Augsburger Allgemeine (Land West)

Brecht einfach

Auch den großen Schriftste­ller kann man in eine leicht verständli­che Sprache bringen. Eine Premiere fürs Festival

- VON ALOIS KNOLLER

Bert Brecht in einfache Worte bringen – braucht es das? Sprach nicht der Dichter selbst in schnörkell­oser Diktion? Tut er nicht immer, wendet Jürgen Kuttner, einer der beiden Leiter des Augsburger Brechtfest­ivals, ein. B.B. drechselte zum Teil auch lange, verschacht­elte Sätze, es wird auch nicht immer klar, wer gerade spricht, und er verwendete ausgefalle­ne Wörter, die heute nicht mehr jedem Leser oder Hörer geläufig sind. Es gibt also gute Gründe, Erzählunge­n von Brecht in einfache Sprache zu übertragen.

Der Festivalle­iter aus Berlin fand dafür rasch die geeigneten Bearbeiter, nämlich seinen Bruder Hardy und Schwägerin Doreen Kuttner. Seit 2013 betreiben sie den Passanten-Verlag für Literatur in einfacher Sprache in Casekow in der Uckermark. Zehn Bücher haben die beiden schon herausgebr­acht, darunter „Der Schimmelre­iter“von Theodor Storm, „Undine“von Friedrich de la Motte Fouqué, aber auch Wälzer wie „Hiob“von Joseph Roth oder „Moby Dick“von Herman Melville. Aber Brecht? „Ihn zu bearbeiten war lange Zeit ein absolutes No-Go für die Erben“, weiß Verlagsche­fin Doreen Kuttner. Johanna Schall, die Enkelin, gab dagegen sofort ihr Einverstän­dnis. Dann kam es auf den Suhrkamp-Verlag an. „Wir waren überrascht, wie einfach es letztlich mit ihm war“, so Kuttner.

Ausgewählt hat das Paar für seinen Band sechs bekannte Erzählunge­n aus unterschie­dlichen Entstehung­szeiten, darunter „Das Paket des lieben Gottes“(1926), „Der Augsburger Kreidekrei­s“(1940) und „Die unwürdige Greisin“(1939). Letztere soll auf dem diesjährig­en Augsburger Brechtfest­ival (digital vom 26. Februar bis 7. März) eine Rolle spielen – vorgelesen von der Schauspiel­erin Sophie Rois und umgesetzt in einem Trickfilm der Berliner Comic-Zeichnerin Katia Fouquet. Die Premiere ist am 2. März im Livestream, Wiederholu­ng am 3. März.

Katia Fouquet lässt die Zuschauer im Film unmittelba­r an der Entstehung der Figuren teilnehmen. Ihre zeichnende und malende Hand fährt über das Blatt und fasziniert mit raschen Wendungen. So wird aus der alten Frau plötzlich eine attraktive, junge Lady. Die Künstlerin ist bekannt für farbige Zeichnunge­n im Stil amerikanis­cher Comicklass­iker, aber auch für markante, reduzierte Illustrati­onen und für grelle Wallpapers in Art der Grafitti-Szene.

In der Geschichte erzählt Brecht angeblich von seiner Großmutter im badischen Achern. In einfacher Sprache lautet dies: „Wenn ich darüber nachdenke, dann lebte meine Großmutter zwei Leben. Das erste Leben als Frau und Mutter. Im zweiten Leben war sie einfach nur Frau B.“Einfache Sprache heißt für Doreen Kuttner, sich auf das Wesentlich­e zu konzentrie­ren. „Wir gucken uns Filme und Comics an, weil darin genau dasselbe geschieht wie bei unserer Übertragun­g: Das Spannendst­e aus der Geschichte wird herausgezo­gen.“

Literaturk­enner seien bei diesem Verfahren immer skeptisch, räumt die Verlegerin ein. „Doch wer liest wirklich die Schmöker von Anfang bis Ende? Unsere Übertragun­g in einfache Sprache bietet die Möglichkei­t, die Geschichte in ihrem Kerngehalt schnell zu lesen. Daran haben auch geübte Leser ihren Spaß“, versichert Kuttner. Auf die Bücher des Passanten-Verlags greifen DeutschLer­ner auf der ganzen Welt zurück.

Bis nach Brasilien und Japan liefern die Kuttners. Sie machen ihre Bücher komplett selber und erledigen auch das Drucken in gut lesbaren, größeren Lettern und das Binden in edler Fadenheftu­ng.

Das Ehepaar arbeitet im Team. Der Text gehe ein paar Mal hin und her, bis er passt. Der poetische Fluss der Geschichte soll erhalten bleiben, wie nahe er am Original ist, sei „ein bisschen eine Gratwander­ung“, sagt Doreen Kuttner. Deshalb verwenden sie „einfache Sprache“statt „leichter“Sprache. Letztere sei bereits stark reglementi­ert, um den Anforderun­gen der Verbände für behinderte Menschen zu genügen. Einfache Sprache erlaubt sich Freiheiten, wie es die literarisc­he Vorlage eben erfordert. Um sie Menschen zu erschließe­n, die sonst keinen Zugang zu ihr hätten.

» Bertolt Brecht: Der Augsburger Krei‰ dekreis und andere Erzählunge­n. Einfa‰ che Sprache, übertragen von Hardy Kutt‰ ner, Passanten‰Verlag 2020, 48 Seiten, 10,50 Euro

Bild „Blauer Kopf“ist eine herausrage­nde Kompositio­n, die Picasso rezipiert, aber ein ganz eigenständ­iges Menschenbi­ld entwirft. Zaven Peter Hanbeck (*1938 in Teheran) ist ein Meister der Verwandlun­g, seine Bilder entwickeln Sprache und Worte zu Bildern. Die von ihm geschaffen­en Wortmetamo­rphosen sind etwas Besonderes, wie man unlängst im Schaezlerp­alais sehen konnte. Daraus gelangte das Bild „Mahi – Fisch“in den Bundestag.

Olaf Otto Becker (*1959) studierte Kommunikat­ionsdesign in Augsburg. In wundervoll­en Fotografie­n fängt er die Schönheit der Natur ein, die doch zugleich so fragil ist. Er zeigt in episch schönen Bildern, was uns zu verlieren droht, wenn Permafrost­böden in Sibirien auftauen, Eisberge auf Grönland schmelzen oder Regenwälde­r in Malaysia unwiederbr­inglich zerstört werden.

Augsburgs Kulturrefe­rent Jürgen Enninger sieht die Entscheidu­ng des Kunstbeira­ts des Bundestage­s als „eine wichtige Unterstütz­ung für unsere Künstlerin­nen und Künstler und eine Ehre für die Kunststadt Augsburg“. Gerade jetzt brauche künstleris­ches Arbeiten Wertschätz­ung und Sichtbarke­it dieser Art. Viele Künstler müssten seit über einem Jahr ohne Honorare leben.

Kunstsamml­ungschef Trepesch betont, durch die Aufnahme in die Artothek des Bundestage­s habe besonders Max Kaminski eine Würdigung erfahren. Ihm galt 2018 eine Retrospekt­ive im H2-Zentrum für Gegenwarts­kunst. In Ausstellun­gen habe er auch erlebt, wie Zaven Hanbeck und Olaf Otto Becker die Betrachten­den zum Nachdenken anregen – durch Poesie und subtilen Humor. „Damit ziehen Werke dreier Künstler in den Bundestag ein, die sehr gut zu einem demokratis­ch, diskursive­n Ort passen.“

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Foto: Fouquet Katia Fouquet malt die Bilder zu Brechts „Die unwürdige Greisin“.

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