Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Nachsehen haben die Patienten
Das Ringen um die Behandlung schwer kranker Kinder offenbart eine Misere im Gesundheitswesen. Drei Augsburger Kliniken konkurrieren um diese Aufgabe, ein wichtiger Aspekt ist die Frage nach dem Geld
Enip@augsburgerallgemeine.de
igentlich verfolgen alle drei Kliniken dieselbe Intention: Uniklinikum, Hessing-Stiftung und Josefinum wollen sich um die bestmögliche Behandlung schwer kranker Kinder und Jugendlicher kümmern. Doch die Stimmung zwischen den Einrichtungen ist angespannt. Seit der Zulassungsausschuss Ärzte Schwaben der Hessing-Stiftung die Ermächtigung für den Betrieb des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) entzog und sie dem Josefinum übertrug, gibt es Kritik. Hessing und Uniklinik kritisieren den Beschluss. Er sei „nicht sauber“gelaufen, die Begründung für die Verlagerung „fadenscheinig und komisch“. Was steckt dahinter?
Rund acht Jahre lang war das Sozialpädiatrische Zentrum von der Hessing-Stiftung betrieben worden. Behandelt werden dort Kinder und Jugendliche mit Erkrankungen, in deren Folge es zu Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten oder seelischen Störungen kommen kann. Die Patienten werden von Ergo- und Logotherapeuten sowie von anderen Spezialisten betreut. Etwa 1250 Mädchen und Jungen waren zuletzt bei Hessing in Behandlung. Zumindest für einige von ihnen bedeutete der kurzfristig gefasste Beschluss einen ebenso kurzfristigen wie schwierigen Wechsel ihrer Therapieeinrichtung.
„Für Eltern und Kinder, aber auch für die Ärzte, ist das ein emotional stark belastendes Thema“, sagt Prof. Michael Frühwald, der Direktor der Klinik für Kinderund Jugendmedizin am Uniklinikum Augsburg. Er sagt: „Der Beschluss kommt einzig dem Josefinum zugute. Ich frage mich, wo hier der Patient bleibt.“Frühwald will keine Kritik an der Kompetenz der Kollegen im Josefinum üben: „Die Ärzte und Mitarbeiter dort machen sicherlich gute Arbeit“. Durch den Beschluss von Zulassungsausschuss und Kostenträgern, also den Krankenkassen, werde aber eine Konkurrenz zwischen drei Kliniken geschaffen, die so nicht notwendig sei.
Die Ermächtigung für ein Sozialpädiatrisches Zentrum, die „Erlaubnis“also, wer es betreiben darf, wird alle fünf Jahre neu vergeben. Zweimal erhielt Hessing den Zuschlag. Bei der letzten Vergabe hatte sich die Stiftung gemeinsam mit der Uniklinik beworben, die damals noch kein staatliches Haus war. Bei der Behandlung hätte man so eine Lücke schließen können, sagt Frühwald: Das Klinikum hätte sich um chronisch und schwerst kranke Patienten gekümmert, Hessing um die Sozialpädiatrie, also die
Behandlung von Schulverweigerern oder etwa Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen. Dritter Partner wäre der Bunte Kreis gewesen, der sich mit der Nachsorge für Familien schwer kranker Kinder befasst. Doch der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag ab. „Eine Begründung war, dass zwischen Hessing und Klinikum eine Großstadt liegt“, sagt Frühwald kopfschüttelnd.
Unter großem Aufwand arbeiteten Uniklinikum und Hessing auch ohne offizielle Ermächtigung zusammen. Durch den Übergang des SPZ ans Josefinum werde dies schwieriger. „Auch ich weiß derzeit nicht, wohin mit meinen Patienten“, so Frühwald. Denn die Versorgung schwer kranker Kinder sei zwar Auftrag einer Kinderklinik. „Als universitäre Einrichtung liegt unser Schwerpunkt aber auf Patienten mit seltenen Erkrankungen.“Leichtere Fälle seien auch in anderen Kliniken gut aufgehoben.
Hintergrund für den „Konkurrenzkampf“ist, wie so oft, das Geld. Für Kliniken ist die Behandlung schwer kranker Kinder und Jugendlicher nach ambulanten Pauschalen ein Draufzahlgeschäft. Auch das Josefinum, sagen Insider, sei „chronisch unterfinanziert“und benötige Spenden, um etwa Psychologen oder Sozialarbeiter einzustellen. Ein Grund, weshalb sich das Haus unter Trägerschaft der Katholischen Jugendfürsorge für das Sozialpädiatrische
Zentrum bewarb, sei wohl gewesen, eine Finanzierungslücke für die Patienten zu schließen, die dort ohnehin behandelt würden.
Ein seltsames Licht fällt in diesem Zusammenhang auf acht Kinderärzte aus der Region, die sich im Dezember mit einem Brief an den Zulassungsausschuss gewandt hatten. Sie warben darum, das SPZ am Josefinum anzusiedeln, und erwähnten die „intensive Kooperation“zwischen ihnen und der Klinik. Ein Vorstoß, dem der Zulassungsausschuss folgte, obwohl die Kassenärztliche Vereinigung sich dafür stark gemacht hatte, das Zentrum bei Hessing zu belassen.
Heikel an dem Schreiben sind mehrere Punkte: Einige der acht Ärzte erhielten ihre Fachausbildung im Josefinum – der Klinik also, für die sie sich stark machten. Die Mediziner verwenden im Briefkopf zudem die Logos des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte sowie von Paed-Netz, einem Verbund bayerischer Kinder- und Jugendärzte. Doch viele Kollegen stehen nicht hinter dem Inhalt des Schreibens. In der Regel sei „die Einflussnahme von außen“in einem solchen Prozess auch „unüblich und unerwünscht“, moniert ein Kinderarzt aus der Region, der sich über den Brief seiner Kollegen geärgert hat.
Die Debatte um die Behandlung junger Patienten eines ganzen Großraums offenbart eine Misere im Gesundheitswesen, die den Schluss zulässt, dass es nicht in erster Linie um das Wohl der Kinder geht, sondern darum, ob ihre medizinische Versorgung bezahlbar ist. Die Uniklinik hat 45 Millionen Euro in den Neubau ihrer Kinderklinik samt Mutter-Kind-Zentrum investiert, in die Sanierung des Josefinums samt
Neubau eines Traktes floss ein dreistelliger Millionenbereich. Beide Kliniken sind mit rund 150 Betten etwa gleich groß und bieten ein ähnliches Spektrum. „Hätte man diese Aktivitäten gebündelt und in ein großes Kinderzentrum investiert, hätte man Millionen gespart und gleichzeitig eine hochprofessionelle Behandlung anbieten können, die in Deutschland einzigartig gewesen wäre“, sagt ein Experte.
Doch für eine solche Entscheidung hätte es politische Einflussnahme gebraucht, um die Verantwortlichen an einen Tisch zu holen und die Behandlung in der Region gemeinsam auf neue Beine zu stellen. Passiert ist dies nie. Und auch jetzt, bei der Entscheidung für die Vergabe des SPZ, scheinen die Gremien das große Ganze aus den Augen verloren zu haben. Statt die Kräfte dreier großer – und für sich jeweils kompetenter – Einrichtungen zum Wohl der Patienten zu bündeln, wurde die Behandlung scheinbar willkürlich verlagert. Für die unterlegenen Kliniken wird dies am Ende zu verschmerzen sein. Wer das Nachsehen hat, sind die Patienten.
Seltsames Licht fällt auf acht Ärzte aus der Region