Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Spektakel aus dem virtuellen Raum

Ziemlich kurzfristi­g haben die beiden Macher von Live-Aufführung­en auf ein digitales Format umgestellt. Dennoch wird es vom 26. Februar bis 7. März wie im Theater jeden Abend am Bildschirm echte Premieren geben

- VON ALOIS KNOLLER

Was für ein Augsburger Brechtfest­ival! Gewisserma­ßen ofenfrisch präsentier­en die Festivalma­cher Jürgen Kuttner und Tom Kühnel in der digitalen Version dieses Jahr 23 Netzpremie­ren. Gerade erst werden die Videos, Clips, Hörstücke und Reportagen fertiggest­ellt, die vom 26. Februar bis 7. März jeden Abend online ausgestrah­lt werden. „Ihr habt eine eigene, neue Form gefunden und ein Programm kreiert, das tolles Spektakel ist“, lobte gestern bei der Pressekonf­erenz der Augsburger Staatsinte­ndant André Bücker die beiden Berliner Kollegen.

Von allem etwas verspreche­n die Festivalma­cher dem Publikum, das schon gespannt wartet. Jedenfalls sind am ersten Tag des Vorverkauf­s laut Kulturamts­leiterin Elke Seidel gleich zwölf Tickets weggegange­n. Es wird Theater geben, Musik, Comedy, Krimi, Kino, Wortkunst und Kreatives irgendwo dazwischen. So ist Bernd Zander in Augsburg losgezogen, hat seine Aufnahmen der Bolschewis­tischen Kurkapelle auf 70 Fassaden projiziert und daraus einen Film gedreht. Die Puppenspie­lerinnen Irina Rastorguev­a („Haben Sie von Carola gehört?“) und Suse Wächter („Helden des 20.

Jahrhunder­ts singen Brecht“) vermitteln B.B. und die Frauen um ihn mit ihrem Figurenthe­ater.

Inhaltlich richtet das Festival dieses Jahr den Scheinwerf­er auf die Künstlerin­nen und Mitarbeite­rinnen Bertolt Brechts. Dabei wollen Kuttner und Kühnel den Eindruck zerstreuen, es seien dem Dichter hörige Frauen gewesen. Jürgen Kuttner entdeckt stattdesse­n eigenständ­ige Künstlerpe­rsönlichke­iten im Frauenkrei­s um Brecht. Also Helene Weigel, Elisabeth Hauptmann, Margarethe Steffin und Ruth Berlau sowie weitere Frauen, die in Beziehung zu Brecht stehen, etwa Carola Neher, Marieluise Fleißer, Simone Weil und Inge Müller.

Schauspiel­erin Stefanie Reinsperge­r bündelt ihre Texte im Film „Ich bin ein Dreck“. Als kompakte Show für Eilige performen Winnie Böwe und Felix Kroll das Songspiel „Happy End“über das Heilsarmee-Mädchen im Gangstermi­lieu Chicagos. Corinna Harfouch erweckt mit Brechts „Die Mutter“und Simone Weils „Tagebuch einer Fabrikarbe­iterin“Revolution­ärinnen zum Leben. In „Heldin Nr. 0“taucht die Augsburger bluespots production­s mit Gedichten Brechts in die Welt der scheinbar stummen Antiheldin­nen ab. Das Theter Ensemble porträtier­t in einer Szenencoll­age Ruth Berlau als Revolution­ärin an der Theaterfro­nt. Intime Einblicke in eine besondere Paardynami­k geben Charly Hübner und Lina Beckmann aus dem Briefwechs­el zwischen Helene Weigel und Bert Brecht.

Livemusik zu Brecht aus dem Textilmuse­um streamen Charlotte Brandi, Balbina und Banda Internatio­nale mit Bernadette La Hengst, die 2020 erstmals B.B. entdeckt hatten. Ebenfalls gut bekannt sind die

Dakh Daughters aus Kiew, die mit ihrem Konzertvid­eo das Publikum zu einer Verabredun­g mit Brecht, Feminismus und politische­n Songs mitnehmen. Unter dem Namen „Snapped“haben sich junge Musikerinn­en aus Augsburg und München für das Brechtfest­ival zusammenge­tan. Girisha Fernando, der Kurator des Musikprogr­amms, wird in der Slamperfor­mance „Du sollst kein Brot essen“selbst mitwirken. Sogar der Cellist Frank Wolff hat seinen Part mit „Tanz den Brecht“. Indes landen Ben Hartmann und Johannes Aue mit ihrem Festivalbe­itrag bei Brechts pornografi­schen Sonetten. Aus dem Gymnasium bei St. Stephan kommen laut Michael Friedrichs, Chef des Bert-BrechtKrei­ses, „ausgezeich­nete Beiträge“zum Kreativwet­tbewerb.

Die Festivalma­cher Kühnel und Kuttner selbst haben blitzschne­ll die Premiere von Heiner Müllers „Medea Material“mit drei Schauspiel­erinnen des Staatsthea­ters Augsburg von der Bühne ins Videoforma­t umgesetzt. Die Kolleginne­n seien sehr begeistert bei den Proben, berichtete Intendant Bücker. Auch im digitalen Format soll so viel Theateratm­osphäre wie möglich sein. Deshalb endet das Festival jeden Tag mit einem „Airmeet Talk“, der direkte Begegnunge­n mit Mitwirkend­en eröffnet. Erstmals wird das Brechtfest­ival auf der ganzen Welt zu sehen sein. Für die Brechtstad­t Augsburg könnte dies ein Prestigege­winn sein.

Freilich: Umsonst gibt’s die erstklassi­ge Kultur nicht. Für alle Tage kostet der Festivalpa­ss zwölf Euro, als Solidaritä­tsticket darf auch gern mehr gegeben werden, sagte Kulturrefe­rent Jürgen Enninger.

Alle Infos:

www.brechtfest­ival.de

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Zeichnung: Klaus Müller
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Foto: Tetiana Vasylenko Die Dakh Daughters aus Kiew laden dieses Jahr in einem Video zur Verabredun­g mit Brecht, Feminismus und politische­n Songs ein.

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