Augsburger Allgemeine (Land West)
Existenzgründer 2020
Wirtschaft Die Pandemie trifft nicht zuletzt viele Gewerbetreibende hart. Doch es trauen sich weiterhin Menschen im Kreis Augsburg den Schritt zu einer Existenzgründung zu. Im vergangenen Jahr sogar überraschend viele
Die Pandemie trifft viele Gewerbetreibende hart. Doch es wagen immer wieder Menschen im Kreis Augsburg den Schritt in die Selbstständigkeit.
Landkreis Augsburg Keine Pleitewelle aufgrund der Corona-Pandemie: Im Wirtschaftsraum Augsburg gibt es trotz der Corona-Krise einen Anstieg der Gewerbeanmeldungen. Die Anzahl der neu gegründeten Unternehmen ist mit einem Plus von 1,5 Prozent auf 5406 Neuanmeldungen gestiegen. Die positive Gründerentwicklung spiegelt sich auch in Bayerisch-Schwaben und Bayern wider: Die Zahl der Gewerbeanmeldungen im Regierungsbezirk ist 2020 um 3,6 Prozent, im Freistaat um 5,6 Prozent gestiegen.
Bei der Industrie- und Handelskammer für Schwaben (IHK) sind insgesamt circa 140.000 Unternehmen gemeldet, 20.000 davon im Landkreis Augsburg. In der Handwerksrolle der Handwerkskammer sind aktuell 4400 Unternehmen eingetragen. Das sind die ersten Zahlen. Doch im Hintergrund gibt’s Unwägbarkeiten, die sich frühestens in den nächsten Monaten zeigen.
IHK-Gründungsberater Jürgen Wager erklärt: „In Augsburg spüren wir trotz allgemeiner Krisenstimmung ein ungebrochen hohes Interesse am Gründen.“Im Landkreis Augsburg gab es 2020 1951 Gewerbe-Neuanmeldungen, 2,41 Prozent mehr als im Vorjahr (1905). Die Handwerkskammer für Schwaben (HWK) hatte im Vorjahr rund 280 Neueintragungen im Landkreis.
Diese Zahl verhält sich über die letzten Jahre stabil, erklärt Susanne Sylvester, stellvertretende Geschäftsbereichsleiterin Unternehmensentwicklung und Kommunikation.
Viele Unternehmensgründer holen bei den Kammern Rat: „Im Wirtschaftsraum Augsburg haben wir im vergangenen Jahr 650 Beratungsgespräche geführt, das entspricht dem Niveau der Vorjahre“, so Jürgen Wager, „doch auffällig ist der steigende Anteil von Start-ups mit innovativen, digitalen Geschäftsmodellen in den Bereichen Mobilität, IT und Gesundheit“.
Gerade Start-ups kommen laut einer Blitzumfrage in Augsburg besser durch die Krise als etablierte Unternehmen. Viele verzeichnen eine erhöhte Nachfrage und profitieren von zukunftsfähigen Geschäftsfeldern. „Die Wirtschaftspolitik sollte diesen guten Trend als Ansporn nehmen. Gerade Start-ups brauchen dringend bessere Rahmenbedingungen bei der steuerlichen Behandlung von Beteiligungskapital, um den Zugang zu Wachstumskapital zu erleichtern“, fordert Heide Becker, Leiterin des Beratungszentrums Recht und Betriebswirtschaft der IHK Schwaben.
Gestiegen ist auch die Anzahl der
im Nebenerwerb. Der Anteil liegt nach Einschätzung Jürgen Wagers bei rund 50 Prozent. „Tendenziell ist zu beobachten, dass bei einem schwierigeren Arbeitsmarkt die Bereitschaft steigt, ein Unternehmen zu gründen. Das kann infolge von Arbeitslosigkeit oder parallel zum bestehenden Job geschehen.“In einigen Fällen wird also nicht trotz, sondern wegen der gesamtwirtschaftlichen Krise gegründet. Auch Kurzarbeit könne ein Auslöser sein, dass jemand einen Nebenerwerb beginnt, um über die Runden zu kommen.
Das Interesse von Frauen, sich selbstständig zu machen, scheint ebenfalls zu steigen. So liegt der Anteil von Frauen, die sich beim Thema Gründen von der IHK Schwaben beraten lassen, bei rund 40 Prozent. Ein Teil dieser Frauen könnte allerdings das Unternehmen gegründet haben, weil ihr Mann aufgrund schwieriger beruflicher Situation (Kurzarbeit, Betrieb in Schwierigkeiten) sich nicht trauten, es selbst zu tun. Und eines ist auffällig: „Frauen gründen in der Regel risikoärmer, häufig mit weniger Startkapital. Sie gestalten einen maßgeschneiderten Arbeitsplatz, um Familie und Beruf zu vereinbaren.“
Aufgrund von Corona gab es in den vergangenen Monaten keine Pleitewelle im Handwerk. Das liegt laut HWK vor allem daran, dass 2020 die meisten arbeiten durften.
„Allerdings steht vielen unserer Unternehmen quer durch alle Branchen das Wasser bis zum Hals“, erklärt Susanne Sylvester. So seien 90 Betriebe weniger abgemeldet worden als im Jahr 2019. Dies erkläre sich aber wohl aus der Tatsache, dass die Insolvenzanzeigeverpflichtung infolge von Corona ausgesetzt wurde. Vor allem für die von zwei Lockdowns Betroffenen wie die Friseure, Kosmetiker, Nahrungsmittelhandwerke mit geschlossenen Cafés und Imbissen, Maßschneider oder Gold- und Silberschmiede mit ihren geschlossenen Ladengeschäften, Fotografen und Gewerke, die im Messebau oder in der Veranstaltungsbranche verortet sind, oder Gebäudereiniger durch geschlossene Schulen, Restaurants und Hotels – sei es bereits fünf nach zwölf.
Oft seien betriebliche Rücklagen und private Ersparnisse aufgebraucht und versprochene HilfsgelGründungen der kommen nur zögerlich oder gar nicht an. Zudem fehle eine Perspektive für die Wiederöffnungen. Die HWK Schwaben rechnet daher mit einer drohenden Konjunkturkrise mit Insolvenzen, Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzverlusten.
Auch die IHK verzeichnete 2020 mit 1567 weniger Betriebsabmeldungen als im Vorjahr (1626). „Einen positiven Saldo würde ich aber nicht feiern“, macht Jürgen Wager deutlich. „Einerseits sind die Gründe noch unklar, andererseits sehen wir unter den Gewerbeanmeldungen viele Nebenerwerbsgründungen.“Dahinter stehen Menschen, die in nicht einfachen Zeiten möglicherweise einen Plan B in der Selbstständigkeit realisieren möchten. Auch er will nicht ausschließen, dass viele eigentlich bereits insolvente Betriebe noch nicht einberechnet werden konnten, weil sie dies noch nicht gemeldet haben. „Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie und die Lockdowns unterm Strich haben werden, wissen wir erst im Laufe dieses Jahres“, so Susanne Sylvester.
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Serie In unserer SchwerpunktReihe „Neustart in CoronaZeiten“geht es um Menschen im Landkreis, die in der momentanen Lage den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt oder sich beruf lich neu aufgestellt haben. Morgen widmen wir uns dann einem Startup, das Minihäuser anbietet.
Die Hälfte geht in den Nebenerwerb