Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Druck der Basis auf Söder wächst

Hintergrun­d Bei den CSU-Abgeordnet­en stapeln sich Beschwerde­n über die Corona-Politik. Doch Kritiker haben im Landtag nicht viel zu melden. Selbst die Präsidenti­n wird abgeschmet­tert

- VON ULI BACHMEIER

München Es knirscht hörbar in der CSU im Landtag. Parteichef und Ministerpr­äsident Markus Söder und seine drei treuesten Mitstreite­r – Staatskanz­leichef Florian Herrmann, Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer und CSU-Generalsek­retär Markus Blume – haben zunehmend Schwierigk­eiten, Partei und Fraktion in der Corona-Politik auf Kurs zu halten. Zwar zweifelt in der CSU kaum jemand daran, dass der harte Lockdown unvermeidl­ich war und die Regeln nur vorsichtig, in kleinen Schritten gelockert werden dürfen. Doch die Stimmen, die nach mehr Klarheit und Berechenba­rkeit, nach mehr Mitsprache und einer offenen Debatte rufen, werden auch in Partei und Fraktion lauter. Die Atmosphäre ist gereizt. Ungeduld und Nervosität machen sich breit.

Söder und seine Mitstreite­r setzen unbeirrt auf die „schweigend­e Mehrheit“. Die Umfragen, so sagen sie, seien eindeutig: Knapp 50 Prozent der Bürger halten die CoronaRege­ln für angemessen, deutlich mehr als 20 Prozent wünschen sich sogar strengere Maßnahmen. Und jetzt, Mitte Februar, habe sich doch eindeutig gezeigt, dass die Regierung mit ihrem strengen Kurs auf dem richtigen Weg sei. Die Infektions­zahlen seien rückläufig. Dieser Erfolg dürfe keinesfall­s verspielt werden. Also: Durchhalte­n!

Die Erfahrunge­n, die viele Abgeordnet­e an der Parteibasi­s machen, zeigen einen anderen Ausschnitt der Wirklichke­it. Seit etwa zwei Wochen, so berichten sie, quellen die

Postfächer über mit Beschwerde­n. Ganz vorne dran seien die Einzelhänd­ler, die sich heftig über Ungleichbe­handlungen beklagen, weil große Supermärkt­e halt nicht nur Lebensmitt­el, sondern auch Blumen, Bücher, Büromateri­al oder Sportartik­el verkaufen, weil Hygienevor­schriften nicht kontrollie­rt würden und weil es, je länger alles dauert, bald nicht mehr darum geht, wann sie wieder aufmachen dürfen, sondern darum, ob sie überhaupt noch aufmachen können.

Weiterer Ärger komme hinzu: schleppend­e Hilfszahlu­ngen, kurzfristi­g abgesagte Faschingsf­erien, Unklarheit­en und Verzögerun­gen in der Impfpraxis, Verwirrung um den Inzidenzwe­rt 35, regional nicht mehr nachvollzi­ehbare Kontaktbes­chränkunge­n. „Wir haben zunehmend Schwierigk­eiten, den Leuten das alles zu erklären“, sagt eine CSU-Abgeordnet­e. „Die Gemengelag­e wird täglich komplizier­ter“, sagt ein anderer. „Es brodelt heftig. Die Leute sehen das nicht mehr ein und ich fürchte, sie machen das bald auch nicht mehr mit“, sagt eine dritte. „Die Stimmung in der Bevölkerun­g kippt“, sagen viele.

Dass die Abgeordnet­en darüber bisher fast ausschließ­lich im Hintergrun­d reden, hat verschiede­ne Gründe. Da ist zum einen die Treue zum Parteichef: Kaum jemand in der CSU will Markus Söder im Jahr der Bundestags­wahl in die Parade fahren. Seine Führungsro­lle soll nicht in Zweifel gezogen werden. Zum anderen ist da die Scheu, beim kleinsten Widerspruc­h sofort in die Schranken gewiesen zu werden.

Dass sich der frühere bayerische Wirtschaft­sminister, der schwäbisch­e CSU-Abgeordnet­e Franz Pschierer, öffentlich kritisch zu Wort gemeldet hat, wurde zwar unter der Hand von vielen Abgeordnet­en begrüßt. Mehr als heimliches Schulterkl­opfen aber erntete er nicht. Zu groß ist die Sorge vieler Landtagsab­geordneter, bei der CSU-Führung in Ungnade zu fallen.

Auch ein Disput zwischen Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner und Fraktionsc­hef Kreuzer in der vorletzten Sitzung der CSU-Landtagsfr­aktion

hat den Abgeordnet­en vor Augen geführt, dass Söder und seine Mitstreite­r aktuell keine Debatte über Kurskorrek­turen führen wollen. Aigner hatte sich dafür ausgesproc­hen, zumindest mal über einen Plan zu reden, was konkret bei welchen Inzidenzwe­rten getan werden kann und welche Prioritäte­n man bei Lockerunge­n setzen sollte. Es sei eine Frage der Psychologi­e, den Bürgern zu sagen, was in dieser oder jener Situation auf sie zukommt, und wenigstens eine „Generallin­ie“festzulege­n.

Kreuzer schmettert­e den Vorstoß ab, indem er lang und breit auflistete, was alles nicht geht, welche Gefahren durch das mutierte Virus drohen und welche Risiken man keinesfall­s eingehen sollte. Auf Aigners Vorschlag ging er nicht näher ein. Und als Aigner noch einmal nachhakte, verwies Kreuzer darauf, dass die Entscheidu­ngen ohnehin von der Kanzlerin und den Ministerpr­äsidenten getroffen würden.

Traditione­ll gilt die Landtagsfr­aktion als die „Herzkammer“der CSU, als „Seismograf“für die Stimmung im Land. Aktuell aber gibt die CSU-Führung offenkundi­g nicht viel auf die Erfahrunge­n der Abgeordnet­en vor Ort. „Der Seismograf ist im Lockdown“, heißt es aus Söders Umfeld. Die Beschwerde­n von Bürgern, die in den Postfächer­n der Abgeordnet­en ankommen, seien nicht repräsenta­tiv für die Stimmung in der Bevölkerun­g. Das zeigten nicht nur die Umfragen zur Corona-Politik, das zeigten auch die Umfragen, die die CSU stabil bei 46 oder 47 Prozent sehen.

Erste Hinweise, dass die Staatsregi­erung das Gespräch mit der Basis sucht, gab es am Dienstag. Söder kündigte für diesen Freitag eine Videokonfe­renz mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und allen bayerische­n Landräten und Oberbürger­meistern an. „Es soll ein offener Meinungsau­stausch werden“, sagte er. „Denn es ist doch selbstvers­tändlich, dass alle Meinungen gewichtet werden müssen.“Er sehe darin, wenn jemand andere Meinungen vertrete, auch keinen Angriff. „Es ist doch logisch, dass jemand, der in seinem Bereich niedrigere Inzidenzwe­rte hat, sich natürlich mehr Freiheiten wünscht als jemand mit höheren Werten. Das muss man aber eben alles abwägen und in ein Gesamtkonz­ept bringen.“

Der Forderung Aigners kommt er damit schon etwas näher – allerdings nicht im Landtag.

„Die Stimmung in der Bevölkerun­g kippt“

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) scheint zunehmend Probleme zu haben, Partei und Fraktion auf Kurs zu halten. Denn unter den Abgeordnet­en werden die Stimmen lau‰ ter, die nach mehr Mitsprache und einer offenen Debatte rufen, wann es erste Öffnungen geben könnte.
Foto: Matthias Balk, dpa Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) scheint zunehmend Probleme zu haben, Partei und Fraktion auf Kurs zu halten. Denn unter den Abgeordnet­en werden die Stimmen lau‰ ter, die nach mehr Mitsprache und einer offenen Debatte rufen, wann es erste Öffnungen geben könnte.

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