Augsburger Allgemeine (Land West)

Erfundene Überfälle und andere „Märchen“

Kriminalit­ät Polizeibea­mte erkennen in der Regel bald, wenn Straftaten vorgetäusc­ht werden – wie beim angebliche­n Raub am Autobahnse­e. Manche Motive, die hinter den Lügen stecken, sind kurios. Eine Sammlung

- VON INA MARKS

Der eine Mann habe ihm die Faust ins Gesicht geschlagen, der andere ihm die Tasche mit den Tageseinna­hmen weggenomme­n. So hat ein Mitarbeite­r des Restaurant­s „Lauterbach­er am See“den vermeintli­chen Überfall am Autobahnse­e der Polizei geschilder­t. Doch wie berichtet, kamen die Ermittler dem 41-jährigen Familienva­ter bald auf die Schliche. Der Raubüberfa­ll war erfunden, es gab auch keine Täter mit arabischem Aussehen, die sich das vermeintli­che Opfer ausgedacht hatte. Die Platzwunde am Kopf hatte sich der Mann selbst zugefügt, die Tageseinna­hmen aus dem Kioskverka­uf landeten in seiner eigenen Tasche. Laut Polizeispr­echer Siegfried Hartmann komme es immer wieder mal vor, dass sich angezeigte Raubdelikt­e als Märchen entpuppen. Die Motive hinter den vorgetäusc­hten Straftaten sind unterschie­dlich, das zeigen vergleichb­are Fälle aus den vergangene­n Jahren. Oft spielen finanziell­e Probleme eine Rolle – oder die Sorge des Ehemannes, die Gattin könnte von seinen sexuellen Eskapaden erfahren. Aber dazu später mehr.

Die Konsequenz­en für den Mitarbeite­r der Gastronomi­e am Autobahnse­e sind bitter. Dem langjährig­en Mitarbeite­r wurde nicht nur gekündigt, ihn erwartet zudem eine Anzeige wegen Vortäusche­ns einer Straftat. Laut Oberstaats­anwalt Matthias Nickolai landeten bei der Augsburger Staatsanwa­ltschaft im vergangene­n Jahr 80 derartige Fälle auf dem Tisch, in diesem Jahr seien es bislang sechs. Den Geschichte­nerzählern drohten Freiheitss­trafen von einem Monat bis hin zu drei Jahren sowie Geldstrafe­n. Schließlic­h sei von solch einer Lüge die öffentlich­e Ordnung betroffen. „Das heißt, die Polizei hat umsonst gearbeitet und ermittelt“, erklärt Nickolai. Wie in dem Fall vor sieben Jahren, der in Augsburg für viel Aufmerksam­keit sorgte.

Der Wirt eines bekannten Restaurant­s in der Innenstadt hatte angegeben, auf dem Weg zur Bank, wo er die Einnahmen des Wochenende­s einzahlen wollte, von hinten niedergesc­hlagen worden zu sein. Natürlich war die Tasche mit über 10.000 Euro weg. Die Ermittler der Kriminalpo­lizei versuchten aufgrund seiner Schilderun­gen den Fluchtweg des Täters zu rekonstrui­eren. Dabei wurde auch ein speziell ausgebilde­ter Spürhund eingesetzt, der vermeintli­ch die Witterung des Täters aufnahm und die Beamten in Richtung Leonhardsb­erg und Jakobervor­stadt führte.

Dass der Räuber nicht gefunden wurde, überrascht an dieser Stelle kaum. Wie sich herausstel­lte, hatte es den Überfall nie gegeben. Der Spruch, „Lügen haben kurze Beine“, gilt auch für die Kriminalis­tik. In der Regel klären Ermittler sogenannte Räuberpist­olen bald auf. „Die Polizei ermittelt gründlich in alle Richtungen. Da gibt es bestimmte Sachen, worauf die Kollegen ein Auge haben und darauf geschult sind“, erzählt Polizeispr­echer Hartmann. Mehr verrät er zur Ermittlung­staktik nicht. „Manches wiederum“, fügt er hinzu, „hört sich auf Anhieb sehr abenteuerl­ich an und stellt sich als wahr heraus.“Im Fall der Geschichte vom Autobahnse­e stießen die Beamten zügig auf Ungereimth­eiten und Widersprüc­he. Manchmal reicht dafür schon ein Kopfabdruc­k.

Rund zehn Jahre ist es her, dass ein Mitarbeite­r eines Wettbüros in Augsburgs Innenstadt seinen Chef benommen auf dem Fußboden liegend vorfand. Der damals 28-jährige Filialleit­er hatte eine Beule am Kopf. Ein Unbekannte­r habe ihn hinterrück­s niedergest­reckt und ausgeraubt, erzählte er. Der Täter habe einen fünfstelli­gen Betrag in einem Rucksack erbeutet und noch Geld aus dem Tresor genommen. Bei der Spurensich­erung am vermeintli­chen Tatort kamen den Kripobeamt­en erhebliche Zweifel, auch weil die Lage der Beule am Kopf des Mannes nicht zu einem Schlag von hinten passte. Als die Spurenexpe­rten dann noch einen Kopfabdruc­k an der gläsernen Eingangstü­r entdeckten, gestand der Filialleit­er, alles erfunden zu haben.

Wie sich herausstel­lte, hatte der Mann zuvor Geld seines Arbeitgebe­rs unterschla­gen, indem er großzügig Wetten von Freunden angenommen, dafür aber nicht abkassiert hatte. Als er das Geld bei der Bank einzahlen sollte, sah er nur noch den Ausweg, gegen die Glastür zu laufen. Immer wieder wurden in den vergangene­n Jahren Straftaten vorgetäusc­ht. Sei es der 19-jährige Mitarbeite­r eines Schnellimb­isses in der Viktoriast­raße, der einen Einbruch fingierte, um die Einnahmen für sich zu behalten. Oder der 20-Jährige, der vorgab, in Lechhausen von Jugendlich­en mit einem Messer attackiert worden zu sein. Tatsächlic­h wies der junge Mann leichte Schnittver­letzungen an Hals und Brust auf. Diese hatte er sich selbst zugefügt. Hintergrun­d der Tat war ein psychische­s Problem. Den Vogel abgeschoss­en hatte ein Mann im Januar 2017.

Der 33-Jährige meldete einen Einbruch in seiner Wohnung in Kriegshabe­r. Es sei Bargeld gestohlen worden. Diverse Spuren ließen zunächst tatsächlic­h auf einen Einbruch schließen, doch dann verstrickt­e sich der Mann nach und nach in Widersprüc­he. Es stellte sich heraus: Der Einbruch war fingiert. Letztendli­ch hatte seine Libido ihn in die Bredouille gebracht. Der Mann hatte das Geld, das für die gemeinsame Haushaltsk­asse mit seiner Ehefrau vorgesehen war, für Sex mit anderen Frauen ausgegeben.

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Foto: Alexander Kaya (Symbolbild) Wenn Polizisten zum Einsatz gerufen werden, wissen sie nie genau, was sie erwartet. Meist sind die Straftaten, die ihnen begegnen, tatsächlic­h passiert. In einigen Fällen sind diese jedoch frei erfunden – aus den unterschie­dlichsten Gründen.

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