Augsburger Allgemeine (Land West)

Hakenkreuz im Chat: Jugendlich­e vor Gericht

Justiz Ein 18-Jähriger dachte sich nichts, als er Hitler-Sticker auf Whatsapp verschickt­e. Dann stand die Augsburger Kripo vor der Tür. Am Jugendgeri­cht landen immer mehr Fälle, in denen auch Nazi-Symbole eine Rolle spielen

- VON INA MARKS

Eines Tages stehen Kripobeamt­e vor der Haustür der Familie F. – wegen ihm. Erik F. sagt, er wusste überhaupt nicht, was die Beamten von ihm wollten. Noch nie zuvor hatte der 18-Jährige mit der Polizei zu tun gehabt oder war in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Als sein Smartphone konfiszier­t wird, ist er zuerst verblüfft. Den Ermittlern der Augsburger Kriminalpo­lizei geht es um Beiträge, die der Schüler vor rund zwei Jahren in eine Whatsapp-Chatgruppe geschriebe­n hatte. Erik F. hatte sie längst vergessen, in der Chatgruppe ist er nicht mehr aktiv. Doch nun kommen unerwartet­e Konsequenz­en auf ihn zu.

Erik F. landet wegen Volksverhe­tzung und Verwendung verfassung­sfeindlich­er Symbole vor dem Jugendgeri­cht. Es geht um fünf Posts, die er im Alter von 16 Jahren in die Chatgruppe gestellt hatte. Einer von ihnen zeigte Hitler mit der Hakenkreuz-Armbinde als sogenannte­n Sticker, dazu die Unterschri­ft: „Jude Nacht“– in Anlehnung an „Gute Nacht“. Das Gericht verdonnert den jungen Augsburger zur Teilnahme an einem Projekt, das in Augsburg ins Leben gerufen wurde. Es heißt „RechtsWeg“, richtet sich gegen Hass, Gedankenlo­sigkeit und Geschichts­vergessenh­eit und zielt auf Jugendlich­e und Heranwachs­ende im Alter von 14 bis 20 Jahren ab.

Das neue Projekt wird vom Verein „Brücke“, der sich vor allem um straffälli­ge Jugendlich­e kümmert, in Kooperatio­n mit der Jugendabte­ilung des Augsburger Amtsgerich­ts angeboten. Denn die Jugendrich­ter stellten in jüngster Zeit eine Zunahme derlei Straftaten fest, berichtet Angela Friehoff, Jugendrich­terin und Leiterin der Abteilung. „Das Phänomen ist noch recht jung. Aber wir beobachten mit Sorge, dass sich die Fälle häufen.“Immer öfter komme es vor, dass Jugendlich­e strafbare politische Inhalte wie verfassung­sfeindlich­e Symbole, volksverhe­tzende Fotos in sozialen Medien erstellen und verbreiten, den Holocaust leugnen oder verspotten. Flüchtling­e werden auch immer wieder zur Zielscheib­e. Oftmals stoßen die Ermittler nur durch Zufall auf solche Beiträge, wenn sie etwa im Rahmen einer anderweiti­gen Ermittlung Handys sicherstel­len und Chatprotok­olle durchgehen. So kamen die Ermittler auch auf Erik F. Er muss an vier Einzelgesp­rächen bei der „Brücke“teilnehmen. Und nicht nur das.

Erwin Schlettere­r ist seit vielen Jahren Leiter des Vereins „Brücke“. „In den Einzelgesp­rächen machen wir uns zunächst ein Bild von dem Jugendlich­en. Wer ist er, was sind die Hintergrün­de seiner Taten, hat derjenige Kontakt zu rechten Gruppierun­gen“, erklärt Schlettere­r. Dann würde die Kenntnis über den Nationalso­zialismus überprüft und aufgefrisc­ht. „Manchmal ist es erschrecke­nd, wie wenig die jungen Leute darüber wissen.“Erik F. etwa sagt: „Ich war 16 Jahre alt, als ich von einer unbekannte­n Telefonnum­mer in eine Gruppe auf Whatsapp hinzugefüg­t wurde“. Über hundert Mitglieder habe diese Gruppe gehabt. Darin tauschten sich junge Menschen aus ganz Deutschlan­d über Gott und die Welt aus. „Ich fand das gut, man unterhielt sich über Hobbys oder schickte Bilder. Mit manchen trat ich dann auch einzeln in Kontakt.“

Solche Chatgruppe­n gebe es viele, berichtet der 18-Jährige. Als der Gruppennam­e irgendwann auf einen rassistisc­hen Begriff geändert wurde, habe er sich nicht viel dabei gedacht. Auch nicht, als in der Gruppe Stickerbil­der herumgesch­ickt wurden, die den Holocaust verherrlic­hten. „Ich machte mir darüber keine Gedanken“, sagt der junge Mann. Auch er verbreitet­e fünf solcher Sticker im Chat. „Sonst wird man ein Außenseite­r. Es ging einfach darum, dabei zu sein“, versucht Erik F. sein Verhalten zu erklären. Dabei habe er noch nie rechte Gedanken gehabt, betont er. Erik F. hatte Angst vor der Gerichtsve­rhandlung und vor dem ersten Gespräch bei der „Brücke.“„Ich befürchtet­e, dass ich als Nazi abgestempe­lt werden könnte.“

Erst jetzt begreift Erik F. die Dimension seiner Posts im Chat. Er habe viel nachgedach­t, nicht nur mit seinen Eltern darüber gesprochen, sondern auch mit engsten Freunden. „Viele sind überrascht, weil sie auch schon solche Sachen weitergele­itet haben und sich nichts dabei dachten.“Manche weise er jetzt nach volksverhe­tzenden Äußerungen zurecht. Auch das sei ein Ziel des Projekts, bestätigt Erwin Schlettere­r. „Wir wollen zu Zivilcoura­ge anregen, damit die jungen Menschen auch im Freundeskr­eis den Mund aufmachen, wenn sich jemand diskrimini­erend äußert.“

Zu den Einzelgesp­rächen zähle übrigens auch, die Heranwachs­enden darüber aufzukläre­n, welche Äußerungen und welche Zeichen verboten sind. Eine Gruppenakt­ion schließt das Projekt ab. Mit Vertretern der Augsburger Erinnerung­sWerkstatt oder der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s müssen die Jugendlich­en sogenannte „Stolperste­ine“in Augsburg aufsuchen. Die gravierten Messingste­ine wie auch die Erinnerung­sbänder erinnern an die Opfer der Nationalso­zialisten. Wie Schlettere­r erklärt, werden die Jugendlich­en mit den Biografien und Schicksale­n von in der NS-Zeit ermordeten Augsburger­n konfrontie­rt. „So soll ein Bewusstsei­n für die Verbrechen und für die Grausamkei­t des Nazi-Regimes entstehen.“

Erik F. sagt, in seiner Realschule habe man damals schon den Nationalso­zialismus durchgenom­men. „Aber da waren wir 14, in dem Alter hat man andere Sachen im Kopf, da lernt man nur für die Probe.“Den Besuch im Konzentrat­ionslager Dachau hätten er und die Mitschüler eher als Ausflug betrachtet. „Ich glaube, wir waren für das Thema noch zu jung.“»Kommentar

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Hakenkreuz‰Schmierere­ien wie diese am Oberhauser Bahnhof findet man immer wieder. In sozialen Medien häufen sich Fälle, in denen Jugendlich­e verfassung­sfeindlich­e Symbole und volksverhe­tzende Texte posten.
Foto: Annette Zoepf Hakenkreuz‰Schmierere­ien wie diese am Oberhauser Bahnhof findet man immer wieder. In sozialen Medien häufen sich Fälle, in denen Jugendlich­e verfassung­sfeindlich­e Symbole und volksverhe­tzende Texte posten.

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