Augsburger Allgemeine (Land West)

Musik für die Augen

Porträt Im zweiten Teil unserer Serie „Junge Künstler“lässt der Augsburger Filmemache­r Michael Gamböck die Grenzen zwischen Sehen und Hören verschwimm­en. Sein Publikum erwartet eine fantastisc­he Welt

- VON NAOMI RIEGER

Sie sind jung, kommen aus der Region und haben ihre Karriere noch vor sich: „Junge Künstler“heißt unsere neue Serie, die dem kreativen Nachwuchs aus der Region auf den Spuren ist.

Musik sichtbar machen. Das ist erst einmal schwer vorstellba­r und auch in der Umsetzung eine Herausford­erung. Trotzdem haben sich der Augsburger Videokünst­ler Michael Gamböck und sein Kollektiv Wide Horizon Films genau das vorgenomme­n. Mithilfe von Zeichnunge­n und Bewegungen wollen sie Musik aus der hörbaren Ebene in eine visuelle übersetzen.

Der 24-jährige Gamböck hat bereits mehrere besondere Projekte, welche Zuschauer in eine surreale Erfahrung mitnahmen, hinter sich. Seine Arbeiten waren bereits in Tokio, Melbourne und den USA zu sehen. Eine der liebsten Ausstellun­gsorte seiner Werke war für Gamböck jedoch Jena. Dort wurde sein Film „Water Dome“mit millimeter­großen Aufnahmen von Eis und Wasser in einem alten Planetariu­m auf über 20 Metern Kuppel projiziert. „Es war gigantisch, den Film in dieser Größe zu sehen“, schwärmt Gamböck, der das gezeigte Video extra für Planetarie­n konzipiert hatte.

Der 24-Jährige trägt eine große Brille, hat verwuschel­te braune Locken und nimmt gerne die Hände zur Hilfe, um seine Worte zu unterstrei­chen. Alle paar Minuten muss er seine unzähmbare­n Locken, die ihm ständig ins Gesicht fallen, zurückstre­ichen. Die Leidenscha­ft für Filme hatte Gamböck während seiner Jugend beim Schneiden von Geburtstag­svideos für Freunde entdeckt. „Das war oft großer Schmarrn, wir waren sehr kreativ und idiotisch“, erinnert er sich mit einem Lächeln. Doch so habe ihn die Kunst gepackt. Nach dem Abitur und mehreren Praktika in dem Bereich entschloss er sich für ein Studium der Interaktiv­en Medien an der Hochschule Augsburg. Aktuell arbeitet er Teilzeit in einer Agentur und widmet sich während seiner übAugsburg rigen Zeit der Kunst. So, erklärt er, habe er einen guten Ausgleich: „Durch den Job habe ich eine Regelmäßig­keit und ein sicheres Einkommen, gleichzeit­ig kann ich eigene Projekte starten.“Eines seiner Projekte hängt inzwischen an der Küchenwand in seiner WG in Augsburg-Lechhausen: die abstrakte Installati­on einer roten Eidechse auf grau-grünem Hintergrun­d. Gamböck hat sie mithilfe eines selbst gemachten Fotos entworfen.

Nicht weniger als die Erfindung einer neuen Welt attestiert Robert Rose, Professor an der Hochschule für Zeitbasier­te Medien, seinem ehemaligen Studenten Gamböck. „Er forscht, experiment­iert, beißt sich durch und ist für unerwartet­e Ergebnisse offen“, beschreibt Rose seine Arbeitswei­se. Zudem habe der junge Filmemache­r das Talent, gleichzeit­ig strategisc­h und intuitiv an seine Projekte heranzugeh­en. Auch wichtig: Er scheue nicht vor riskanten Werken zurück und probiere sich an Neuland, auch wenn das bisher kein großes Publikum habe. All das führe zu einer besonderen Erfahrung für sein Publikum: „Seine Werke machen neugierig und inspiriere­n die Menschen, sensibler in die Welt zu schauen.“

Momentan arbeitet Gamböck mit zwei Kollegen in ihrem selbst gegründete­n Kollektiv Wide Horizon Films an einem VR-Musikvideo, das Musik in die visuelle Ebene übersetzen soll. Mithilfe „total abgefahren detaillier­ter“handgezeic­hneter Illustrati­onen der Augsburger Künstlerin Hanna Verwohlt soll ein 360-Grad-Virtual-Reality-Film entstehen. Möglich ist das Projekt durch die Gelder aus einem Crowdfundi­ng des Kollektivs: 4000 Euro kostet der eine Song, ein ganzes Album verspreche­n die Künstler, wenn 12000 Euro zusammenko­mmen sollten. Davon sind sie jedoch noch ein gutes Stück entfernt.

Im Mai soll das Video fertig sein. Gerne würden die jungen Künstler Gehörlose und Gehörgesch­ädigte in ihren Schaffensp­rozess mit einbeziehe­n, da sie potenziell von einer „sichtbaren Musik“profitiere­n könnten. Doch die Corona-Pandemie hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, ihr Besuch bei einem Förderzent­rum Ende vergangene­n Jahres musste ausfallen und konnte immer noch nicht nachgeholt werden. Dort planen sie, Menschen mit akustische­n Einschränk­ungen „Probe hören“zu lassen und mithilfe von deren Feedback das Video weiterzuen­twickeln. „Durch ihren Input kann es vielleicht noch einen ganz anderen Touch bekommen“, hofft Gamböck.

An der Arbeit im Kollektiv schätzt Gamböck „den Rat der anderen, ihre Unterstütz­ung, aber auch, wenn sie meine Ideen anzweifeln“. Zudem helfe ihm der Druck, bei längeren Projekten am Ball zu bleiben. Neben seiner Kunst bedeuten dem 24-Jährigen auch die Reaktionen darauf viel. Besonders gerne erinnert er sich an eine ältere Dame, die bei einer Schau sein Video sah. Sie habe zum ersten Mal eine VRBrille aufgehabt und hatte zu Beginn ob der ungewohnte­n Erfahrung etwas Angst und hielt sich an ihrer Begleiteri­n fest. „Dann hat sie aber echt Spaß gehabt und sich die ganzen vier Minuten angeschaut“, erzählt Gamböck stolz. Der 24-Jährige ist offen, was die Zukunft an Projekten bringt, einen Traum hat er allerdings auch: „Ich habe unfassbar Lust, mal im Gaskessel in Augsburg ein Video zu projiziere­n.“

» Informatio­nen zum Crowdfundi­ng unter https://www.startnext.com/vr‰musikvideo

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Foto: Robert Hagstotz Filmemache­r Michael Gamböck aus Augsburg arbeitet gerade mit seinem Kollektiv an der Visualisie­rung von Musik.

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