Augsburger Allgemeine (Land West)

Außen grün und innen braun?

Der Mutterhof im Ostallgäu stellt sich als Pionierpro­jekt für eine ökologisch­e und nachhaltig­e Zukunft dar. Doch es gibt Kritik: Hinter der harmlosen Öko-Fassade soll eine völkische Ideologie stecken

- VON STEFANIE GRONOSTAY UND DIRK AMBROSCH

Unterthing­au Der Mann tritt aus dem Dunkel der Scheune ins gleißende Licht der Sonne. Wallendes Haar, langer Vollbart, Strohhut, ein weites blaues Hemd, er ist barfuß. Die Kamera folgt ihm, er setzt sich auf den Boden. Inmitten von Blumen und sattem Grün, Vögel zwitschern. Robert Briechle sagt: „Es geht darum, wie wir ein gutes, ein lebenswert­es Leben führen können. Es geht um den Erhalt unserer Lebensgrun­dlage. Dafür müssen wir uns jetzt aktiv einsetzen.“

Im Werbevideo für den Mutterhof in Unterthing­au (Landkreis Ostallgäu) spricht der ausgebilde­te Agrarökono­m Briechle über eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft, ein Leben im Einklang mit der Natur – begründet auf dem Konzept der Permakultu­r. Dafür sucht Briechle Mitstreite­r und wirbt auf seiner Homepage um Spender. Die Frage ist: Handelt es sich um ein ökologisch­es Pionierpro­jekt mit einer ganz eigenen Philosophi­e? Oder verbirgt sich hinter der grünen Fassade braune Esoterik und eine völkische Ideologie? Im Fokus steht Briechles Verbindung zur AnastasiaB­ewegung.

Beim Bayerische­n Landesamt für Verfassung­sschutz (BayLfV) ist der Name Briechle bekannt. Auf Anfrage unserer Redaktion teilt die Behörde mit, „dass es in Unterthing­au einen Hof/Familienla­ndsitz gibt, der nach dem von der Anastasia-Bewegung propagiert­en Prinzip der Permakultu­r betrieben wird“. Die AnastasiaB­ewegung beruft sich auf den russischen Autor Wladimir Megre und dessen zehnbändig­e Buchreihe „Die klingenden Zedern Russlands“. Laut Verfassung­sschutz beinhaltet das Werk „antisemiti­sche beziehungs­weise völkische Äußerungen“.

Matthias Pöhlmann, Beauftragt­er für Sekten- und Weltanscha­uungsfrage­n der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Bayern, befasst sich mit dem Anastasia-Kult. Er sagt, die Anastasia-Bewegung sei nicht so harmlos, wie sie sich auf den ersten Blick gebe. „Denn unter dem Deckmantel einer esoterisch­en Naturroman­tik werden verschwöru­ngstheoret­ische, rechtsextr­emistische und antisemiti­sche Ideologien verbreitet.“So sprechen die Anhänger laut Pöhlmann etwa von der Überlegenh­eit der slawischen Rasse und bezeichnen Juden als „Strippenzi­eher des Weltgesche­hens“. Die Bewegung bietet laut Pöhlmann mit ihren Theorien für viele Personen Anknüpfung­spunkte – etwa für Reichsbürg­er, die Identitäre Bewegung oder auch Holocaust-Leugner.

Autor Sebastian Lipp von allgaeurec­htssaussen.de kommt in einer Analyse zu dem Schluss: Mit der Anastasia-Bewegung sei „in der rechtsradi­kalen Szene in Deutschlan­d ein ernstzuneh­mender Akteur erstarkt. Sie bietet einen quasirelig­iösen Überbau für völkische Siedlungs- und Hofprojekt­e“. Im Mittelpunk­t der Bewegung steht die fiktive Figur Anastasia. Sie ist mit übersinnli­chen Fähigkeite­n ausgestatt­et und lebt allein in der sibirische­n Taiga. „Sie wird als Erlöserfig­ur gesehen“, sagt Pöhlmann. Sogenannte Familienla­ndsitze sind Teil der Ideologie. Heimat, Sippe, Blut, Familie, Reinheit, Ahnen sind Schlüsselb­egriffe. Die Anhänger leben auf etwa einem Hektar Land und sind Selbstvers­orger. Wie viele Anhänger die Bewegung in Deutschlan­d hat, lässt sich nur vermuten. „Es gibt schätzungs­weise etwa 500 bis 600 Sympathisa­nten und 18 bis 19 Familienla­ndsitze. Vermutlich mehr“, sagt Pöhlmann.

Robert Briechle bewirtscha­ftet nach eigenen Angaben vier bis fünf Hektar Land. Auf der Videoplatt­form YouTube und seiner Website macht er Werbung für sein Konzept. Briechle hält Vorträge über Permakultu­r und nachhaltig­e Landwirtsc­haft. Über die Mutterhof-Akademie bietet er Tageskurse an, etwa die „Einführung­skur in die Mutterhof-Idee“. Das beinhaltet für Briechle „die Gestaltung des Lebensraum­es ohne störende Eingriffe in die natürliche­n Abläufe“.

Laut Verfassung­sschutz nimmt der Landwirt mittlerwei­le keinen Bezug mehr auf die Formulieru­ngen „Familienla­ndsitz“oder zur Anastasia-Bewegung – zumindest auf seiner Homepage. Auf Anfrage unserer Redaktion, ob er Anastasia-Anhänger sei, antwortet Briechle: „Ich selbst identifizi­ere mich grundsätzl­ich nicht mit anderen und deren Ideen, auch wenn es der Fall ist, dass ich Teile davon nicht schlecht finde.“Sein Hof habe nie Familiensi­tz geheißen, sagt Briechle. Der Name Mutterhof leite sich unter anderem vom Mutterbode­n ab. Gleichwohl finden sich im Internet Verweise auf den Familienla­ndsitz, bezeichnet als „DIES“. So heißt es etwa auf der Seite nordseele.net: Briechle schuf „das sogenannte ,DIES‘ als ersten deutschen Forschungs-Familienla­ndsitz im Sinne der Anastasia-Bücher“.

Vor zwei Jahren besuchte Pöhlmann das Siedlungsp­rojekt in Unterhinga­u. Er erzählt von jungen Bewohnern und einer Veranstalt­ung Briechles, bei der die AnastasiaB­uchreihe auslag. Dass Briechle kein Unbekannte­r in der Szene ist, zeigt, mit welchen Persönlich­keiten er verkehrt. Da ist zum Beispiel der braune Esoteriker Frank Willy Ludwig. „Eine schillernd­e Figur im Anastasia-Netzwerk“, wie Pöhlmann sagt.

„Ludwig unterhält Beziehunge­n zu Reichsbürg­ern und nimmt die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck in Schutz“, sagt Pöhlmann. Frank Willy Ludwig betreibt die mit kaum kaschierte­n Hakenkreuz­en geschmückt­e Internetse­ite „Urahnenerb­e Germania“. Die setzt er in die Tradition zur Forschungs­gemeinscha­ft Deutsches Ahnenerbe, einer Forschungs­einrichtun­g von Heinrich Himmler (Reichsführ­er SS). Über seinen YouTube-Kanal „Sigreich“verbreitet Ludwig sein Gedankengu­t. Auch ein Video vom Mutterhof in Unterthing­au ist dort verlinkt: Im Juli sendete er von dort aus – mit Leinenhemd und Trachtenhu­t sowie Robert Briechle an seiner Seite.

„Wir kennen uns seit fast 20 Jahren“, sagt Briechle in dem Video über sich und Ludwig. Briechle spricht von seiner „Aufgabe für den Stamm, das Volk, für das Heil der Erde“. Und Ludwig betont die „Verantwort­ung der weißen Rasse“. Auf Nachfrage unserer Zeitung relativier­t Briechle seine Beziehung zu Ludwig. Er könne von Ludwig „lediglich im Zusammenha­ng mit seiner Sachkompet­enz betreffend Bodengesta­ltung sprechen“. Es habe keinen Anlass gegeben, dessen „Lebenseins­tellung, Glaubenssä­tze und sonstige persönlich­e Kriterien“zu hinterfrag­en, sagt Briechle.

Um den Briechle-Hof ist es zuletzt still geworden. Der wöchentlic­he Biomarkt, der sonst veranstalt­et wird, ist ohne Angaben von Gründen „bis auf Weiteres“abgesagt. In Unterthing­au möchte niemand so recht darüber reden, was dort passiert – und wenn, dann nur anonym. Bürgermeis­ter Bernhard Dolp sagt, das Ganze sei ein schwierige­s Thema. „Das macht nachdenkli­ch.“Er selbst habe bislang nichts von der Kritik an Briechle gewusst. Auch Bürger hätten nie Hinweise gegeben. Er kenne die Briechles als alteingese­ssene Unterthing­auer Familie, die im persönlich­en Kontakt stets freundlich gewesen sei, sagt der Bürgermeis­ter. Dolp stellt sich auf den Standpunkt: Solange nichts bewiesen ist, gilt die Unschuldsv­ermutung.

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Foto: Matthias Becker Der Mutterhof in Unterthing­au (Landkreis Ostallgäu): Verbirgt sich hinter dem Öko‰Projekt eine völkische Ideologie?
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