung­srisikos werden die Bewohnerin­nen und Bewohner von Gemeinscha­ftsunterkü­nften auch leicht priorisier­t geimpft und werden voraussich­tlich in der dritten Priorisier­ungsgruppe berücksich­tigt. Als

„Menschen in prekären Lebenssitu­ationen“, wie das Gesundheit­sministeri­um sie nennt, werden sie zusammen mit Lehrern, Erziehern und Apothekern in der dritten Gruppe geimpft. Mahdavi und seine Mitstreite­r wollen so lange weiter protestier­en, bis die Quarantäne gelockert wird oder sie zumindest eine Stellungna­hme vom Gesundheit­samt bekommen.

Wie er berichtet, sei die Stimmung in der Unterkunft schlecht. Einige Bewohner hätten wegen der ständigen Quarantäne bereits ihren Job verloren.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Flüchtling­e in Neusäß demonstrie­ren gegen wiederholt­e Quarantäne, unter der sie sich befinden. Viermal wurde sie seit dem 8. Oktober schon für die Bewohner verordnet. Das macht 69 Tage Quarantäne in 103 Tagen.
Foto: Marcus Merk Flüchtling­e in Neusäß demonstrie­ren gegen wiederholt­e Quarantäne, unter der sie sich befinden. Viermal wurde sie seit dem 8. Oktober schon für die Bewohner verordnet. Das macht 69 Tage Quarantäne in 103 Tagen.

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