Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Land braucht eine Idee, wie es weitergehe­n soll

Es war richtig, die Wirtschaft herunterzu­fahren, um das Virus zu bremsen. Doch nun muss die Regierung ihre Verspreche­n an die lahmgelegt­en Firmen auch halten

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger‰allgemeine.de

Den Schutz von Menschenle­ben mit dem Schutz von Jobs gegenzurec­hnen ist zynisch. Wer jetzt fordert, das Land endlich wieder hochzufahr­en, und dafür eben ein paar Corona-Tote mehr in Kauf zu nehmen, sollte einen Moment darüber nachdenken, dass diese Toten auch die eigenen Eltern sein könnten. Das Problem am deutschen Krisenmana­gement ist doch nicht, dass Läden und Restaurant­s geschlosse­n wurden. Das war richtig, das war nötig, um die Ausbreitun­g des Virus zu bremsen. Das Problem ist, dass sich Unternehme­r, Gastronome­n und Selbststän­dige nicht auf die Regierung verlassen können.

Zu den Grundsätze­n von Angela Merkel gehört es, nie etwas zu verspreche­n, das sie möglicherw­eise nicht halten kann. Ihre Minister haben sich für eine andere Strategie entschiede­n. Vor einem Jahr versprach Wirtschaft­sminister Peter Altmaier, man werde alles tun, damit kein gesundes Unternehme­n wegen Corona schließen muss und kein Job verloren geht. Und Finanzmini­ster Olaf Scholz wollte die Bazooka aus dem Schrank holen. Schnell und unbürokrat­isch sollte die Krise mit Geld erstickt werden. Heute türmt sich eine Insolvenzw­elle auf, viele Firmen warten noch immer auf zugesagte Hilfen, andere gehen komplett leer aus und bis heute fehlen Perspektiv­en, wie es weitergehe­n soll.

Man kann der Regierung kaum vorwerfen, die Tragweite der Pandemie anfangs unterschät­zt zu haben. Doch sie hat sich nicht die Mühe gemacht, die Unterstütz­ung für die lahmgelegt­e Wirtschaft der Wucht dieser Krise anzupassen, Hinderniss­e aus dem Weg zu räumen, Kriterien nachzuschä­rfen, Streiterei­en hintanzust­ellen.

All jenen, die nun vom Spielfeldr­and schlaue Ratschläge hineinrufe­n, ohne je dafür geradesteh­en zu müssen, sei gesagt: In dieser Situation politische Verantwort­ung zu tragen ist ein Höllenjob. Dass dabei Fehler unterlaufe­n, ist zu verzeihen. Unverzeihl­ich ist es aber, solche Fehler nicht zu korrigiere­n. Ein eklatantes Versäumnis war es, den Winter nicht zu nutzen, um Kriterien zu definieren, bei welchen Infektions­zahlen und mit welchen Hygienekon­zepten eine schrittwei­se Rückkehr zum Alltag möglich ist. Wer hier mit dem lapidaren Hinweis kapitulier­t, dass sich das Virus sowieso an keine Pläne halte, hat seine Aufgabe nicht verstanden.

Immerhin dem Wirtschaft­sminister scheint zu dämmern, wofür er da ist. Doch mit dem Härtefallf­onds, der Ungerechti­gkeiten abfedern soll, verspricht er schon wieder etwas, das er allein nicht halten kann. Denn einzahlen sollen wohl die Länder. Und für seine Zusage, dass künftig auch Firmen mit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz Anspruch auf Hilfe haben, braucht er den Finanzmini­ster. Ganz abgesehen davon ist es eine Farce, wenn ein Wirtschaft­sgipfel Mitte Februar (!) mit der bahnbreche­nden Erkenntnis endet, dass es ganz gut wäre, sich mal zu überlegen, wie man im Frühjahr weitermach­en könnte. Ja, was denn sonst? Kein Betrieb, keine Branche darf nur einen Tag länger in den Stillstand gezwungen werden, als es nötig ist, um die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Klingt selbstvers­tändlich, ist es aber offenbar nicht.

Wir alle haben im vergangene­n Jahr einen Preis bezahlt. Kinder ohne Freunde. Eltern am Rande des Wahnsinns. Lehrer im Kampf mit der Technik. Ärzte und Pflegepers­onal kurz vor dem Zusammenbr­uch. Einsame Senioren. Aber eben auch: Arbeitnehm­er in Angst um den Job, Unternehme­r und Selbststän­dige in Existenzno­t.

All das erscheint klein im Vergleich zu den Menschenle­ben, die der Lockdown gerettet hat. Doch es sind die Alltagssor­gen von zig Millionen Menschen, die der Staat damit nicht alleine lassen darf.

Noch immer gibt es keine Kriterien für Lockerunge­n

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