Augsburger Allgemeine (Land West)
Spahns Stolperfallen
Der Minister sieht im Kampf gegen Corona erste Erfolge und spricht von einem positiven Trend. Er warnt aber auch vor zu großem Optimismus. Er selbst hat immer wieder mit Querschüssen zu kämpfen
Berlin Als Jens Spahn das Haus der Bundespressekonferenz betritt, läuft es nicht gut für ihn. Der CDUPolitiker bückt sich plötzlich, um einen Schnürsenkel zu binden, und prompt rennt ihm einer seiner Leibwächter in die Hacken. Beide, Bodyguard wie Bundesgesundheitsminister, sind robuste Typen und stecken den Rempler locker weg. Die Kameras wiederum nehmen das Bild dankend auf. Denn es untermalt die Situation, in der sich Spahn gerade befindet. Der Kampf gegen die Corona-Pandemie erfordert seine volle Aufmerksamkeit. Stillstand kann sich der Minister nicht leisten. Hält er inne, fährt ihm jemand in die Parade. So wie es beispielsweise einige Pharmakonzerne gerade tun.
Da ist Spahn froh, wenn er auch mal gute Nachrichten verkünden kann. „Wir verzeichnen gerade einen positiven Trend“, sagt er und verweist darauf, dass die Sieben-Tage-Inzidenz seit langem das erste Mal wieder unter 100 liege. Es gebe teilweise Werte wie im Oktober, also zu der Zeit, bevor die Zahlen durch die Decke gingen und Deutschland erneut in den Tiefschlaf versetzt wurde. Aber kaum hat sich Spahn etwas entspannt, grätscht ihm Lothar Wieler in die Seite.
Wieler bestätigt zwar im Grundsatz die Aussagen des neben ihm sitzenden Ministers. „Wir sind auf einem guten Weg und wir müssen diesen Weg weiter konsequent beschreiten“, sagt er, gießt dann aber Wasser in den Wein. Die Inzidenz gehe derzeit nur in vier Bundesländern zurück, mahnt der Chef des Robert-Koch-Instituts. In den anderen zwölf sei sie nahezu gleich geblieben oder sogar gestiegen. „Es infizieren sich also nach wie vor viel zu viele Menschen“, betont Wieler, der von 238000 aktuellen Corona-Fällen spricht. Wieler dämpft zudem noch die Hoffnung auf etwas mehr Bewegungsfreiheit, indem er Reisebeschränkungen gutheißt: „Prinzipiell sind alle Reisen, die nicht gemacht werden, hilfreich, um Viren nicht zu verschleppen.“
Auch Spahn ist natürlich nicht so freudetrunken, dass er die Realitäten aus dem Blick verliert. Das bisher Erreichte „reicht nicht, wir wollen weiter runter mit den Zahlen“, ruft er die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, in der Vorsicht nicht nachzulassen. Gleichzeitig verteidigt er die tiefen Einschnitte des aktuellen Lockdowns. Es sei ermutigend, dass die harten Einschränkungen „einen Unterschied machen und wirken“, sagt der Minister. Spahn zufolge sind bisher 3,5 Millionen Impfdosen an die Länder verteilt worden. Davon
wurden demnach 2,2 Millionen verimpft, rund 400000 Menschen erhielten die wichtige Zweitimpfung. Von 800000 Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern bekamen 560 000 die erste und 160 000 auch die zweite Impf-Spritze.
Spahn würde gerne mehr und schneller impfen lassen in Deutschland, aber die versprochenen Lieferungen kommen nicht an. Mit dem Hersteller AstraZeneca, dessen Impfstoff nun auch von der Europäischen Union zugelassen ist, hat Deutschland über die EU einen Rahmenvertrag zur Lieferung von bis zu 400 Millionen Impfdosen. Doch vorige Woche durchkreuzte das Unternehmen alle bisherigen Planungen und teilte überraschend mit, im ersten Quartal nur 31 statt der versprochenen 80 Millionen Dosen zu liefern. Nun weiß niemand mehr, worauf man sich noch verlassen kann.
Immerhin lösten sich die Fronten zwischen AstraZeneca und der EUKommission am Freitag behutsam auf. Gemeinsam veröffentlichten sie den umstrittenen Vertrag über die Impfstoff-Lieferungen an die EUMitgliedstaaten. Auch wenn darin wesentliche Passagen wie die über Kosten und Kontingente für die EU geschwärzt wurden, wird deutlich: Das Unternehmen hatte sich – wie von der Kommission stets behauptet – auf konkrete Absprachen eingelassen.
Der Konzern hatte sich ausdrücklich verpflichtet, bei Lieferschwierigkeiten andere Firmen mit der Herstellung zu beauftragen, um die bestellten Dosen trotzdem liefern zu können. „Es gibt verbindliche Bestellungen und der Vertrag ist glasklar“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Auch für die Vorhaltung, dass Brüssel zu spät bestellt habe, gibt es im Vertrag keinen Beleg.
Das ändert allerdings nichts daran, dass kurzfristig in Deutschland zu wenig Dosen zur Verfügung stehen. Für Spahn ist das wieder ein Tritt in die Hacken, denn er weiß, dass „jeder Impfstoff einen Unterschied“macht. Der Minister berichtet von Herstellern, die kaum bekannt sind. Von Produktionsstätten, die gerade aufgebaut werden, aber womöglich erst im vierten Quartal ihre Arbeit aufnehmen können. Aber Ende des Jahres sollen doch schon alle, die es wollen, in Deutschland geimpft sein? Ja, sagt der Minister, warnt aber auch: „Es kann notwendig werden, dass wir aufgrund von Mutationen neu impfen müssen.“
Am Montag berät sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Videokonferenz mit einigen Ministern und den Ministerpräsidenten der Länder über die Lage. An dem Treffen sollen auch Vertreter der Pharmaindustrie sowie der EUKommission teilnehmen. Möglicherweise gibt es Impulse für die „größte Impfaktion in der Geschichte“, wie Spahn sie nennt. „Der Start der Impfkampagne war schwierig“, räumt er ein, hält gleichzeitig aber am Ziel fest, „im Sommer allen ein Impfangebot machen zu können“. Er könne die Frustration vieler Menschen verstehen, sagt Spahn. Zur Wahrheit gehöre aber auch: „Es liegen noch viele harte Wochen vor uns.“