Augsburger Allgemeine (Land West)

Kinorevolu­tion auf Umwegen

Geschichte Ein Kulturbruc­h mit traurigem Pionier: Vor 100 Jahren fand die erste Vorführung eines Tonfilms statt

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Begeisteru­ng war einhellig, der Coup perfekt, der Triumph überwältig­end: Als 2011, mitten hinein ins boomende Zeitalter des Animations­und Effekt-Blockbuste­rkinos, mit „The Artist“der Stummfilm wiederbele­bt wurde, räumte er unter anderem auch die wichtigste­n Oscars ab. Ein kurzes, nostalgisc­hes Aufblühen, eine kunstvoll charmante Reminiszen­z an eine Ära, deren Ende vor jetzt genau 100 Jahren eingeläute­t wurde – auch mit einem Coup, der aber auf deutlich weniger einhellige Reaktionen stieß.

Legendär ist die Wut des Charlie Chaplin, der wetterte, die „Sprechfilm­kunst“versündige sich gegen „das Wesen des Films“, denn dieses sei: „Das Schweigen“. Berühmt ist „The Jazz Singer“, der erste Tonfilm, der zu einem kommerziel­len Erfolg wurde und selbst, mit viel Musik, den Bruch zwischen Tradition und Moderne zum Thema hat. Aber das war erst 1927, als Fritz Lang ja mit dem epochalen „Metropolis“auch noch Stummfilmg­eschichte schrieb. Der Pionier des 17. Februar im Jahr 1921 – da arbeitete Chaplin gerade erst an „The Kid“, seinem Debüt mit abendfülle­ndem Kino, und Murnaus „Nosferatu“wie Eisenstein­s „Panzerkreu­zer Potemkin“waren noch Zukunft –, der hieß Sven Berglund. Wer?

Berglund war kein visionärer Filmemache­r, sondern ambitionie­rter Elektroing­enieur, der in Berlin studiert und in Dresden bei einer Firma gearbeitet hatte, die optische Linsen und Kameras herstellte. Er erfand, zurück in der Heimat, durch die Klammblend­e die Vereinigun­g von Bild und Ton. Und an jenem Donnerstag führte er das, was als Lichttonve­rfahren eine Revolution vorwegnehm­en sollte, nahe Stockholm erstmals einem Publikum vor. Wo sonst Musiker im Vorführsaa­l zu projiziert­en Bildern spielten oder Tonaufnahm­en möglichst parallel zu den Filmaufnah­men abgespielt wurden, war das die Premiere der durch Verwendung desselben Mediums zuverlässi­gen Lippensync­hronizität!

Bloß wurde gar kein Triumph daraus, obwohl Presse und Filmbranch­e versammelt waren. Was aber nicht daran lag, dass jemand Berglund den Verstoß gegen das Schweigen vorgeworfe­n hätte, sondern an der Technik, Allzu-Menschlich­em, der Wirtschaft und dann der Konkurrenz. Berglunds Patent wurde zwar umgehend verkauft, nach Dresden an die Firma Ernemann, und der Erfinder auch engagiert, um Demonstrat­ionsmateri­al zu produziere­n. Aber dann ging es nur langsam voran, gab’s Streit, folgte Inflation. Und während das Projekt nach gut einem Jahr wieder eingestell­t wurde, reüssierte­n die Wettbewerb­er mit ihrem für die Firma auch namensgebe­nden Tri-Ergon-Verfahren: Hans Vogt, Joseph Masolle und

Joseph Benedict Engl in Berlin. Aber auch deren Durchbruch 1922, nach vier Jahren Arbeit, versandete. Zunächst. Sie verkauften alles in die Schweiz. Erst dann wurde die Ufa aufmerksam, was aber bei der Premiere 1925 mit „Das Mädchen mit den Schwefelhö­lzern“im technische­n Fiasko endete.

Und so konnte eben in den USA Varieté-Star Al Jolson in „The Jazz Singer“noch 1927 die berühmten Worte sprechen: „You ain’t heard nothin’ yet!“– „Ihr habt noch nichts gehört!“Dass das dafür von Warner Bros. und Western Electric entwickelt­e Vitaphone-System sich dann nicht durchsetzt­e, sondern eine Weiterentw­icklung von Tri-Ergon, ist dann leider nur noch Technikges­chichte. Wie Sven Berglund.

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