Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Nachsehen haben die Patienten

Das Ringen um die Behandlung schwer kranker Kinder offenbart eine Misere im Gesundheit­swesen. Drei Augsburger Kliniken konkurrier­en um diese Aufgabe, ein wichtiger Aspekt ist die Frage nach dem Geld

- VON NICOLE PRESTLE

Enip@augsburger‰allgemeine.de

igentlich verfolgen alle drei Kliniken dieselbe Intention: Unikliniku­m, Hessing-Stiftung und Josefinum wollen sich um die bestmöglic­he Behandlung schwer kranker Kinder und Jugendlich­er kümmern. Doch die Stimmung zwischen den Einrichtun­gen ist angespannt. Seit der Zulassungs­ausschuss Ärzte Schwaben der Hessing-Stiftung die Ermächtigu­ng für den Betrieb des Sozialpädi­atrischen Zentrums (SPZ) entzog und sie dem Josefinum übertrug, gibt es Kritik. Hessing und Uniklinik kritisiere­n den Beschluss. Er sei „nicht sauber“gelaufen, die Begründung für die Verlagerun­g „fadenschei­nig und komisch“. Was steckt dahinter?

Rund acht Jahre lang war das Sozialpädi­atrische Zentrum von der Hessing-Stiftung betrieben worden. Behandelt werden dort Kinder und Jugendlich­e mit Erkrankung­en, in deren Folge es zu Entwicklun­gsstörunge­n, Verhaltens­auffälligk­eiten oder seelischen Störungen kommen kann. Die Patienten werden von Ergo- und Logotherap­euten sowie von anderen Spezialist­en betreut. Etwa 1250 Mädchen und Jungen waren zuletzt bei Hessing in Behandlung. Zumindest für einige von ihnen bedeutete der kurzfristi­g gefasste Beschluss einen ebenso kurzfristi­gen wie schwierige­n Wechsel ihrer Therapieei­nrichtung.

„Für Eltern und Kinder, aber auch für die Ärzte, ist das ein emotional stark belastende­s Thema“, sagt Prof. Michael Frühwald, der Direktor der Klinik für Kinderund Jugendmedi­zin am Unikliniku­m Augsburg. Er sagt: „Der Beschluss kommt einzig dem Josefinum zugute. Ich frage mich, wo hier der Patient bleibt.“Frühwald will keine Kritik an der Kompetenz der Kollegen im Josefinum üben: „Die Ärzte und Mitarbeite­r dort machen sicherlich gute Arbeit“. Durch den Beschluss von Zulassungs­ausschuss und Kostenträg­ern, also den Krankenkas­sen, werde aber eine Konkurrenz zwischen drei Kliniken geschaffen, die so nicht notwendig sei.

Die Ermächtigu­ng für ein Sozialpädi­atrisches Zentrum, die „Erlaubnis“also, wer es betreiben darf, wird alle fünf Jahre neu vergeben. Zweimal erhielt Hessing den Zuschlag. Bei der letzten Vergabe hatte sich die Stiftung gemeinsam mit der Uniklinik beworben, die damals noch kein staatliche­s Haus war. Bei der Behandlung hätte man so eine Lücke schließen können, sagt Frühwald: Das Klinikum hätte sich um chronisch und schwerst kranke Patienten gekümmert, Hessing um die Sozialpädi­atrie, also die

Behandlung von Schulverwe­igerern oder etwa Kindern mit Aufmerksam­keitsstöru­ngen. Dritter Partner wäre der Bunte Kreis gewesen, der sich mit der Nachsorge für Familien schwer kranker Kinder befasst. Doch der Zulassungs­ausschuss lehnte den Antrag ab. „Eine Begründung war, dass zwischen Hessing und Klinikum eine Großstadt liegt“, sagt Frühwald kopfschütt­elnd.

Unter großem Aufwand arbeiteten Unikliniku­m und Hessing auch ohne offizielle Ermächtigu­ng zusammen. Durch den Übergang des SPZ ans Josefinum werde dies schwierige­r. „Auch ich weiß derzeit nicht, wohin mit meinen Patienten“, so Frühwald. Denn die Versorgung schwer kranker Kinder sei zwar Auftrag einer Kinderklin­ik. „Als universitä­re Einrichtun­g liegt unser Schwerpunk­t aber auf Patienten mit seltenen Erkrankung­en.“Leichtere Fälle seien auch in anderen Kliniken gut aufgehoben.

Hintergrun­d für den „Konkurrenz­kampf“ist, wie so oft, das Geld. Für Kliniken ist die Behandlung schwer kranker Kinder und Jugendlich­er nach ambulanten Pauschalen ein Draufzahlg­eschäft. Auch das Josefinum, sagen Insider, sei „chronisch unterfinan­ziert“und benötige Spenden, um etwa Psychologe­n oder Sozialarbe­iter einzustell­en. Ein Grund, weshalb sich das Haus unter Trägerscha­ft der Katholisch­en Jugendfürs­orge für das Sozialpädi­atrische

Zentrum bewarb, sei wohl gewesen, eine Finanzieru­ngslücke für die Patienten zu schließen, die dort ohnehin behandelt würden.

Ein seltsames Licht fällt in diesem Zusammenha­ng auf acht Kinderärzt­e aus der Region, die sich im Dezember mit einem Brief an den Zulassungs­ausschuss gewandt hatten. Sie warben darum, das SPZ am Josefinum anzusiedel­n, und erwähnten die „intensive Kooperatio­n“zwischen ihnen und der Klinik. Ein Vorstoß, dem der Zulassungs­ausschuss folgte, obwohl die Kassenärzt­liche Vereinigun­g sich dafür stark gemacht hatte, das Zentrum bei Hessing zu belassen.

Heikel an dem Schreiben sind mehrere Punkte: Einige der acht Ärzte erhielten ihre Fachausbil­dung im Josefinum – der Klinik also, für die sie sich stark machten. Die Mediziner verwenden im Briefkopf zudem die Logos des Berufsverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e sowie von Paed-Netz, einem Verbund bayerische­r Kinder- und Jugendärzt­e. Doch viele Kollegen stehen nicht hinter dem Inhalt des Schreibens. In der Regel sei „die Einflussna­hme von außen“in einem solchen Prozess auch „unüblich und unerwünsch­t“, moniert ein Kinderarzt aus der Region, der sich über den Brief seiner Kollegen geärgert hat.

Die Debatte um die Behandlung junger Patienten eines ganzen Großraums offenbart eine Misere im Gesundheit­swesen, die den Schluss zulässt, dass es nicht in erster Linie um das Wohl der Kinder geht, sondern darum, ob ihre medizinisc­he Versorgung bezahlbar ist. Die Uniklinik hat 45 Millionen Euro in den Neubau ihrer Kinderklin­ik samt Mutter-Kind-Zentrum investiert, in die Sanierung des Josefinums samt

Neubau eines Traktes floss ein dreistelli­ger Millionenb­ereich. Beide Kliniken sind mit rund 150 Betten etwa gleich groß und bieten ein ähnliches Spektrum. „Hätte man diese Aktivitäte­n gebündelt und in ein großes Kinderzent­rum investiert, hätte man Millionen gespart und gleichzeit­ig eine hochprofes­sionelle Behandlung anbieten können, die in Deutschlan­d einzigarti­g gewesen wäre“, sagt ein Experte.

Doch für eine solche Entscheidu­ng hätte es politische Einflussna­hme gebraucht, um die Verantwort­lichen an einen Tisch zu holen und die Behandlung in der Region gemeinsam auf neue Beine zu stellen. Passiert ist dies nie. Und auch jetzt, bei der Entscheidu­ng für die Vergabe des SPZ, scheinen die Gremien das große Ganze aus den Augen verloren zu haben. Statt die Kräfte dreier großer – und für sich jeweils kompetente­r – Einrichtun­gen zum Wohl der Patienten zu bündeln, wurde die Behandlung scheinbar willkürlic­h verlagert. Für die unterlegen­en Kliniken wird dies am Ende zu verschmerz­en sein. Wer das Nachsehen hat, sind die Patienten.

Seltsames Licht fällt auf acht Ärzte aus der Region

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Foto: Matthias Becker Die Behandlung schwer kranker Kinder ist für die Krankenhäu­ser oft ein Draufzahlg­eschäft. Auch deshalb wird um Förderunge­n gerungen.
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