Augsburger Allgemeine (Land West)
Caritas baut Wohnheim für Alkoholkranke
Soziales Der Neubau auf dem Gelände des Abbé-Pierre-Zentrums geht Mitte des Jahres in Betrieb. 20 Wohnungen stehen zur Verfügung. Die Bewohner sollen lernen, wieder ein eigenständiges Leben zu führen
Michael hatte einen guten Job als Schlosser, bevor ihn der Alkohol aus der Bahn warf. Heute trinkt der 63-Jährige „ab und zu ein Bier zum Mittagessen“– der Rausch ist nicht mehr sein treuer Begleiter. Dass Michael wieder festen Boden unter den Füßen hat, verdankt er dem AbbéPierre-Zentrum der Caritas. In der Einrichtung, die etwas versteckt in der Hofrat-Röhrer-Straße südlich des Spickel-Bades liegt, werden alkoholkranke Menschen in einer Tagesstätte betreut. Sie kochen, restaurieren Möbel und reparieren Fahrräder. Während der Großteil der Klienten nur stundenweise ins Zentrum kommt, bewohnen dort sechs Personen – darunter Michael – ein Zimmer.
Augsburgs Caritas-Chef Walter Semsch weiß, wie schwer sich Menschen mit Alkoholproblemen und/ oder psychischen Erkrankungen bei der Wohnungssuche tun. Viele seien gestrandet, schliefen in Notunterkünften oder versuchten, bei Bekannten unterzukommen. Für diese Frauen und Männer gibt es ab der Jahresmitte eine weitere Alternative. Direkt neben dem Abbé-PierreZentrum baut die Caritas derzeit ein Haus mit 20 Apartments.
Der Rohbau ist bereits fertig gestellt, der Innenausbau schreitet voran. Die Wohneinheiten, darunter auch einige größere, die für Paare gedacht sind, verteilen sich laut Semsch auf zwei Stockwerke und verfügen alle über Küchenzeile und Bad. Hinzu kommen GemeinDie Gesamtkosten gibt der Geschäftsführer mit vier Millionen Euro an. Davon übernehme die Hälfte die Diözese, die andere Hälfte werde über Eigenmittel, ein Darlehen und Spenden finanziert.
Trotz der räumlichen Nähe zum Abbé-Pierre-Zentrum handelt es sich bei dem Apartmenthaus um ein eigenständiges Projekt. Wer dort einzieht, könne zwar unter Umständen in der Tagesstätte arbeiten, müsse das aber nicht. Walter Semsch geht davon aus, dass sich der Neubau schnell füllen wird. Die künftigen Mieter würden in der Regel über die Stadt, die Übergangswohnheime unterhält, oder über das
vermittelt. „Wir als Caritasverband sind hier mit der Stadt und dem Bezirk eine bisher einzigartige Kooperation eingegangen, die beiden Partner übernehmen die Personalkosten für das Apartmenthaus.“
Die beiden Sozialarbeiter Anna Wirth und Rainer Heider werden sich um die neuen Bewohner kümmern – angefangen von der Freizeitgestaltung über Hilfe bei Behördengängen bis hin zur Haushaltsführung. Anders als in einer stationären Einrichtung handle es sich aber nicht um eine personalintensive 24-Stunden-Betreuung. Ziel sei es, die Bewohner auf dem Weg zu einem eigenständigen Leben zu unschaftsräume. terstützen. Laut Semsch bekommen die Frauen und Männer befristete Mietverträge. Angesichts der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt wisse man aber, dass die Verweildauer auch manchmal länger sein könne. „Wir sehen uns als Wegbegleiter für eine befristete Zeit und wollen den Menschen ihre Würde zurückgeben.“
Dazu gehört auch ein möglichst alkoholfreies Leben. In der Tagesstätte darf laut Leiter Stefan Leinsle nichts Prozentiges konsumiert werden, aber die Besucher müssten nicht trocken sein. Bei Bedarf gebe es einen Alkoholtest, von dem auch abhänge, ob jemand arbeiten darf. Auf dem Gelände und in den ZimBezirkskrankenhaus mern sowie künftig auch im Apartmenthaus soll Alkohol „im Rahmen geduldet sein“. Generell ist es nach den Worten der Caritas-Verantwortlichen das Ziel, „die Sucht zu kontrollieren und zu unterbrechen“– unter Umständen mit einer Therapie.
So wie in diesen Wochen der Innenausbau des neuen Wohnhauses weitergeht, so bleibt auch die Tagesstätte trotz Corona in Betrieb. Aus Gründen des Infektionsschutzes kämen die Klienten im Alter zwischen 20 und 65 Jahren in Schichten, heißt es. Leinsle und sein Team sind froh, dass das Angebot weiter besteht. „Ohne die Tagesstätte gäbe es viel mehr Rückfälle, Einweisungen ins Krankenhaus und vielleicht sogar Suizide“, ist der Leiter überzeugt.
Rund 25 bis 30 Klienten versuchen, mithilfe der Tagesstätte ihre Suchtprobleme in den Griff zu kriegen. Es gebe immer wieder Erfolgserlebnisse, bis hin zu einem Wiedereinstieg ins Berufsleben, heißt es. Viele Menschen hingegen könnten oder wollten sich mit ihrem Alkoholismus nicht auseinandersetzen und verdrängten das Problem.
Nach den Zahlen, die der Caritas vorliegen, leben im Raum Augsburg 3000 Menschen mit einer nachgewiesenen chronischen Alkoholerkrankung. Auch sie hatte der Namensgeber des Zentrums an der Hofrat-Röhrer-Straße im Blick: Abbé Pierre (1912 bis 2007) war ein französischer Armenpriester und Begründer der Wohltätigkeitsorganisation Emmaus.