Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Frage der Woche Reicht’s jetzt mit dem Schnee?
Natürlich ist das Winter für Winter ein Spektakel – natürlich fasziniert diese Verwandlung der Welt durch den Schnee immer noch genauso wie in Kindheitstagen: Alles schaut anders aus, alle Formen werden eingeebnet, alle Farben werden ausgeblendet und den Lautstärkeregler draußen dimmt der Schnee auch noch herunter. Das irgendwo in den Bergen erleben, wo der Schnee sich nicht gleich in Matsch verwandelt, das ohne Arbeit und mit viel Zeit zum Genießen und Erwandern – jederzeit und gerne auch in Hülle und Fülle.
Schnee in der Stadt, vor allem aber in der Großstadt wird nicht wie der langersehnte Touristenmagnet behandelt, sondern wie ein Feind, dem es möglichst geräusch- und effektvoll zu begegnen gilt. Das fängt morgens um fünf Uhr an, wenn der Hausmeisterdienst mit einem Diesel, der jeden Panzerfahrer neidisch macht, den Hof räumt. Das geht später weiter, wenn Gehsteige wie Sumpfgebiete vorsichtig durchquert werden müssen, weil der Räumdienst mal wieder ganze Salzarbeit geleistet hat.
Nach ein paar Tagen hat der Winterzauber seinen Reiz verloren, liegt überall nur noch graustumpfer Stadtschnee als Hindernis herum. Dann ist es wieder genug. Erst recht, wenn einem die Flucht aus den eigenen vier Wänden und der Spaziergang im Naherholungsgebiet zu Steigeisen nötigt wegen vereister Spazierund Feldwege. Und ja, kein Spaß: Man kann sich dort ziemlich leicht ziemlich schlimm verletzen. Der morgendliche Lauf vor der Arbeit bekommt neben der Dunkelheit eine weitere Schwierigkeit, die einen auf mancher Strecke zum Verzweifeln bringt. Spätestens dann ist klar: Es reicht jetzt mit dem Winter, auch wenn jeder kalte Tag in Zeiten des Klimawandels als guter Tag gewertet werden sollte.
Neulich war es besonders schön. Die Schneeflocken tanzten geradezu in der Luft, keine hatte es besonders eilig zu landen. Ein wirbelndes Ballett ganz in Weiß. Und als dann auch noch die Sonne alles in ein großes Glitzern verwandelte … Liebe Schneehasser, wo habt ihr eure Augen?
Es ist jedes Mal aufs Neue herrlich, wenn sich Alt- und Allzubekanntes weiß zudeckt. Gärten sehen zauberhaft aus, die Landschaft sowieso und sogar schnöde Tonnenhäuschen entwickeln mit ihren weißen Hauben Charme.
Selbst Städte tun dann für einige Tage so, als wären sie Wintersportorte, die Menschen haben plötzlich noch anderes zu tun. Langlaufskier werden rausgeholt, um schnell noch ’ne Runde zu drehen, die Rodel bleiben sowieso im Kofferraum, weil man ja gleich am nächsten Tag wieder an den Schlittenberg geht, und überall in den Gärten wachsen dicke Schneemänner und Iglus in die Höhe.
Schnee macht den Winter spielerisch, schenkt ihm eine gewisse Leichtigkeit. Alles sieht auf einmal freundlich, hell und strahlend aus. Das ist nicht das unwichtigste Argument in diesen kurzen Januarund langen Lockdown-Tagen.
Liebe Schneehasser, was wäre denn die Alternative? Kalte, trüb-graue Regentage. Würde man da abends noch mal eine Runde drehen, weil der Schnee so schön unter den Schuhsohlen knirscht? Oder würde man nicht vielmehr den Kragen hochschlagen und den Hund nur kurz an der Ecke rauslassen? Aus dem Homeoffice frustriert ins graue Grau schauen? Ohne Schnee hätten wir im Winter Einheitsbrei statt Märchen. Man würde tapfer Durchhalteparolen ausgeben bis Frühlingsbeginn … So aber ist der Spaßfaktor eindeutig höher.