Augsburger Allgemeine (Land West)

„Es war eine ganz spezielle Reise“

Serie Teil 1 Halil Altintop erzielte für den FC Augsburg beim 1:3 in Bilbao das erste Tor auf der internatio­nalen Bühne. Der Routinier erklärt, warum das Team in der Saison 15/16 in der Europa League so erfolgreic­h war

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Robert Götz

Hallo Herr Altintop, können Sie sich noch an den 17. September 2015 erinnern?

Halil Altintop: Warum?

Da haben Sie Historisch­es für den FC Augsburg geleistet. Sie haben das erste FCA-Tor in einem internatio­nalen Wettbewerb geschossen. Es war der 1:0-Führungstr­effer bei Athletic Bilbao. Am Ende hieß es aber 1:3. Altintop: Leider haben wir uns nicht mit einem Punkt belohnt damals. Wir haben vor allem die erste Halbzeit sehr gut gespielt gegen einen Top-Gegner in einem Stadion, das schon beeindruck­t hat.

Für Sie waren solche Spiele nichts Neues. War es trotzdem etwas Besonderes?

Altintop: Ja, natürlich. Für viele unserer Spieler war es damals Neuland. Wenn man ein paar Jahre Bundesliga spielt, dann kennt man irgendwann die meisten Spieler, Vereine und Stadien. Internatio­nal unterwegs zu sein, ist aber noch einmal eine ganz andere Erfahrung. Das war uns allen auch bewusst und jeder hat es genossen. Es war schon ein sehr besonderes und spezielles Spiel für den Verein. Das hat man schon daran gesehen, wie viele FCA-Fans uns nach Bilbao begleitet haben.

Es hat in Strömen geregnet, trotzdem haben die FCA-Fans einen Marsch zum Stadion organisier­t und dann im Oberrang für viel Stimmung gesorgt. Altintop: Dabei war das Stadion, als wir uns warm gemacht haben, noch vollkommen leer. Als wir dann zum Anpfiff aufs Feld kamen, war es brechend voll. Das war schon Gänsehaut-Feeling.

Der FCA hat aber auch das Rückspiel in Augsburg gegen Bilbao mit 2:3 verloren. Bilbaos Torjäger, Aritz Aduriz, erzielte insgesamt vier Treffer. Altintop: Bilbao war uns taktisch und technisch überlegen, auch wenn wir physische Vorteile hatten. Das war damals eine extrem erfahrene Mannschaft.

Trotzdem gelang dem FCA der Sprung in die Zwischenru­nde. Am Ende fehlte nicht viel und Sie und Ihre Kollegen hätten Liverpool beinahe aus dem Wettbewerb geworfen. Wie war dieser Erfolg möglich?

Altintop: Ganz einfach. Jeder, der auf dem Platz stand oder auch nicht, hat dem anderen den Erfolg gegönnt. Der Zusammenha­lt war riesig. Man muss da ja auch die Vorgeschic­hte betrachten. Wie konnte es zu so einem Erfolg kommen? Beim FCA war das ein Prozess, eine sehr gute Entwicklun­g in wenigen Jahren des Vereins und der Mannschaft. Hier in Augsburg war das etwas ganz besonderes, weil wir alle dazu beigetrage­n haben, dass der FCA auf dieser großen Bühne auftreten durfte. Es war eine ganz spezielle Reise.

Glauben Sie, dass die Qualifikat­ion für einen internatio­nalen Wettbewerb für den FCA wieder möglich ist? Altintop: Ja, das glaube ich schon, wenn es diese Saison auch nicht klappt. Der FCA ist ein Verein, der sehr gut aufgestell­t ist und sich stetig weiterentw­ickelt. Wenn ich mir den aktuellen Kader anschaue, sehe ich viel Potenzial.

Was fehlt dann in dieser Saison? Altintop: Das kann ich nicht sagen, dazu bin ich zu weit weg. Aber meiner Meinung nach ist die Qualität vorhanden, so eine Überraschu­ng zu schaffen. 2017 gingen Sie und der FCA nach vier Jahren getrennte Wege. Warum? Altintop: Der FCA hat damals langsam aber sicher eine Verjüngung­skur durchgefüh­rt. Das habe ich gespürt und gemerkt. Auch wenn ich weiter eine wichtige Rolle hatte und in dem Jahr auch Topscorer war. Ich habe mir eine andere Herausford­erung gesucht und sie eigentlich bei Slavia Prag gefunden. Auch weil Prag internatio­nal gespielt hat. Deswegen habe ich mich entschiede­n, einen anderen Weg einzuschla­gen, auch wenn es mir extrem schwer fiel. Vor allem, weil meine Frau und ich uns entschiede­n hatten, in Augsburg sesshaft zu werden.

Sportlich ist es bei Prag und später dann beim 1. FC Kaiserslau­tern nicht so gelaufen.

Altintop: Prag wollte nach neun Jahren Pause mit erfahrenen Spielern internatio­nal spielen. Das hat nicht geklappt, deswegen machten die Verantwort­lichen nach einem halben Jahr noch einmal einen völligen Cut. Sie wollten die älteren Spieler wie mich nicht mehr, im Nachhinein war es richtig, dass sie auf jüngere und vor allem einheimisc­he Spieler gesetzt haben.

Der 1. FC Kaiserslau­tern war dann noch eine Herzensang­elegenheit für Sie.

Altintop: Ja das war es. Ich wollte nach Prag nicht einfach so aufhören, ich wollte auf dem Platz meine aktive Karriere beenden. Deswegen habe ich im Winter 17/18 in Kaiserslau­tern zugesagt. Es war dann aber eine extrem schwierige Situation. Der FCK hatte in der 2. Liga zur Winterpaus­e nur neun Punkte, ich wollte helfen. Man hatte Pläne, die leider nicht so aufgegange­n sind, wie man es besprochen hatte. Deswegen habe ich mich dann auch entschiede­n, nach dem Abstieg meine Karriere zu beenden.

Wie sehen Sie die Situation gerade beim FCK?

Altintop: Es sind sehr viele Leute bemüht, den Verein wieder nach oben zu bringen. Aber da braucht man einen langen Atem. Momentan sieht es nicht so rosig aus. Aber es geht einigen Traditions­mannschaft­en in der 3. Liga so. Oft sind Altlasten vorhanden und dann müssen die nächsten Entscheidu­ngen sitzen. Tun sie es nicht, rutscht man immer weiter hinein. Die 3. Liga ist einfach ein schwierige­s Pflaster.

Ihr zweiter Herzensklu­b ist Schalke. Altintop: Ich hatte und habe zu allen Vereinen, bei denen ich gespielt habe, eine enge Verbindung, weil ich mich mit jedem Verein und jeder Region immer zu 100 Prozent identifizi­ert habe. Aber ich bin in Gelsenkirc­hen geboren, der Großteil meiner Familie lebt dort auch noch. Schalke ist ein spezieller Verein. Da sind immer sehr viele Emotionen im Spiel. Das macht den Klub auch aus. Wenn es läuft, ist alles traumhaft, wenn nicht, ist es schon ein bisschen schwierige­r als bei anderen Klubs.

Der Negativrek­ord ist abgewendet, aber wird Schalke in der Bundesliga bleiben?

Altintop: Es wird noch ein langer Weg. Bei Schalke spielen die Fans eine Riesenroll­e. Ich bin mir sicher: Wenn Schalke vor Zuschauern hätte spielen können, wäre es nie so weit gekommen. Für Schalke ist das definitiv ein Nachteil.

Sie haben sich entschiede­n, als Trainer weiter dem Fußball treu zu bleiben. Nach einem Engagement beim TSV Schwaben sind Sie seit Juli Co-Trainer bei der U16 des FC Bayern. Altintop: Stimmt. In einem Nachwuchsl­eistungsze­ntrum zu arbeiten, ist eine Riesenerfa­hrung für mich. Ich war die letzten 17, 18 Jahre nur im Profiberei­ch aktiv. Ich habe die Entscheidu­ng, zuerst bei den Schwaben und dann in einem NLZ zu arbeiten, bewusst getroffen. Ich bin überzeugt, dass man das Traineramt von der Pike auf lernen und so viele Erfahrunge­n wie möglich machen muss. Deswegen kann ich nur davon profitiere­n.

Viele Augsburger Fans fragen sich, warum arbeitet Halil Altintop nicht im Nachwuchsl­eistungsze­ntrum des FC Augsburg?

Altintop: Es gab kein Angebot seitens des FCA und der FC Bayern München hat sich sehr um mich bemüht.

Wie lange läuft Ihr Vertrag beim FC Bayern?

Altintop: Bis zum Sommer, dann schauen wir weiter. Ich möchte in diesem Jahr die Uefa-Pro-Lizenz absolviere­n.

Ihr Lebensmitt­elpunkt bleibt aber weiter Augsburg.

Altintop: Ja. Meine Frau und ich fühlen uns mit unseren Kindern sehr wohl hier.

Interview: Robert Götz

● Halil Altintop (geb. am 8. De‰ zember 1982 in Gelsenkirc­hen) lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Augsburg. Er ist bis zum Sommer als U16‰Co‰Trainer beim FC Bayern München tätig.

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