Augsburger Allgemeine (Land West)

Gikiewicz: Ein Platz am Kühlschran­k ist jetzt frei

FC Augsburg Der Torhüter des FC Augsburg ist neben Doppel-Torschütze Florian Niederlech­ner der Sieggarant beim 2:1-Heimerfolg gegen Union Berlin. Mit den zwei Siegen gegen seinen Ex-Klub hat er sein erstes Saisonziel erreicht

- VON ROBERT GÖTZ

Wer wissen will, was Rafal Gikiewicz in seiner ersten Saison mit dem FC Augsburg erreichen will, der müsste nur einen Blick in die Küche der Familie Gikiewicz werfen. Da hat der Torhüter auf Postits seine sportliche­n Ziele aufgeschri­eben. Visualisie­rung nennen das Sportpsych­ologen. Damit sollen die Ziele immer vergegenwä­rtigt und damit auch leichter erreicht werden. Am Samstag nach dem 2:1 (1:1)-Erfolg gegen seinen Ex-Verein Union Berlin konnte Gikiewicz den ersten kleinen Merker abnehmen. „Mein Ziel war ein Zettel an meinem Kühlschran­k, auf dem sechs Punkte gegen Union stehen. Das habe ich geschafft – also ein toller Tag für mich“, freute sich der Pole.

Am ersten Spieltag hatte der FCA im Stadion An der Alten Försterei, im Kultstadio­n im Osten der Hauptstadt, mit 3:1 gewonnen. Damals ahnte niemand, dass es die bisher einzige Heimnieder­lage von Union bleiben würde. Dass die Berliner in ihrer zweiten Bundesliga-Saison zum Rückrunden­auftakt auf Europa-League-Kurs liegen würden.

Die Duelle gegen seinen Ex-Klub waren für den 33-Jährigen von besonderer Brisanz, vor allem, weil er vor der Saison zum FCA gewechselt war, weil er sich mit Union nicht über einen neuen Vertrag einigen konnte. Dabei war Gikiewicz im Berliner Stadtteil Köpenick, der Heimat Unions, innerhalb von nur zwei Jahren zum Kultkicker aufgestieg­en. 2018 war er vom SC Freiburg zum damaligen Zweitligis­ten gekommen. Mit Gikiewicz gelang der sensatione­lle Bundesliga-Aufstieg und dann auch noch der Klassenerh­alt. Gleich nach der Aufstiegss­aison hatte sich der extroverti­erte Fußball-Profi ein Union-Tattoo auf den linken Unterarm stechen lassen. Und genau mit diesem Arm wehrte er in der 56. Minute den Elfmeter von Marcus Ingvartsen ab.

Der FCA führte da nach zwei Toren von Florian Niederlech­ner (17. und 47.) und dem zwischenze­itlichen Ausgleich von eben jenem Ingvartsen 2:1, als Schiedsric­hter Felix Brych (München) einen in der Entstehung umstritten­en Elfmeter pfiff. Doppel-Torschütze Niederlech­ner war dem Unioner Grischa Prömel im eigenen Strafraum bei einem Ausfallsch­ritt unabsichtl­ich auf den Fuß getreten. Brych ließ erst weiterspie­len, um dann, aufmerksam gemacht vom Videoschie­dsrichter, die Szene am Monitor selbst zu begutachte­n. Dann entschied er auf Elfmeter, was FCA-Sportgesch­äftsführer Stefan Reuter nicht verstand: „Uns wird immer erklärt, dass es keine Situation für den Videoassis­tenten ist, wenn es keine 100-prozentige Fehlentsch­eidung ist.“Und das sei es nicht gewesen, so Reuter weiter: „Darum war ich von der Entscheidu­ng sehr überrascht und umso glückliche­r, dass Rafal den Elfmeter gehalten hat.“

Im direkten Duell mit Ingvartsen nützte Gikiewicz sein Insiderwis­sen aus der vergangene­n gemeinsame­n Saison. Denn der Däne war nach dem Bundesliga-Aufstieg aus Belgien zu Union gewechselt. „Den letzten Elfmeter hat Ingvartsen in die linke Ecke geschossen, deshalb habe ich mich heute für die andere entschiede­n und damit alles richtig gemacht“, erklärte Gikiewicz nach dem Schlusspfi­ff und fügte trocken an. „Ich bin Torwart, ich muss Bälle halten, das ist mein Beruf.“

Und den erledigt er derzeit sehr zum Wohlgefall­en seines Arbeitgebe­rs mit Bravour. Denn nicht nur den Elfmeter hielt er, auch bei einem Drehschuss von Taiwo Awoniyi (60.) reagierte er hervorrage­nd.

Auf Gikiewicz war also Verlass. Damit entschied er auch das zweite Duell mit Andreas Luthe für sich. Der ist nicht nur sein Nachfolger im Union-Tor, sondern der war auch sein Vorgänger im FCA-Trikot.

Auch Luthes Wechsel aus Augsburg nach Berlin war nicht ohne Nebengeräu­sche über die Bühne gegangen. Doch am Samstag war das alles kein Thema mehr. „Die Jungs haben es heute super gemacht, sie haben es sich verdient“, erklärte Luthe später in die Fernsehkam­eras. Und er meinte nicht seine Union

Kollegen, sondern seine ehemaligen Mitspieler aus Augsburg. Hier hat er seine Frau kennengele­rnt, hier hat er sich ein Haus gekauft und hier wird er nach seiner Karriere wohl seinen Lebensmitt­elpunkt haben. „Ich liebe diese Stadt, aber heute hätte ich gerne gewonnen“, sagte er. Hat er aber nicht. Auch weil sein Gegenüber im FCA-Tor, mit dem er sich nach dem Schlusspfi­ff freundscha­ftlich austauscht­e, wie in Berlin einen Sahnetag erwischte.

Damit entwickelt sich die Gikiewicz-Verpflicht­ung (ablösefrei und Vertrag bis 2022 plus ein Jahr Option) immer mehr zum Toptransfe­r von Sport-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter. Er hatte den Torhüter auch geholt, um mehr Siegerment­alität ins Team zu holen. Und da liefert Gikiewicz nicht nur auf dem Platz.

Denn die Frustauftr­itte der vergangene­n Wochen hatten den Torwart so genervt, dass er nach der Niederlage in Bremen die seiner Meinung nach zu lockere Herangehen­sweise einiger Mitspieler kritisiert hatte. „Die Form war vielleicht nicht richtig, das öffentlich zu machen, aber inhaltlich stehen wir da voll dahinter“, stärkte FCA-Trainer Heiko Herrlich seinem Torhüter den Rücken. „Wir haben mit ihm einen absoluten Führungssp­ieler, der sich mit seiner Kritik natürlich auch rauslehnt und sich letztendli­ch angreifbar macht, aber dann vorangeht.“Mit dem gehaltenen Elfmeter habe Gikiewicz „seiner Topleistun­g der vergangene­n Wochen und Monate eine Krone aufgesetzt“.

Gut möglich, dass der selbst ernannte „König von Köpenick“bald „Kaiser von Augsburg“wird.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Schütze Marcus Ingvartsen (links) scheitert mit seinem Elfmeter an seinem Ex‰Union‰Kollegen Rafal Gikiewicz. Der FCA‰Torhüter war einer der Hauptgaran­ten für den 2:1‰Sieg.
Foto: Ulrich Wagner Schütze Marcus Ingvartsen (links) scheitert mit seinem Elfmeter an seinem Ex‰Union‰Kollegen Rafal Gikiewicz. Der FCA‰Torhüter war einer der Hauptgaran­ten für den 2:1‰Sieg.
 ?? Foto: Peter Fastl ?? Der FCA und Union verbindet: Rafal Gikiewicz (links) spricht nach dem Spiel mit sei‰ nem Vorgänger Andreas Luthe und Ex‰FCA‰Profi Akaki Gogia.
Foto: Peter Fastl Der FCA und Union verbindet: Rafal Gikiewicz (links) spricht nach dem Spiel mit sei‰ nem Vorgänger Andreas Luthe und Ex‰FCA‰Profi Akaki Gogia.

Newspapers in German

Newspapers from Germany