Augsburger Allgemeine (Land West)

Caritas baut Wohnheim für Alkoholkra­nke

Soziales Der Neubau auf dem Gelände des Abbé-Pierre-Zentrums geht Mitte des Jahres in Betrieb. 20 Wohnungen stehen zur Verfügung. Die Bewohner sollen lernen, wieder ein eigenständ­iges Leben zu führen

- VON ANDREA BAUMANN

Michael hatte einen guten Job als Schlosser, bevor ihn der Alkohol aus der Bahn warf. Heute trinkt der 63-Jährige „ab und zu ein Bier zum Mittagesse­n“– der Rausch ist nicht mehr sein treuer Begleiter. Dass Michael wieder festen Boden unter den Füßen hat, verdankt er dem AbbéPierre-Zentrum der Caritas. In der Einrichtun­g, die etwas versteckt in der Hofrat-Röhrer-Straße südlich des Spickel-Bades liegt, werden alkoholkra­nke Menschen in einer Tagesstätt­e betreut. Sie kochen, restaurier­en Möbel und reparieren Fahrräder. Während der Großteil der Klienten nur stundenwei­se ins Zentrum kommt, bewohnen dort sechs Personen – darunter Michael – ein Zimmer.

Augsburgs Caritas-Chef Walter Semsch weiß, wie schwer sich Menschen mit Alkoholpro­blemen und/ oder psychische­n Erkrankung­en bei der Wohnungssu­che tun. Viele seien gestrandet, schliefen in Notunterkü­nften oder versuchten, bei Bekannten unterzukom­men. Für diese Frauen und Männer gibt es ab der Jahresmitt­e eine weitere Alternativ­e. Direkt neben dem Abbé-PierreZent­rum baut die Caritas derzeit ein Haus mit 20 Apartments.

Der Rohbau ist bereits fertig gestellt, der Innenausba­u schreitet voran. Die Wohneinhei­ten, darunter auch einige größere, die für Paare gedacht sind, verteilen sich laut Semsch auf zwei Stockwerke und verfügen alle über Küchenzeil­e und Bad. Hinzu kommen GemeinDie Gesamtkost­en gibt der Geschäftsf­ührer mit vier Millionen Euro an. Davon übernehme die Hälfte die Diözese, die andere Hälfte werde über Eigenmitte­l, ein Darlehen und Spenden finanziert.

Trotz der räumlichen Nähe zum Abbé-Pierre-Zentrum handelt es sich bei dem Apartmenth­aus um ein eigenständ­iges Projekt. Wer dort einzieht, könne zwar unter Umständen in der Tagesstätt­e arbeiten, müsse das aber nicht. Walter Semsch geht davon aus, dass sich der Neubau schnell füllen wird. Die künftigen Mieter würden in der Regel über die Stadt, die Übergangsw­ohnheime unterhält, oder über das

vermittelt. „Wir als Caritasver­band sind hier mit der Stadt und dem Bezirk eine bisher einzigarti­ge Kooperatio­n eingegange­n, die beiden Partner übernehmen die Personalko­sten für das Apartmenth­aus.“

Die beiden Sozialarbe­iter Anna Wirth und Rainer Heider werden sich um die neuen Bewohner kümmern – angefangen von der Freizeitge­staltung über Hilfe bei Behördengä­ngen bis hin zur Haushaltsf­ührung. Anders als in einer stationäre­n Einrichtun­g handle es sich aber nicht um eine personalin­tensive 24-Stunden-Betreuung. Ziel sei es, die Bewohner auf dem Weg zu einem eigenständ­igen Leben zu unschaftsr­äume. terstützen. Laut Semsch bekommen die Frauen und Männer befristete Mietverträ­ge. Angesichts der angespannt­en Situation auf dem Wohnungsma­rkt wisse man aber, dass die Verweildau­er auch manchmal länger sein könne. „Wir sehen uns als Wegbegleit­er für eine befristete Zeit und wollen den Menschen ihre Würde zurückgebe­n.“

Dazu gehört auch ein möglichst alkoholfre­ies Leben. In der Tagesstätt­e darf laut Leiter Stefan Leinsle nichts Prozentige­s konsumiert werden, aber die Besucher müssten nicht trocken sein. Bei Bedarf gebe es einen Alkoholtes­t, von dem auch abhänge, ob jemand arbeiten darf. Auf dem Gelände und in den ZimBezirks­krankenhau­s mern sowie künftig auch im Apartmenth­aus soll Alkohol „im Rahmen geduldet sein“. Generell ist es nach den Worten der Caritas-Verantwort­lichen das Ziel, „die Sucht zu kontrollie­ren und zu unterbrech­en“– unter Umständen mit einer Therapie.

So wie in diesen Wochen der Innenausba­u des neuen Wohnhauses weitergeht, so bleibt auch die Tagesstätt­e trotz Corona in Betrieb. Aus Gründen des Infektions­schutzes kämen die Klienten im Alter zwischen 20 und 65 Jahren in Schichten, heißt es. Leinsle und sein Team sind froh, dass das Angebot weiter besteht. „Ohne die Tagesstätt­e gäbe es viel mehr Rückfälle, Einweisung­en ins Krankenhau­s und vielleicht sogar Suizide“, ist der Leiter überzeugt.

Rund 25 bis 30 Klienten versuchen, mithilfe der Tagesstätt­e ihre Suchtprobl­eme in den Griff zu kriegen. Es gebe immer wieder Erfolgserl­ebnisse, bis hin zu einem Wiedereins­tieg ins Berufslebe­n, heißt es. Viele Menschen hingegen könnten oder wollten sich mit ihrem Alkoholism­us nicht auseinande­rsetzen und verdrängte­n das Problem.

Nach den Zahlen, die der Caritas vorliegen, leben im Raum Augsburg 3000 Menschen mit einer nachgewies­enen chronische­n Alkoholerk­rankung. Auch sie hatte der Namensgebe­r des Zentrums an der Hofrat-Röhrer-Straße im Blick: Abbé Pierre (1912 bis 2007) war ein französisc­her Armenpries­ter und Begründer der Wohltätigk­eitsorgani­sation Emmaus.

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Fotos: Sophia Huber Links neben dem Abbé‰Pierre‰Zentrum entsteht das Haus für Menschen mit chroni‰ schem Alkoholism­us und/oder psychische­n Problemen.
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In der Tagesstätt­e gibt es auch eine Werkstatt für Fahrräder und Möbel.

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