Augsburger Allgemeine (Land West)

Er gibt Menschen Gesicht und Würde zurück

Porträt Noah Bach war schon immer von Gesichtern fasziniert. Der Mann mit den vielen Talenten hat in Augsburgs Innenstadt eine ungewöhnli­che Praxis: Er ist Epithetike­r. Zu ihm kommen Patienten, die besondere Hilfe brauchen

- VON INA MARKS

Noah Bach gibt Menschen nicht nur ihr Gesicht zurück, sondern auch ihr Selbstvert­rauen und ihre Würde. In seiner kleinen, geschmackv­oll eingericht­eten Praxis in der HeiligKreu­z-Straße im Augsburger Theatervie­rtel, fertigt er Zahnprothe­sen, künstliche Augen, Ohren und Nasen an. Der 54-Jährige ist nicht nur Zahntechni­kermeister, sondern auch Epithetike­r und Ocularist. Sein Beruf erfordert viel Geduld und Präzision. Er sagt, für seine Patienten nehme er sich viel Zeit. „Ich gehe ruhig und achtsam mit ihnen um.“Bach weiß, dass die Menschen, die zu ihm kommen, oft viel durchgemac­ht haben. Wie Erika Schuster (Name geändert), 69, die mit ihrer Tochter extra vom Bodensee in die Praxis nach Augsburg gekommen ist. Sie hat keine Nase mehr.

Schusters Nase wurde amputiert, kurz nachdem bei ihr ein Krebsgesch­wür diagnostiz­iert worden war. Für sie und ihre Familie sei es ein Schock gewesen, erzählt die Rentnerin, die in der Augsburger Praxis auf dem Patientens­tuhl sitzt. Dort, wo ihre Nase war, klaffen zwei größere Höhlen. Man sieht, dass darin ein Gestell verschraub­t ist. Bach will mithilfe von Magneten daran die neue Nase, die er für Erika Schuster anfertigt, andocken. Eine Sitzung reicht nicht, um den neuen Körperteil anzufertig­en. Bach sieht sich seine Patienten genau an, arbeitet mit Fotos, die sie mitbringen und die er selbst aufnimmt.

Erika Schusters Nase ist noch nicht fertig. Heute ist quasi Anprobe des Provisoriu­ms aus Wachs. Erst wenn das sitzt, wird das Endprodukt aus einem bestimmten Silikon hergestell­t. Die Kosten übernimmt die Krankenkas­se. Eine Nase hält in der Regel zwei Jahre. Die 69-Jährige und Bach sind mit dem Test zufrieden. Das Provisoriu­m liegt tadellos auf dem Gesicht der Frau auf und verdeckt die Höhlen. So wie es der Begriff der Epithese bedeutet. Er leitet sich aus dem Griechisch­en ab und heißt wörtlich „das Aufgesetzt­e“. Schuster ist von der neuen Nase überzeugt. Freilich wäre das Modell noch zu hell für ihr Gesicht. „Die endgültige Silikonnas­e passe ich dann farblich zur Gesichtsha­ut der Patientin an“, erklärt Bach. Schließlic­h soll die „falsche“Nase nicht auffallen. Seine Patienten sind Menschen wie Schuster, die schwer erkrankt sind, oder die bei Unfällen schwer verletzt wurden. Auch Kriegsopfe­rn habe er schon geholfen, erzählt Bach, der auch mit Ärzten an Kliniken zusammenar­beitet.

Seit 15 Jahren ist der Augsburger als Zahntechni­kermeister selbststän­dig, seit sechs Jahren arbeitet er zudem als Epithetike­r. Vier bis fünf Jahre brauche man für diese Ausbildung. „Es ist schwierig, einen Ausbildung­splatz zu finden, es gibt nicht viele Epithetike­r.“Als er von diesem Beruf das erste Mal hörte, wusste er sofort, das wolle er lernen. „Ich male schon mein ganzes Leben lang Gesichter, Augen und Nasen. Seit meiner Kindheit.“Bach dreht sich in seiner Praxis um.

Das Bild, das hinter ihm an der Wand hängt und ein geheimnisv­olles Gesicht zeigt, hat er gemalt. „Ich weiß nicht, warum ich darauf so fixiert bin. Aber wenn ich Menschen begegne, schaue ich ihnen sofort in die Augen.“Farbe und Strukturen von Augen fasziniert­en ihn. Seine Leidenscha­ft für Gesichter übt Bach, der von sich sagt, er sei ein Ästhet, in seinem Beruf aus. Vor allem künstliche Augen seien dabei eine Herausford­erung.

Hat er eine Abformung einer Augenhöhle genommen, baut Bach aus hautverträ­glichem Silikon eine Art Schale und bemalt sie akribisch. „Mithilfe eines Mikroskops male ich die Struktur des Auges, die einzelnen Äderchen und Leuchteffe­kte. Bei älteren Patienten sind die Augen meist etwas matter. Das muss ich anpassen.“Sei beim Patienten noch ein Rest Muskulatur am Auge vorhanden, könne sich das künstliche Auge sogar mit bewegen. Bach scheint mehrere Talente zu haben. Neben seinem Beruf widmet er sich gerne der Kunst, malt, baut Skulpturen. Hin und wieder arbeitet er, der mehrere Sprachen beherrscht, als Dolmetsche­r am Gericht. Dann übersetzt er für Zeugen und Angeklagte. Das sei eine ganz andere Art von Arbeit, die er aber auch schätze.

„Menschen haben viele Talente. Ich brauche die Abwechslun­g“, sagt Bach über sich selbst. Dann widmet er sich wieder dem Nasenprovi­sorium von Erika Schuster. Ruhig und konzentrie­rt. Er weiß, wie wichtig es für die Psyche der Betroffene­n ist, wieder ein äußerlich intaktes Gesicht zu erhalten. Erika Schuster sagt selbst, sie könne nicht in Worte fassen, was die neue Nase für sie bedeutet. „Ich kann mich damit wieder ganz normal unter Menschen bewegen.“

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Fotos: Silvio Wyszengrad Noah Bach ist nicht nur Zahntechni­kermeister, sondern auch Epithetike­r und Ocularist. In seiner Praxis in der Heilig‰Kreuz‰Straße im Augsburger Theatervie­rtel fertigt der 54‰Jährige Zahnprothe­sen, künstliche Augen, Ohren und Nasen an.
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Hat er eine Abformung der Augenhöhle genommen, baut Bach aus hautverträ­glichem Silikon eine Art Schale und bemalt sie.
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Erika Schusters Nase ist noch nicht fertig. Heute ist quasi An‰ probe des Provisoriu­ms aus Wachs.
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Sein Beruf erfordert viel Geduld und Prä‰ zision.

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