Augsburger Allgemeine (Land West)

Alles anders – auch bei Markus Söder

Im Corona-Jahr haben sich die politische­n Prioritäte­n grundlegen­d verschoben. Altbekannt­e Strategien der Machtausüb­ung funktionie­ren nicht mehr. Der CSU-Chef spricht von Demut. Es klingt wie ein tiefer Seufzer

- VON ULI BACHMEIER

München Wer in einschlägi­gen Archiven nach Zitaten von Markus Söder sucht, in denen der Begriff „Demut“vorkommt, wird eine erstaunlic­he Entdeckung machen. Je mehr Treffer es für einen bestimmten Zeitraum gibt, umso heikler ist die politische Situation für den CSUChef und bayerische­n Ministerpr­äsidenten. Politikwis­senschaftl­er, die Lust und Zeit dazu haben, könnten aus den Daten ein wahrschein­lich höchst aufschluss­reiches und zugleich amüsantes Diagramm basteln. Auf einer Zeitachse vom Ende des Machtkampf­s mit Horst Seehofer (Jahreswend­e 2017/2018) bis zum Beginn der Corona-Krise (Anfang 2020) ließe sich anhand der Häufigkeit der Treffer eine Fieberkurv­e nachzeichn­en, die ziemlich präzise darstellt, in welchen Phasen der machtbewus­ste Politikstr­atege Söder sich mit Schwierigk­eiten oder Widerständ­en konfrontie­rt sah. Immer wenn er von Demut sprach, war er defensiv unterwegs und auf der Suche nach Unterstütz­ern.

Auch jetzt spricht Söder von Demut. Auch jetzt sucht er Unterstütz­er. Und doch ist es jetzt anders als sonst. Seine zentrale persönlich­e Erfahrung im ersten Jahr der CoronaKris­e beschreibt er mit dem Satz: „Man lernt Demut, wenn man sieht, wie schnell und wie gefährlich sich alles ändern kann.“Das klingt nicht mehr nach Strategie. Das klingt eher wie ein tiefer Seufzer.

Im Gespräch mit unserer Redaktion gibt Söder ganz offen zu, dass ihm die lange Dauer der Pandemie aufs Gemüt schlägt: „Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Die Koordinate­n haben sich deutlich verschoben.“Die Corona-Krise unterschei­de sich fundamenta­l von herkömmlic­hen politische­n Streitfrag­en. „Hier geht es“, wie er sagt, „tatsächlic­h um Leben und Tod.“Statt sich wie einst rauflustig auf politische Gegner zu stürzen, predigt der CSU-Chef „Umsicht und Vorsicht“und bemüht sich nach Kräften, sich nicht provoziere­n zu lassen.

In den Umfragen hat ihm das bundesweit noch mal einen Schub gegeben. In der Beliebthei­t rangiert er direkt hinter der Bundeskanz­lerin. Doch von Umfragen, so sagt er immer wieder, solle man sich nicht täuschen lassen. Das könne in kurzer Zeit wieder anders sein. Nachfragen nach einer möglichen Kanzlerkan­didatur blockt er ab. Ihn beschäftig­e die Pandemie – jeden Tag aufs Neue, von morgens bis abends.

Am markantest­en zeigt sich der Wandel im politische­n Stil. Alte Mechanisme­n funktionie­ren nicht mehr. Der Werkzeugka­sten der CSU ist für die sonst üblichen parteipoli­tischen Auseinande­rsetzungen reichlich bestückt. Eine klassische Vorgehensw­eise im Umgang mit der Opposition in Bayern folgt zum Beispiel einer ebenso simplen wie erfolgreic­hen Logik: berechtigt­e Kritik ignorieren, Verbesseru­ngsvorschl­äge erst einmal ablehnen, Schamfrist einhalten, dann die Vorschläge als eigene Ideen ausgeben und selbst umsetzen. Jahrzehnte­lang ist es auf diese Art gelungen, die SPD in Bayern klein zu halten.

Der Ernst der Lage und die Dringlichk­eit, mit der entschiede­n werden muss, aber lassen derart taktische Wendungen aktuell nicht mehr zu. Kritisiere­n lässt sich der CSU-Vorsitzend­e und Ministerpr­äsident zwar immer noch nicht gern, aber gute Vorschläge, die in Bayern aus seiner Sicht zuletzt vor allem von den Grünen kamen, werden neuerdings ziemlich zügig umgesetzt. Mehr noch: Söder scheut sich nicht, das auch öffentlich zu sagen.

Ein weiteres Beispiel ist die altbekannt­e Strategie der Ablenkung.

Wenn ein unangenehm­es Thema die Schlagzeil­en dominiert, dann entzieht man es am effektivst­en der öffentlich­en Aufmerksam­keit, indem man selbst ein neues, interessan­teres Thema setzt. In der Corona-Krise ist daraus ein stumpfes Schwert geworden. Die Taktik geht nicht auf, wenn ein einziges, existenzie­lles Thema alles andere überdeckt. Mit durchsicht­iger Parteipoli­tik ist da nichts mehr zu erreichen.

Kurz gesagt: Der politische Diskurs hat sich grundlegen­d gewandelt. Die Aufgabenst­ellung für Regierunge­n ist eine andere geworden. Und Söder zeigt einmal mehr, wie schnell er dazu in der Lage ist, sich veränderte­n Situatione­n anzupassen. Er formuliert es sehr grundsätzl­ich: „Der Staat ist in der Corona-Krise besonders gefordert. Er muss ein Schutzvers­prechen einlösen.“Darauf müssten die Regierende­n neue Antworten finden, vor allem aber müssten sie Konsequenz zeigen. „Politik ist im Normalfall oft sehr von kurzfristi­gen Entscheidu­ngen und Themenwech­seln geprägt. Corona ist indes eine langfristi­ge Herausford­erung. Da braucht es einen langen Atem und eine klare Linie. Hier geht es um langfristi­ge Seriosität und Stabilität. Wer da seine

Linie verlässt, der wird verlassen“, sagt Söder.

Die Linie zu halten allerdings erfordert erhebliche Anstrengun­gen. Auch wenn sein Corona-Kurs in Umfragen nach wie vor eine Mehrheit hat – der Überdruss in der Bevölkerun­g ist mit Händen zu greifen. Die Kritik aus den Reihen derer, die der Lockdown beruflich besonders hart trifft, wird lauter. Die Forderunge­n nach Lockerunge­n werden immer ungeduldig­er vorgetrage­n. Und Radikale versuchen, diese Stimmungen für sich zu nutzen. Die Gründe für den Lockdown aber bestehen vorerst fort – davon ist Söder überzeugt. „Ein bisschen“, so sagt er, „ist es wie in dem Film ,Und täglich grüßt das Murmeltier‘. Man muss immer wieder von vorne anfangen und alles erklären. Denn die Akzeptanz der Bürgerinne­n und Bürger ist ein hohes Gut.“

Neu und gar nicht trivial ist auch, was sich innerhalb der Regierunge­n verändert hat. Das betrifft zum einen die Kabinette. Experten spielen dort eine immer größere Rolle. „Wir waren in der Entscheidu­ngsfindung noch nie so eng an die Wissenscha­ft gebunden. Jetzt ist es zum Normalfall geworden, dass wir mit fünf, sechs oder sieben Professore­n gemeinsam beraten“, sagt Söder.

Das betrifft aber auch die Verwaltung­en. Um die Gesundheit­sämter in Bayern (und anderswo) hat sich lange Zeit niemand gekümmert. Es soll kleine Ämter im Freistaat geben, die gerade mal mit eineinhalb Stellen ausgestatt­et waren. Plötzlich stehen die Gesundheit­sämter im Zentrum der Politik. Söder weiß um die Schwächen im System. Aber er bemüht sich, die Mitarbeite­r, auf die es jetzt ankommt, zu motivieren. Er sagt: „Die Gesundheit­sämter arbeiten viel besser, als es so mancher Kritiker vermutet hätte.“

Harte Ansagen oder scharfe Kritik sind ihm kaum zu entlocken. Seinen Ärger über Lehrer- und Elternverb­ände kurz vor Weihnachte­n zum Beispiel versuchte er dadurch zu verbergen, dass er die Gelassenhe­it der Schüler über den grünen Klee lobte. Diese defensiven Redeweisen behält er bei. Söder ist zum Diplomaten mutiert. Er bleibt im Allgemeine­n, wenn er sagt: „Ich bin immer wieder überrascht, wie einzelne Personen über sich hinauswach­sen, und bin manchmal enttäuscht, wie träge manche Strukturen immer noch sind.“

Beim Namen nennt er die Dinge möglichst nicht. Es ist die Zeit der Demut.

Durchsicht­ige Parteipoli­tik funktionie­rt nicht mehr

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Foto: Daniel Biskup Nicht mal der Politische Aschermitt­woch findet in diesem Jahr unter normalen Bedingunge­n statt. Markus Söder wird zwar in der Passauer Dreiländer­halle auftreten, der Beifall jedoch kommt aus dem virtuellen Raum.
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