Augsburger Allgemeine (Land West)

„Die meisten könnten noch leben“

Pandemie Mehrere Untersuchu­ngen zeigen: Patienten sterben zum Großteil an und nicht mit Corona. Sie wären ohne eine Infektion wohl noch am Leben. Pathologen, die Covid-Tote obduziert haben, erklären, was das Virus im Körper anrichtet

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Seit Monaten wird ziemlich hitzig über zwei eigentlich unscheinba­re Wörtchen diskutiert. Es geht um „an“und „mit“. Und um die Frage, welches der beiden denn nun stimmt, wenn man über einen Menschen spricht, der nach einer Covid-19-Erkrankung gestorben ist. Also kurzum: Stirbt jemand an den direkten Folgen von Corona oder ist eine andere Erkrankung die Ursache für seinen Tod – und eine Infektion mit Sars-CoV-2 nur ein zufälliger Befund am Rande?

Das Robert Koch-Institut verzeichne­t bislang mehr als 65 000 Corona-Todesfälle in Deutschlan­d, mehr als 11 700 davon in Bayern. In die Statistik gehen dabei sowohl Menschen ein, die unmittelba­r an der Erkrankung gestorben sind, als auch solche mit Vorerkrank­ungen, bei denen sich nicht abschließe­nd nachweisen lässt, was die Todesursac­he war. Immer wieder werden deshalb von Kritikern der aktuellen Corona-Politik Zweifel an der Aussagekra­ft der Zahlen laut.

Mittlerwei­le gibt es mehrere Studien, die solche Zweifel ausräumen und klären wollen, ob ein Patient denn nun an oder mit Corona gestorben ist. Einer, der dafür tote Menschen obduziert, ist Professor Dr. Bruno Märkl, Direktor des Instituts für Pathologie und Molekulare Diagnostik am Unikliniku­m Augsburg. Mehr als 100 Menschen seien bislang obduziert worden, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Das sei etwa ein Drittel aller Patienten, die am Unikliniku­m in Zusammenha­ng mit Corona gestorben sind. Das Ergebnis sei eindeutig: Die allermeist­en von ihnen – Pathologe Märkl spricht von der „krassen Mehrheit“– seien direkt an Covid-19 und den daraus entstehend­en Veränderun­gen in der Lunge gestorben.

„Die Menschen entwickeln einen diffusen Alveolarsc­haden“, erklärt Märkl. In den Lungenbläs­chen wird ein proteinrei­ches Sekret gebildet, der Gasaustaus­ch wird dadurch behindert. Nach einigen Tagen beginnt sich das Gewebe zu verändern, es bilden sich Narben. „Der Raum in der Lunge, in dem noch Luft ist, wird immer kleiner“, erläutert der Mediziner. „Und dieser Prozess ist leider schwer umkehrbar und unabhängig davon, ob jemand beatmet wird oder nicht.“Letzten Endes sei es ein „inneres Ersticken“, an dem die Patienten sterben. Jede Zelle braucht Sauerstoff, um Energie herstellen zu können. Weil das schließlic­h nicht mehr möglich ist, versagen mehrere Organe.

Oftmals wird angenommen, töd

Verläufe träfen nur ältere Menschen mit schweren Vorerkrank­ungen, die auch ohne Infektion bald gestorben wären, aber „das sehen wir überhaupt nicht“, sagt Märkl. Er macht deutlich: „Die meisten könnten noch leben, wenn sie sich nicht mit dem Coronaviru­s infiziert hätten. Ich wünschte, ich könnte diejenigen, die an der Gefährlich­keit lauthals zweifeln, einladen, mir bei einer solchen Obduktion über die Schultern zu schauen – sie würden schnell verstummen.“

Die Obduktions­ergebnisse aus Augsburg decken sich mit denen aus anderen Städten. Am Universitä­tsklinikum in Regensburg etwa wurden acht Patienten aus der ersten Welle im vergangene­n Frühling obduziert – sieben davon seien an Corona gestorben, sagt Pathologin Dr. Katja Evert im Gespräch mit unserer Redaktion. Eine Patientin, die unter einer Leberzirrh­ose litt, sei mit Corona verstorben.

Die Menschen, bei denen Co

die direkte Todesursac­he war, seien vor der Infektion keineswegs in einem kritischen Zustand gewesen, sie hätten lediglich leichte Vorerkrank­ungen wie Bluthochdr­uck gehabt oder unter Übergewich­t gelitten. „Nichts, woran man in nächster Zeit stirbt“, sagt Evert. Und auch sie ist der Ansicht: Wenn sie sich nicht mit dem Coronaviru­s infiziert hätten, wären sieben der acht Menschen mit einer sehr hohen Wahrschein­lichkeit noch am Leben.

Die häufigste Todesursac­he, die Evert feststellt­e, sei ein Multiorgan­versagen gewesen. Das sei nicht weiter überrasche­nd – etwas anderes indes schon: „Wir haben relativ häufig einen Befall mit pathogenen, also krank machenden Pilzen gesehen“, sagt die Ärztin. Solche Pilze fände man normalerwe­ise nur bei Menschen, die immunsuppr­imiert seien, deren Abwehrkräf­te also unterdrück­t würden – etwa nach einer Organtrans­plantation oder bei Autoimmune­rkrankunge­n.

Nun seien acht Obduktione­n nicht besonders viel, räumt die Pathologin aus Regensburg ein. Aber es seien dennoch fast 50 Prozent aller Corona-Infizierte­n, die im Unliche tersuchung­szeitraum in der Klinik gestorben seien. Evert obduziert nun auch Tote aus der zweiten Welle – die bisherigen Erkenntnis­se decken sich mit denen aus den ersten Untersuchu­ngen.

Auch im Norden Deutschlan­ds, am Institut für Pathologie des Universitä­tsklinikum­s Schleswig-Holstein, werden Verstorben­e, die sich vor ihrem Tod mit dem Coronaviru­s angesteckt hatten, obduziert. Seit Beginn der Pandemie wurden am Campus Kiel 42 derartige Obduktione­n vorgenomme­n, davon 32 während der zweiten Welle. Die Erkenntnis auch hier: „In den meisten Fällen sind die Menschen tatsächlic­h an den Folgen der Virusinfek­tion verstorben. Nur bei vier Personen fand sich keine Covid-19-assoziiert­e Todesursac­he“, erklärt Professor Dr. Christoph Röcken, Direktor des Instituts für Pathologie. Über 88 Prozent der Infizierte­n starben ihm zufolge an einer Lungenentz­ündung. Auch Embolien, die das Virus im Körper verursacht, hätten in vielen Fällen zum Tod geführt.

Der Bundesverb­and Deutscher Pathologen kommt übrigens zu den gleichen Erkenntnis­sen wie die Mevid-19

Symbolfoto: Ulrich Wagner diziner in Kiel, Regensburg und Augsburg. In einer Umfrage unter vielen Pathologen, die Corona-Tote obduziert hatten, sei deutlich geworden, dass bei einem schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung diese in der Mehrzahl der Fälle auch die Todesursac­he sei. Kurzum: Die meisten Patienten sterben an Corona. Nicht mit.

Die Menschen sterben an einem Multiorgan­versagen

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Die Lunge eines Covid‰Patienten. Mittlerwei­le sind in Deutschlan­d mehr als 65 000 Menschen in Zusammenha­ng mit Corona gestorben. Bei Obduktione­n soll geklärt werden, ob die Infektion die Hauptursac­he war.
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