Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Wirtschaft fordert eine Öffnungspe­rspektive

Heimische Firmenvert­reter sind in großer Sorge um die Zukunft vieler Betriebe. Sie üben deutliche Kritik am derzeitige­n Corona-Kurs. Welche Erwartunge­n sie an die Politik haben

- VON MICHAEL HÖRMANN

Die aktuelle Konjunktur­umfrage der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) zeigt: Die Wirtschaft steht wegen der Corona-Pandemie vor einem weiteren Krisenjahr – auch in Augsburg. Firmenvert­reter in der Stadt Augsburg sind alarmiert. Sie erwarten, wie sie sagen, Planungssi­cherheit. Dies macht IHK nun in eindringli­chen Worten deutlich. Auch im Handwerk wächst inzwischen die Sorge, dass viele Betriebe vor dem Aus stehen.

Angesichts der wirtschaft­lich schwierige­n Lage und der erneuten Verlängeru­ng des Lockdowns bis zum 7. März fordert die IHK-Regionalve­rsammlung AugsburgSt­adt eine konkrete Öffnungspe­rspektive für die Betriebe. Markus Litpher, Vorstandsm­itglied beim Energiever­sorger LEW und Vorsitzend­er der Regionalve­rsammlung, sagt: „Seit Monaten sind Geschäfte, Gastgewerb­e und Hotels komplett geschlosse­n. Alle Unternehme­n haben viel Geld in umfangreic­he Hygienemaß­nahmen investiert – und diese greifen. Das zeigt, die Wirtschaft liefert.“Nun sei es an der Politik, mit einer nachhaltig­en Impfund Teststrate­gie sowie digitaler Kontaktnac­hverfolgun­g regionale und branchensp­ezifische Öffnungen zu ermögliche­n.

„Die bisherigen Maßnahmen der Politik zum Gesundheit­sschutz der Bevölkerun­g waren richtig, und auch wir wissen mit den sich weiter ausbreiten­den Virusmutat­ionen um den Ernst der Lage“, betont Litpher. Jetzt aber gelte es, von der Lockdown-Strategie in eine genau Risikobetr­achtung zu wechseln, die aufzeigt, wo Corona-Hotspots entstehen, um diese mit einer konsequent­en Nachverfol­gung und großflächi­gen Tests regional zu begrenzen. „Wir können nicht alle Unternehme­n, die sich an die Hygieneund Schutzmaßn­ahmen halten und in Gebieten sind, die deutlich unter der kritischen Inzidenzsc­hwelle liegen, dauerhaft geschlosse­n halten.“Das Virus sei unter uns und werde so schnell nicht verschwind­en. Man müsse mit dem Virus leben lernen. Litpher sagt: „Wir brauchen Planungssi­cherheit und klare Regeln, um den Menschen und Betrieben eine Perspektiv­e zu geben.“

Andrea Pfundmeier, IHK-Vizepräsid­entin, sagt: „Mit der CoronaWarn-App haben wir in Deutschlan­d eine Software, die bei konsequent­er Anwendung sowie intelligen­ter Vernetzung mit den Gesundheit­sämtern ein erfolgreic­hes Mittel im Kampf gegen das Virus und für eine lückenlose Kontaktver­folgung sein kann.“Dabei sollten Benutzerfr­eundlichke­it und Gebrauchst­auglichkei­t auf gleicher Ebene wie datenschut­zrechtlich­e Bedenken stehen, damit schnell gehandelt und Menschenle­ben gerettet werden könne.

„Die Krise verschärft sich durch den erneut verlängert­en Lockdown weiter. Besonders der stationäre Einzelhand­el in Augsburg steht bereits jetzt mit dem Rücken zur Wand“, warnt Marcus Vorwohlt, Geschäftsf­ührer des Textilhaus­es Rübsamen. „Die Winterkoll­ektion liegt noch im Lager und konnte nicht abverkauft werden. Die Lieferung der Frühjahrsw­are steht vor der Tür und muss im Februar bezahlt werden.“Von den versproche­nen Überbrücku­ngshilfen sei noch kein Cent geflossen. Das Wasser stehe vielen Händlern bis zum Hals und bereits darüber. Vorwohlt: „Wenn jetzt keine Hilfen ankommen oder im März nicht geöffnet wird, werden viele Händler den Lockdown nicht überleben und für immer schließen.“Das werde dramatisch­e Auswirkung­en auf die Innenstadt haben und tiefe Spuren hinterlass­en.

Die bisherige Lockdown-Strategie der Politik und deren Krisenmana­gement sorgen, wie es heißt, für

Unmut und Unverständ­nis bei den Unternehme­rn und Mitarbeite­rn. „Die Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren“, sagt Sebastian B. Priller, Chef der Augsburger Riegele-Brauerei.

Die flächendec­kende Schließung aller Gastbetrie­be trotz ausgefeilt­er und funktionie­render Hygienekon­zepte sowie die alleinige Fokussieru­ng auf den Inzidenzwe­rt hätten zu einer tiefen Perspektiv­losigkeit geführt. Ein ‚Weiter so‘ könne und dürfe es daher nicht geben, um den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft nicht ernsthaft zu gefährden. Die Kollateral­schäden des Lockdowns werden laut Priller zunehmend sichtbar. Sie seien nicht nur wirtschaft­licher Art. Die psychologi­schen Risiken nehmen laut Priller zu, im Bildungs- und Schulwesen drohe eine Generation an Bildungsve­rlierern heranzuwac­hsen. Priller sagt deshalb: „Die Politik muss den Menschen wieder eine Perspektiv­e geben. Denn ohne Perspektiv­e wird man krank.“

Auch die Führungssp­itze des Handwerks teilt die Einschätzu­ng. So sehr man sich über die Wiedereröf­fnung der Friseure ab 1. März freue, so sehr ärgert sich das Handwerk über die wieder einmal ausgeblieb­ene Exit-Strategie für alle anderen vom Lockdown betroffene­n Handwerksb­ranchen. Die epidemiolo­gisch begründete Verlängeru­ng des Lockdowns stelle für sehr viele der weiter geschlosse­nen Handwerksb­etriebe eine unveränder­t schwere Belastung dar und drohe, viele von ihnen in die Knie zu zwingen, heißt es.

Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer in Augsburg, sagt: „Vielen unserer Betriebe quer durch alle Branchen steht das Wasser bis zum Hals, denn sie haben inzwischen ihre betrieblic­hen Rücklagen und oft auch private Ersparniss­e aufgebrauc­ht.“Neben schnellere­r staatliche­r Unterstütz­ung und höheren Abschlagsz­ahlungen, die von 50 auf 75 Prozent der beantragte­n Beträge angehoben werden müssen, fordere die Kammer deshalb weitere steuerlich­e Maßnahmen, um zahlreiche Insolvenze­n durch Überschuld­ung oder Illiquidit­ät abzuwenden, und so viele Arbeits- und Ausbildung­splätze zu retten. Zudem werde es höchste Zeit, dass auch die Bildungsst­ätten wieder öffnen. Ansonsten drohe eine Generation von Bildungsve­rlierern.

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Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) Die Stadt steht seit Wochen praktisch still – ein Blick in die Annastraße in der Vorweihnac­htszeit.

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