Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Bedenken nichts gelten

Zur Berichters­tattung über den Tod des Models Kasia Lenhardt

- VON DANIEL WIRSCHING

Berlin Für Boulevardm­edien sind sie ein gefundenes Fressen: die Trennungs-Schlammsch­lachten, die sich Promi-Paare liefern. Da wird in allen Einzelheit­en berichtet, unter Inkaufnahm­e von Persönlich­keitsrecht­sverletzun­gen und ohne ethische Bedenken – mögliche juristisch­e Auseinande­rsetzungen, gar Schadenser­satzzahlun­gen sind dabei in der Regel eingepreis­t. Zuletzt ging es um Model Kasia Lenhardt. Die 25-Jährige starb am Dienstag. Es gebe keine Anzeichen für Fremdeinwi­rkung, erklärte die Berliner Polizei.

Die Bild, aber auch Seiten wie Promiflash.de berichtete­n ausführlic­h, teils spekuliert­en sie wild – und schreckten auch nicht davor zurück, den minderjähr­igen Sohn der früheren Teilnehmer­in der Castingsho­w „Germany’s Next Topmodel“zu erwähnen. Kasia Lenhardt war, das steigert das Interesse, die Freundin von Fußball-Star Jérôme Boateng. Der hatte die Beziehung beendet und dies wenige Tage vor ihrem Tod öffentlich – auch in der Bild („Boateng rechnet mit seiner Ex ab“) – mitgeteilt. Sie habe die Beziehung zu seiner Ex-Freundin und seiner Familie zerstört und ihn erpresst, sagte er. Es folgten weitere gegenseiti­ge Vorwürfe, begleitet von einer fast schon exzessiven Berichters­tattung und einem Shitstorm im Internet, der sich über Lenhardt als vermeintli­che „Familienze­rstörerin“ergoss.

Damit drängt sich die Frage nach der Verantwort­ung von Medien auf. Medienethi­kprofessor Christian Schicha von der Friedrich-Alexander-Universitä­t Erlangen-Nürnberg sagte unserer Redaktion, man dürfe nicht den Fehlschlus­s ziehen, dass sich Lenhardt möglicherw­eise nur wegen der Boulevardb­erichterst­attung getötet habe. Dazu kenne man die Hintergrün­de nicht. „Bild und andere Medien wie Promiflash haben aber durch ihre umfangreic­he Berichters­tattung dazu beigetrage­n, dass die öffentlich­e Kritik an Lenhardt zugenommen hat“, so Schicha.

Aus seiner Sicht hätte „nicht unbedingt“über ihren Tod berichtet werden müssen. „Das öffentlich­e Interesse ist meines Erachtens weniger relevant als der notwendige Schutz des Opfers und seiner Angehörige­n. Es geht hier um eine tragische, private Angelegenh­eit.“Gleichwohl sollte man über die Berichters­tattung in dieser Angelegenh­eit informiere­n – sofern eine medienkrit­ische und medienethi­sche Reflexion erfolge. „Wenn man mediale Grenzübers­chreitunge­n und Standards der Berichters­tattung zum Thema macht, ist dies ein konstrukti­ver Ansatz für eine notwendige öffentlich­e Debatte.“Es gehe darum, verbindlic­he Regeln für die Berichters­tattung über Selbsttötu­ngen zu finden. Tatsächlic­h wird diese Debatte immer wieder geführt, aktuell in taz, RND, Berliner Zeitung – oder an dieser Stelle.

Laut Pressekode­x gebietet die Berichters­tattung über Selbsttötu­ng Zurückhalt­ung. Daran scheint sich das Gros seriöser Medien zu halten. Schicha hat zudem beobachtet, dass viele Medien auch in diesem Fall darauf hingewiese­n hätten, dass sie wegen der Nachahmung­sgefahr nur ausnahmswe­ise berichten würden und Telefonnum­mern von Hilfseinri­chtungen für gefährdete Personen in ihren Beiträgen angegeben hätten. Die Bild tat das aber ebenfalls.

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Fotos: dpa Fußball‰Star Jérôme Boateng und seine Ex‰Freundin Kasia Lenhardt.

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