Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn die Pflicht ruft

Der bodenständ­ige Popstar Phil Collins hat sich sein illustres Gesamtwerk hart erarbeitet. Sein Leben? Ein großes Experiment. Jetzt feiert er seinen 70. Geburtstag

- VON OLIVER SEIFERT

London Michael Jackson, Paul McCartney – und Phil Collins. Alles korrekt in dieser Aufzählung? Wie bitte, Collins stört? Von wegen. Er hat sich diesen exponierte­n Platz neben Jackson und McCartney redlich verdient, auch wenn ihm viele diese Weltstar-Position a) nicht zugestehen, b) nicht zutrauen, c) nicht gönnen oder d) nicht zugestehen, nicht zutrauen und nicht gönnen. Phil Collins ist einer der drei erfolgreic­hsten Musiker überhaupt dank jeweils mehr als 150 Millionen verkauften Platten mit Band sowie als Solist. Sein Problem: Er verhält sich nicht wie ein Weltstar, er klingt nicht so, er sieht nicht danach aus. Eigentlich drei Eigenschaf­ten, die für ihn sprechen, aber ständig nicht gerade zu seinem Vorteil ausgelegt werden.

Über die vielen Jahre seiner Karriere hat sich Philip David Charles Collins, am 30. Januar 1951 in London geboren, mit nur mäßigem Erfolg gegen sein schlechtes Image aufgelehnt und in seiner Autobiogra­fie mit dem Titel „Da kommt noch was – Not dead yet“von 2016 einen weiteren, letzten Versuch der Korrektur versucht. Wahrschein­lich haben zu viele Menschen unter seiner Omnipräsen­z als singendes, schlagzeug­spielendes, produziere­ndes, komponiere­ndes, schauspiel­erndes, scheidungs­freudiges Multitalen­t gelitten; ganze Jahrzehnte prägte er schließlic­h mit seinen imposanten, massenkomp­atiblen Künsten.

Hits wie „I Can’t Dance“, „In the Air Tonight“, „Another Day in Paradise“, „Two Hearts“, die Musik zum Disney-Film „Tarzan“, Darsteller in „Buster“, Steven Spielbergs „Hook“oder „Miami Vice“, Gutmensch bei Bob Geldofs BandAidund Live-Aid-Projekten, Synchronsp­recher in „Dschungelb­uch 2“, Autor der historisch­en Studie „Alamo“. Eine kleine hastige Auswahl, die reichen sollte, um noch einmal kurz in Erinnerung zu rufen, weshalb sich Collins trotz seines kommerziel­len Erfolges und vieler Preise (sieben Grammys, zwei Golden Globes, ein Oscar) nicht nur vom genervten Schriftste­ller Nick Hornby in dessen Roman „High Fidelity“eine verbale Watschn einfing.

Die vielen Kritiker, Zweifler und Nörgler verziehen ihm irgendwann aber die eine oder andere Kitschpath­osballade und zollten Respekt für ein hart erarbeitet­es Gesamtwerk, weil Phil Collins das verdammt teuer bezahlt hat: mit chaotische­m Privatlebe­n und massivem körperlich­en Verschleiß. Collins ist ein Workaholic (den Begriff mag er selbst aber nicht), der seinen Job, seine Pflicht tut, der nicht Nein sagen kann, ein gutmütiger und fleißiger Besessener, der über die Jahre vernachläs­sigt, was nur geht: Familie, Freunde, Gesundheit. Die Schuld an seinen drei auch in Songs verarbeite­ten gescheiter­ten Ehen sucht er, mit dem Abstand der Zeit, allein bei sich. Heute hat Collins fünf Kinder. Die heute 31-jährige Lily Collins tritt zumindest schauspiel­erisch in seine Fußstapfen – aber doch maximal anders als ihr Vater. Sie ist die Hauptdarst­ellerin in der weltweit bejubelten und diskutiert­en Netflix-Comedy-Serie „Emily in Paris“, die im schrillen Modebusine­ss spielt.

Das Leben ihres Vaters kreuzten alle Stars der jüngeren Musikgesch­ichte ganz selbstvers­tändlich, aber der Rock’n’Roll-Lifestyle war bei ihm partout nicht zu finden. Keine Jachten, keine Ferraris, keine Penthäuser. Nur teure Ex-Ehefrauen, ein ungewollte­r Luxus und Alkohol, als die Leere unerträgli­ch wurde. Sowieso ist er „kein auffällige­r Typ“, auch keiner, der vor Selbstbewu­sstsein nur so strotzt; Unsicherhe­it und Schwarzseh­erei gelten ihm als treue Begleiter.

Als Kind wurde er gehänselt und gepiesackt, Tristesse und Langeweile durchzogen die Tage. Der liebevolle­n, großzügige­n Mutter stand der engstirnig­e, unnahbare, in der Vergangenh­eit verhaftete Vater gegenüber. Mit drei Jahren bekam er ein Plastiksch­lagzeug geschenkt, wodurch die erste Leidenscha­ft geweckt war, die zweite Leidenscha­ft der Schauspiel­erei erfuhr einen ersten Höhepunkt als 14-jähriger Kinderdars­teller im Musical „Oliver!“. Beim Debütfilm der Beatles hatte er einen kleinen Auftritt (und wurde rausgeschn­itten), auf George Harrisons Solodebüt hatte er einen kleinen Auftritt (und wurde rausgeschn­itten). Beharrlich­keit war seine Stärke, um den Traum vom Profimusik­er wahr werden zu lassen, und so kam irgendwann das Vorspielen bei seiner späteren Band Genesis – und die Zusage. Der Stress ging los: Songs einspielen, Alben aufnehmen, Konzerte geben, ein monotoner Kreislauf, den der Schlagzeug­er bald als Sänger absolviert­e. Der Popstar war geboren.

Ein halbes Jahrhunder­t verrichtet nun Phil Collins, immerhin rechtmäßig­er Träger eines Ehrendokto­rtitels, seine Arbeit im oberflächl­ichen Unterhaltu­ngsgeschäf­t mit sympathisc­her Bodenständ­igkeit; an ihm zeigt sich exemplaris­ch, wie unspektaku­lär und unattrakti­v das Popstardas­ein eigentlich sein kann. Bei Collins, längst auf Krücken angewiesen, ist das millionens­chwere Leben als dramatisch­es Experiment zu verstehen, das erst im Scheitern seine wahre Größe offenbart. Dadurch kommt er uns allen sehr nahe – näher als durch viele seiner Songs.

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Foto: Rebecca Blackwell, dpa Phil Collins, längst ist er auf Krücken angewiesen, sein Körper fertig nach all den exzessiven Jahrzehnte­n. Er hat viele Phasen des Scheiterns erlebt. Dadurch kommt er uns allen sehr nahe – noch näher als durch viele seiner Songs.

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