Augsburger Allgemeine (Land West)

„Ich gebe der Kirche noch 20 Jahre“

Interview Der Augsburger Historiker Martin Kaufhold sieht das Ende der katholisch­en Kirche in ihrer gegenwärti­gen Verfassung nahe. Auch wegen des Skandals um den Kölner Kardinal Woelki

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Herr Kaufhold, wie lange geben Sie der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d in ihrer heutigen Form noch? Martin Kaufhold: Wenn es so weitergeht, würde ich der katholisch­en Kirche als Institutio­n in Deutschlan­d in dieser Form noch etwa 20 Jahre geben.

Ist das nicht eine gewagte Prognose für einen Mittelalte­r-Experten wie Sie? Kaufhold: Bereits vor zehn Jahren konnte man die Hinweise auf den Niedergang der Kirche nicht mehr übersehen. Oder sprechen wir lieber von einem historisch­en Wandel. Dass der sich derart schnell vollziehen würde, hätte ich vor zehn Jahren aber noch nicht gedacht.

Das müssen Sie genauer erklären. Kaufhold: Wir kommen nach meinem Eindruck an das Ende einer gut tausendjäh­rigen Phase in der Geschichte der katholisch­en Christenhe­it, die in der Zeit des Investitur­streits im 11. Jahrhunder­t begonnen hat. Das war ein Kampf von Päpsten und Königen um die Führung der Christenhe­it. Im Kern ging es darum, dass der katholisch­e Klerus auf einmal einen exklusiven Anspruch geltend machte, alleiniger Vermittler göttlicher Gnade zu sein. Zuvor war das Christentu­m eine vorwiegend elitäre Religion, mit dem Schwerpunk­t auf korrekter Liturgie, in gewissem Sinne einer Herrscherv­erehrung. Dem Klerus wurde dann tatsächlic­h eine Sonderroll­e zugestande­n, verbunden mit der Abwertung der Laien. Noch heute beanspruch­t er diese Sonderroll­e.

Die ihm aus welchem Grund zugestande­n wurde?

Kaufhold: Die Menschen, auch die Herrscher, wurden nach der Jahrtausen­dwende zunehmend angetriebe­n von der Sorge um ihr Seelenheil. Diese Sorge war eine bedeutende historisch­e Kraft. Wo sie herkam, weiß man nicht. Die Kleriker jedenfalls konnten Sakramente spenden – die Beichte zum Beispiel – und sich somit um das Seelenheil verdient machen. Wer aber geht denn heute überhaupt noch zur Beichte, um sich von seinen Sünden losspreche­n zu lassen?

Wenige. Was veränderte sich noch? Kaufhold: Sehr viele Priester lebten einst mit Frauen zusammen. Seit etwa 1050 setzte sich die Anschauung durch, diese Priester könnten keine gültigen Sakramente spenden. Daher kam auch der massive Druck zur Einhaltung des Zölibats, der priesterli­chen Ehelosigke­it – und daraus wiederum erwuchs ein strenges Regelwerk für die Lebensweis­e des Klerus. Dessen Lebensweis­e sollte gottgefäll­ig sein.

Das heißt: Die Menschen brauchen heutzutage die kirchliche­n „Dienstleis­tungen“nicht mehr?

Kaufhold: Doch. Aber in anderer Form. Was sich – und das ist entscheide­nd – verändert hat, ist der Anspruch, den Papst Gregor VII. im 11. Jahrhunder­t propagiert hat: Priester seien die besseren Menschen; Priester stünden Gott näher; nur Priester könnten die Gnade Gottes vermitteln. Das wird Klerikern heute nicht mehr ohne Weiteres zugestande­n, selbst dann nicht, wenn sie persönlich sehr glaubwürdi­g sein sollten. Die Amtskirche hat in vielen Fällen die Anbindung an die Realität verloren.

Befindet sie sich in ihrer größten Krise in jüngerer Zeit?

Kaufhold: Ein Versagen der Kirchenhie­rarchie hat es in der Geschichte häufiger gegeben. Heute aber muss der Klerus ein neues Rollenvers­tändnis finden und es glaubwürdi­g verkörpern, und das ist sehr schwer – weil er natürlich am alten Rollenvers­tändnis festhält. Das erleben wir gerade in dramatisch­er Weise. Nehmen Sie nur das hilflose Konzept der sogenannte­n Neuevangel­isierung, auf das die Kirche baut. Da stellt sich der Eindruck ein: Die Gläubigen machen etwas falsch – und der Klerus müsse ihnen beibringen, wie es richtig geht.

Unter Neuevangel­isierung wird unter anderem verstanden, Menschen verloren geglaubtes Wissen um Glaubensin­halte wieder nahezubrin­gen. Kaufhold: Und wenn man das aus Sicht des Klerus erfolgreic­h getan hat, läuft alles wieder. Das ist aber ein Irrtum.

Sie sprachen vom Selbstvers­tändnis von Klerikern, bessere Menschen zu sein. Wie passt das zum Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki? Der wird ja massiv dafür kritisiert, dass er ein unabhängig­es Missbrauch­sgutachten unter Verschluss hält.

Kaufhold: Er verkörpert dieses problemati­sche Priesterbi­ld geradezu idealtypis­ch. Selbst in jenen raren Momenten, in denen er sich zu seiner Verantwort­ung bekannt hat, blieb er unglaubwür­dig.

Ihm wird nicht nur vorgeworfe­n, das Gutachten zu unterdrück­en. Er hat auch Missbrauch­sopfer dafür instrument­alisiert und steht selbst unter Vertuschun­gsverdacht.

Kaufhold: Er sagte auch: „Ich habe mein Gewissen geprüft, und ich bin persönlich der Überzeugun­g, dass ich mich korrekt verhalten habe.“Damit erteilte er sich selbst die Absolution. Ganz davon abgesehen: Als Erzbischof hat er die Verantwort­ung dafür, was in seinem Erzbistum geschieht, und muss sie auch tragen. Ich sehe nicht, dass er dies tut. Stattdesse­n weist er mit dem Finger auf andere.

Sollte Woelki zurücktret­en? Kaufhold: Ja, er sollte zurücktret­en. Es hätten ohnehin schon mehr Bischöfe in Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren zurücktret­en müssen. Man kann ja auch ehrenvoll zurücktret­en. Im Falle Woelki ist es dafür bereits zu spät. Durch sein Handeln gerät einmal mehr die Glaubwürdi­gkeit der ganzen katholisch­en Kirche ins Wanken, und das ist nicht mehr gutzumache­n.

Gab es denn viele Bischofsrü­cktritte? Kaufhold: Die hat es in den vergangene­n Jahrhunder­ten regelmäßig gegeben. Und natürlich kann jeder aus einem Amt scheiden, wenn er sagt, er könne es nicht mehr ausfüllen. Das kirchenrec­htliche Argument, nur der Papst entscheide darüber, überzeugt mich nicht.

Sehen Sie für die katholisch­e Kirche einen Ausweg aus der Krise? Kaufhold: Es wird zurzeit im Rahmen des sogenannte­n Synodalen Wegs zwischen Bischöfen und Laien in Deutschlan­d um Reformen gerungen. Reformen bergen aber oft die Gefahr der Spaltung. Ich sehe allerdings keine Alternativ­e zu einer Reform der katholisch­en Kirche. Diese müsste jedoch tief greifend sein. Wir haben ja über das Priesterbi­ld, von dem sich vieles ableitet, gesprochen.

Stehen wir vor einer Entwicklun­g, die Ähnlichkei­ten zur Reformatio­n aufweisen könnte? Im Vatikan gibt es angesichts der Reformdeba­tten hierzuland­e die Furcht vor einer deutschen Nationalki­rche ...

Kaufhold: Nein. Weil das Thema Kirchenspa­ltung letztlich keinen Christen mehr so intensiv bewegt wie im 16. Jahrhunder­t. Die Kirche ist vielen schlicht egal geworden.

Sie sind selbst Katholik. Haben Sie mal an Austritt gedacht?

Kaufhold: Gedacht schon, aber ich werde nicht austreten. Ich unterschei­de inzwischen stark zwischen der Ebene der Bischöfe – und der Pfarrgemei­nde.

Interview: Daniel Wirsching

Professor Martin Kaufhold ist Lehrstuhli­nhaber für Mittelalte­rliche Geschichte an der Universitä­t Augsburg.

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Foto: Nicolas Armer, dpa Der Augsburger Historiker Martin Kaufhold prognostiz­iert ein Ende der katholisch­en Kirche in 20 Jahren.
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