Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir stehen wegen Corona unter Druck“

Interview Kati Wimmer leitet den „BeTreff“, eine Anlaufstel­le für Süchtige am Oberhauser Bahnhof. Sie erklärt, warum sie die aktuelle Hilfswelle von Privatpers­onen für problemati­sch hält – und was eine Lösung sein könnte

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Frau Wimmer, als Leiterin des „BeTreffs“am Helmut-Haller-Platz beobachten Sie, dass derzeit etliche Menschen zu dem Platz kommen, um Drogensüch­tige mit Essen oder Kleiderspe­nden zu unterstütz­en. Gab es diese Hilfsberei­tschaft schon immer? Kati Wimmer: Es gab immer wieder mal vereinzelt Helfer vor Ort. Aber während der Corona-Pandemie hat das stark zugenommen. Los ging es im ersten Lockdown vorigen März. Ich denke, dass die erhöhte Hilfsberei­tschaft damit zusammenhä­ngt, dass etliche Bürger derzeit ihren Beschäftig­ungen oder ihrem Ehrenamt aufgrund der Pandemie nicht mehr nachgehen können und sich nun anderweiti­g engagieren wollen.

Sie sind aber nicht unbedingt glücklich damit, haben diese Art der Hilfe auch schon kritisiert.

Wimmer: Natürlich begrüßen wir grundsätzl­ich Hilfsberei­tschaft. Es braucht jeden Bürger, der erkennt, wenn jemand in Not ist. Die Gesellscha­ft lebt davon, dass man aufeinande­r achtet. Aber für uns ist es gerade jetzt wichtig, wie das abläuft. Wir haben eine Pandemie, müssen uns an Kontaktbes­chränkunge­n halten und Hygienereg­eln befolgen. Auch im „BeTreff“selbst, in dem wir bis zu 90 Menschen an einem Tag versorgen, müssen wir uns an ein Hygienekon­zept halten. Unsere Klienten dürfen nur noch einzeln hereinkomm­en, es gibt zudem vier Sessel, in denen sich Menschen gleichzeit­ig für eine Viertelstu­nde ausruhen können, dann dürfen die nächsten. Das finden wir auch traurig, aber es ist aufgrund von Corona nicht anders machbar. Darum sehen wir die private Hilfe, die derzeit am Platz selbst abläuft, mit Sorge.

Warum?

Wimmer: Wir wollen angesichts des Infektions­schutzes unsere Angebote aufrechter­halten können und deshalb verhindern, dass an anderer Stelle Chaos entsteht. Laut Anwohnern sind es zehn bis 15 verschiede­ne Personen, die den Drogenabhä­ngigen regelmäßig etwas vorbeibrin­gen. Zu manchen konnte ich Kontakt aufnehmen. Einige sind einsichtig. Da war etwa ein Mann, der mit seinen jugendlich­en Kindern kam und aus dem Auto heraus Essen verteilte. Ich sagte ihnen, dass ich das schön finde, aber dass es zu ihrem Schutz und zum Schutz der Klienten wichtig ist, Abstand zu halten. Ich bot ihnen an, das Essen in den „BeTreff“zu bringen, damit wir es unter Berücksich­tigung unseres Hygienesch­utzkonzept­s an die Bedürftige­n verteilen können. Man darf nicht vergessen, dass unsere Klienten wegen ihres geschwächt­en Immunsyste­ms und diversen Erkrankung­en Hochrisiko­patienten sind.

Sie kritisiert­en, dass Kleiderspe­nden zum Teil auch wahllos vorbeigebr­acht werden, Jacken etwa einfach auf dem Boden liegen bleiben.

Wimmer: Es gibt gerade ein Überangebo­t an Schlafsäck­en und Kleiderspe­nden. Das muss koordinier­t werden. Meine Kollegin Carina Huber vom SKM, weitere Helfer und ich haben im Blick, welcher Klient was braucht. Es wäre sinnvoll, wenn sich Spender damit an uns wenden, wie es im Übrigen auch schon lange gut funktionie­rt.

Sie haben mit Ihrer Kritik an privaten Helfern unlängst deren Unmut auf sich gezogen. In einem Gespräch mit unserer Redaktion meinten Sie, dass für diese Menschen die Klientel am Oberhauser Bahnhof nur Mittel zum Zweck sei, um etwas für ihr eigenes Ego zu tun. Ist der Ärger der Helfer da nicht verständli­ch?

Wimmer: Die Äußerung war sicherlich unklug. Aber wir stehen sehr unter Druck. Wir versuchen unser Angebot im „BeTreff“trotz Pandemie aufrechtzu­erhalten. Das ist mit vielen Anstrengun­gen verbunden. Manche Mitarbeite­r arbeiten am Limit. Und dann bekommen wir – vor allem über die sozialen Medien – vorgeworfe­n, dass wir uns um die Drogensüch­tigen und Obdachlose­n nicht genügend kümmern. Da wird etwa geschimpft, dass wir zwischen Weihnachte­n und Neujahr den BeTreff geschlosse­n hatten. Das stimmte aber nicht. Zwei Tage war zu, weil wir in der Zeit im Rahmen der Stadtweihn­acht an Bedürftige Essen ausfuhren. Aber das wurde nicht gesehen. Dann fühlen wir uns nicht richtig wahrgenomm­en und wertgeschä­tzt. Mir tut das vor allem für unsere Ehrenamtli­chen leid.

Das heißt, Sie arbeiten grundsätzl­ich schon mit Privatpers­onen zusammen?

Wimmer: Natürlich – die Drogenhilf­e und der SKM sind ja einst auch auf Basis des Ehrenamtes gegründet worden. Wir werden schon immer von Bürgern unterstütz­t – nicht nur durch Spenden – und nehmen das gerne an. Wir haben zum Beispiel eine Dame, die bringt jede Woche

Kuchen vorbei. Sie backt für ihr Leben gerne und will den Bedürftige­n damit eine Freude machen. Wir verteilen ihren Kuchen. Auch eine Fußpfleger­in und eine Friseurin kamen vor Corona regelmäßig in den BeTreff. Das ist eine tolle Sache, wird aber von uns koordinier­t.

Lässt sich die aktuell aufflammen­de Hilfsberei­tschaft nicht auch bündeln? Wimmer: Das wäre wünschensw­ert. Wir können nur appelliere­n, mit uns zusammenzu­arbeiten. Mit einer privaten Helferin haben wir uns bereits in einem Online-Treffen abgesproch­en, wie sie uns unterstütz­en kann. Wir können sicherlich voneinande­r profitiere­n. Es gibt keinerlei Grund für Konkurrenz­denken, es soll ein Miteinande­r sein. Schließlic­h geht es um Hilfsbedür­ftige. Aber Hilfe braucht auch Begleitung. Da geht es auch um das Verständni­s der Lebenswelt eines Suchtabhän­gigen. Das eine ist die Hilfsberei­tschaft, das andere die Expertise und Erfahrung von uns Fachleuten, die nötig ist.

Interview: Ina Marks

Zur Person Kati Wimmer, 47, von der Drogenhilf­e Schwaben leitet zu‰ sammen mit Carina Huber vom katholi‰ schen Sozialverb­and SKM den „Be‰ Treff“am Helmut‰Haller‰Platz. Die An‰ laufstelle für Suchtabhän­gige wurde 2018 eröffnet, der damalige Ordnungs‰ referent Dirk Wurm (SPD) hatte sich dafür eingesetzt.

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Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv) Der Helmut‰Haller‰Platz ist ein Treffpunkt der Süchtigens­zene – auch jetzt, in der Corona‰Pandemie. Die Zahl der Menschen, die hier helfen wollen, hat zugenommen.
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Foto: Silvio Wyszengrad Kati Wimmer von der Drogenhilf­e Schwaben leitet mit Carina Huber vom SKM den Süchtigen‰Treff am Helmut‰ Haller‰Platz.

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