Augsburger Allgemeine (Land West)
Plastikmüllabfuhr der Meere
Seegras-Wiesen bieten nicht nur einen schützenden Lebensraum für viele Unterwasserbewohner: Sie tragen auch dazu bei, Plastikmüll im Meer zu binden und an Land zu befördern. Das berichten Forscher nach einer Studie auf Mallorca in Scientific Reports.
Frühere Studien hatten gezeigt, dass die meisten Kunststoffe auf dem Meeresboden landen, ein Teil davon aber dennoch an die Küste zurückgespült wird. Wie dies geschieht, war unklar. Um herauszufinden, welche Rolle Seegras bei diesem Prozess spielen könnte, nahm ein Team um die Biogeochemikerin Anna Sanchez-Vidal von der Universität Barcelona Seegras-Überreste unter die Lupe: Seegras-Blätter und -Kugeln, die zwischen 2018 und 2019 an vier Strände Mallorcas gespült wurden. Im Flachwasser um die Balearen-Insel wachsen ausgedehnte Neptungras-Wiesen, zudem treibt hier auch viel Plastik nahe der Küste.
Insgesamt fanden die Wissenschaftler Plastikabfälle in der Hälfte (50 Prozent) der 42 Proben loser Seegras-Blätter und in 17 Prozent der 198 Neptunbälle. Solche Seebälle bilden sich aus dem Wurzelstock-Geflecht von Seegras, dessen Fasern durch die Wasserströmungen auf dem Meeresgrund bewegt werden und kugelig miteinander verfilzen. Pro Kilogramm Neptunbälle zählten die Forscher bis zu 1470 Plastikund Mikroplastikteile. In losen Seegras-Blättern steckten pro Kilogramm bis zu 613 davon.
Basierend auf diesen Daten und der geschätzten Seegras-Flächen im Mittelmeer gehen die Forscher davon aus, dass die mediterranen Seegras-Wiesen bis zu 867 Millionen Plastikteilchen allein in Neptunbällen binden könnten. Umso wichtiger sei der Schutz jener Unterwasserwelten. Verschiedene Untersuchungen der Vergangenheit hätten gezeigt, dass die Seegras-Flächen im Mittelmeer seit 1960 um 13 bis 50 Prozent geschrumpft seien. Anker, Abwässer und Fischerei sowie der Ausbau von Hafenanlagen schädigen sie, hinzu kommen die Einführung fremder Algenarten und die Erwärmung des Mittelmeers durch den Klimawandel. Schon 2018 beschloss die mallorquinische Regierung daher, dass derzeit 650 Quadratkilometer Seegras-Wiesen unter verstärktem Schutz stehen. Hinzu kommen Anpflanzungsprojekte.
Forscher aus Portugal, Schweden und Norwegen wiederum gingen der Frage nach, inwiefern Seegras-Wiesen, MakroalgenBetten, Salzwiesen oder Mangroven als Barrieren für Mikroplastik fungieren könnten. Laut Bericht in Environmental Pollution schufen sie im Labor einen Modell-Küstenlebensraum, den sie mit Seegras bepflanzten. Tatsächlich band es Mikroplastik-Partikel – umso besser, je dichter es wuchs. Allerdings geschah das nur bis zu einer gewissen Konzentration. In zu großen Mengen bedrohten die Plastikteilchen das Gleichgewicht in solchen Ökosystemen, die fernab des Labors Lebensräume für viele Arten darstellten. Umso mehr sollten diese Ökosysteme im Fokus von Umweltund Naturschutzbehörden stehen, wenn es um Strategien zur Vermeidung, Kontrolle und Entfernung von Mikroplastik aus aquatischen Umgebungen gehe.
Alice Lanzke